Die Lage am Samstag Liebe Leserin, lieber Leser,

"ab Samstag geht's richtig los!", verkündet AfD-Chef und EU-Spitzenkandidat Jörg Meuthen markig auf einer Parteiseite, denn an diesem Samstag wollen die Rechtspopulisten in Offenburg ihren Europawahlkampf eröffnen, samt Gauland und Gaudi. Welche Dynamik dieser Satz jetzt bekommt!
Denn einen schlechteren Auftakt hätte die Partei sich kaum ausmalen können: Am Donnerstag war Mariana Harder-Kühnel zum dritten Mal bei der Wahl zur Vizepräsidentin des Bundestages durchgefallen, nicht zuletzt, weil Fraktionskollegen durchstachen, sie sei "mitnichten unabhängig", sondern stehe dem "Flügel" des AfD-Rechtsrechtsaußen Björn Hocke nahe, und ihr die Stimme verwehrten.
Spitzenkandidat Meuthen selbst, der die Veranstaltung eröffnen wird, steht nach den Enthüllungen von SPIEGEL und "Report Mainz" um womöglich illegale Spenden aus dem Ausland schwer unter Druck, auch in der eigenen Partei.
Und nun zeigen gemeinsame Recherchen von SPIEGEL, ZDF, BBC und der italienischen "La Repubblica", wie Russland versucht, mit verdeckten Aktivitäten EU-Staaten zu destabilisieren. Die Titelgeschichte des SPIEGEL zeichnet nach, wie mit Gefälligkeiten und finanziellem Aufwand durch das Hofieren und Fördern russlandtreuer Politiker, Wirtschaftsleute und Kulturschaffender ein kremltreues Narrativ verbreitet werden soll. (Lesen Sie hier die aktuelle Titelgeschichte bei SPIEGEL+.)

Im Zentrum des Skandals: der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier. Dem SPIEGEL liegt der Entwurf eines englischsprachigen "Aktionsplans" für die Wahlkampagne von Frohnmaier vor, in dem für dessen "materielle und mediale Unterstützung" geworben und dafür versprochen wird, dass der damalige Kandidat sich als Bundestagsabgeordneter nach Kräften für Moskauer Herzensthemen einsetzen werde. "Er wird ein unter absoluter Kontrolle stehender Abgeordneter im Bundestag sein", heiße es in einem anderen Dokument.
Ein nützlicher Idiot also. Eine Puppe Putins. Aber mit Mandat im Bundestag, nominell unabhängig und nur seinem Gewissen unterstellt. Und, wie Recherchen aufzeigen, nicht der einzige AfD-Politiker mit starken Banden nach Moskau.
Frohnmaier bestreitet die Authentizität der Papiere und behauptet, es nicht gekannt zu haben. Nach der Lektüre der Titelgeschichte stellt sich dennoch die Frage: Wer steuert eigentlich die AfD? "Ab Samstag geht's richtig los." Gut möglich, dass es das tut.
Ralph Brinkhaus - der Unsichtbare

Ralph Brinkhaus (links), Angela Merkel
Foto: krohnfoto.deFragen Sie sich auch manchmal: Was macht eigentlich Ralph Brinkhaus? Ich gebe zu, dass ich das seit seiner Kampfkandidatur und Wahl zum Unionsfraktionsvorsitzenden nicht mehr getan habe. Nach der Lektüre des herrlichen Textes meines Kollegen Ralf Neukirch weiß ich auch warum: Brinkhaus, seit einem halben Jahr im Amt, ist quasi unsichtbar. Und das nicht nur medial, sondern auch in der Fraktion, was dort offenbar nicht besonders gut ankommt, wie Neukirch herausgefunden hat: "Die Erneuerung, die Brinkhaus versprochen hat, scheint sich mit seiner Wahl umfassend erschöpft zu haben", spottet ein Mitglied der Fraktionsspitze.
"Wir haben ja einen EU-Sondergipfel. Ich denke, da werden wichtige Entscheidungen getroffen", sei ein typischer Brinkhaus Satz. "Die Bundeswehr braucht unsere Unterstützung" ein weiterer, nach einem typischen Brinkhaus-Termin, dem Besuch eines Bundeswehrstandorts. "Wir müssen die Bundeswehr unterstützen, wir müssen die Bundeswehr unterstützen - ich würde mir etwas mehr Inhalt wünschen", zitiert Neukirch ein genervtes Fraktionsmitglied. Brinkhaus habe die Fraktionsarbeit entpolitisiert, so sähen das mittlerweile viele.
"In Ruanda haben alle Angst"
Der Abschuss des Flugzeugs des ruandischen Präsidenten Habyarimana am 6. April 1994 war die Initialzündung zum Genozid in Ruanda - der sich nun zum 25. Mal jährt. Die Weltgemeinschaft schaute lange tatenlos zu, wie das Land in einem Flächenbrand aufging und in nur etwa hundert Tagen schätzungsweise 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu niedergemetzelt wurden. Heute stellt Präsident Paul Kagame, seit zwei Jahrzehnten im Amt, seinen Staat mit seinem wirtschaftlichen Aufschwung als Ort des Fortschritts und der Gleichberechtigung da, sich selbst als Sozialreformer.
"In Ruanda", sagt Diane Shima Rwigara im neuen SPIEGEL, "haben alle Angst." Die Menschenrechtsaktivistin hatte im Wahlkampf 2017 vor, als Kandidatin gegen Kagame anzutreten, sie landete im Gefängnis, mit ihrer Mutter. Die Anklage: Anstiftung zum Aufruhr. Meine Kollegin Cathrin Schmiegal hat Rwigara in Ruanda besucht - und die Mär vom Ort der Hoffnung mit der Realität abgeglichen.
Was ist Heimat?
Ein Highlight im neuen SPIEGEL ist für mich das Porträt des Schriftstellers Sasa Stanisic - nicht zuletzt, weil ich ein Fan seiner klugen, leisen und lakonischen Arbeit bin. Was ist Heimat? Was ist Herkunft? Wörter, die als Chiffre funktionieren, über deren Bedeutung ideologisch aufgeladen gestritten wird. Was ist Identität? Prägt einen der Pass? Der Geburtsort? Der Schulort? Sind Heimat nicht eher Menschen?

