
Landtagswahl in Niedersachsen: Steinbrück kann aufatmen
SPD-Kanzleranwärter Steinbrück Comeback des Kandidaten
Berlin - Peer Steinbrück sagt nach der Niedersachsen-Wahl einen lustigen Satz. Natürlich sei er sich darüber im Klaren, erklärt der SPD-Kanzlerkandidat bei seinem Auftritt im Willy-Brandt-Haus, dass er für den mangelnden Rückenwind in den letzten Wochen "maßgeblich eine gewisse Mitverantwortung" trage.
Es gibt Leute, die schon klarer Fehler eingestanden haben, aber so richtig übel will das Steinbrück am Sonntagabend in der Berliner SPD-Zentrale niemand nehmen.
Es ist ja alles gutgegangen. Ziemlich gut sogar, viel besser, als man das zuletzt gedacht hätte. Angesichts der nicht enden wollenden Patzer des Kanzlerkandidaten waren manche in der SPD auch in Niedersachsen auf jenen Absturz gefasst gewesen, der seit längerem im Bund zu besichtigen ist. Das ist nicht eingetreten, im Gegenteil: Rot-Grün, das wird nach einem langen Wahlabend klar, hat schon wieder ein Land gedreht. Und so wird aus dem miserablen Start ins Bundestagswahljahr plötzlich ein guter.
Kein sehr guter, das ist auch klar. Natürlich sitzt der Schock darüber, wie der Ex-Finanzminister in den vergangenen Wochen durchs Land gestolpert ist, tief in der SPD. Die Führungsriege macht daraus auch keinen Hehl. "Wir hätten mehr Rückenwind liefern müssen. Das haben wir nicht geschafft", sagt Generalsekretärin Andrea Nahles. Parteichef Sigmar Gabriel spricht sogar von "Gegenwind" für die Genossen in Niedersachsen.
Im Bund liegt die SPD weit hinter der Union
Die Bestandsaufnahme ist unverändert düster: Im Herbst wird im Bund gewählt - und neun Monate davor liegt die Union in manchen Umfragen zwanzig Prozentpunkte vor der SPD. Im direkten Vergleich mit Kanzlerin Angela Merkel ist der Abstand bei Steinbrück teilweise noch größer. Da kann nun wirklich kein Sozialdemokrat behaupten, alles wäre bestens.
Steinbrück und die SPD sind, wenn man so will, in Hannover mit einem rot-grünen Auge davon gekommen. Jetzt wollen die Genossen nach vorne blicken - eine Auswechslung des Kandidaten, wie von manchem in den vergangenen Tagen geunkt wurde, ist nach diesem Sieg vom Tisch. Steinbrück selbst gibt sich vor seinen Parteifreunden in Berlin kämpferisch: Das knappe Ergebnis in Niedersachsen zeige, dass der Macht- und Politikwechsel im Bund mit den Grünen möglich sei. "Dafür werde ich meinen Beitrag leisten", sagt er um kurz vor 19 Uhr: "Ich bin verlässlich und will mit euch gewinnen." Die Genossen applaudieren - dabei liegt zu jenem Zeitpunkt noch Schwarz-Gelb vorn.
Natürlich träumen plötzlich viele in der Partei wieder von der Trendwende - auch im Bund. Ganz so schnell