Schriftsteller Sasa Stanisic
Foto: KATJA SÄMANNStanisic, der im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie aus dem bosnischen Visegrad vor dem Krieg nach Heidelberg floh, gibt in seinem neuen Roman "Herkunft" keine Antwort. Er webt vielmehr einen Teppich aus Anknüpfungspunkten, aus dem sich jeder einen Faden ziehen kann. "Es ist eine Pointe von Stanisic' Buch, dass Herkunft eben aus - schrecklichen, wunderbaren, wertvollen - Zufällen besteht", fasst meine Kollegin Juliane Liebert zusammen. Auf manche Fragen braucht man vielleicht keine Antwort. Sondern nur mehr Bücher.
Gewinner des Tages...
ist seit 42,8 Millionen Jahre tot, aber das ist nicht das, was ihn zum Gewinner macht, trotz der aktuellen weltpolitischen Lage. Es ist ein vierbeiniger Wal (!), der offenbar sowohl laufen als auch schwimmen konnte, und dessen Überreste gerade von Paläontologen in Peru freigelegt wurden. "Es handelt sich um den ersten unstrittigen Nachweis eines vierbeinigen Walskeletts im gesamten Raum des Pazifischen Ozeans", sagt Olivier Lambert vom Königlichen Belgischen Institut für Naturwissenschaften.

Diese Illustration zeigt die vierbeinigen Wale.
Foto: A. GennariIch bin mehr als begeistert, zumal ich bislang nicht einmal wusste, dass nach einem ersten unstrittigen Nachweis über vierbeinige Wale überhaupt gesucht wird. Doch es geht sogar noch weiter: Mit dem Fund sähen die Forscher eine gängige These zur Evolution bestätigt, dass Wale von einem kleinen, vierbeinigen Paarhufer (!!!) abstammen. Kündige hiermit an, im Mai doppelte Rundfunkgebühren zu zahlen, wenn die ARD dem Thema eine "Sendung mit der Maus" widmet. Oder einen "Brennpunkt".
Durch ein technisches Problemen haben viele von Ihnen leider die gestrige Lage (falls Sie möchten: bitte sehr) nicht in Ihrem Postfach gehabt, das ärgert niemanden mehr als uns, und dafür möchten wir uns entschuldigen. Der Fehler wurde gefunden, aber Sie kennen das ja, manchmal hilft nicht mal An- und Ausschalten. Zur Sicherheit finden Sie DIE LAGE auch immer auf SPIEGEL ONLINE, und zwar hier.
Damit verabschiede ich mich vorerst von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Es hat mir großen Spaß gemacht, mit Ihnen durch die Woche zu gehen. Von Montag an wird unser Chefkorrespondent Roland Nelles Sie an dieser Stelle aus Washington D.C. begrüßen.
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Einen guten Start ins Wochenende wünscht Ihnen
Ayla Mayer
Anmerkung: In der Passage über die Papiere, die den AfD-Abgeordneten Frohnmaier betreffen, wurde der Hinweis ergänzt, dass die zitierten Aussagen nicht aus einem, sondern aus verschiedenen Dokumenten stammen.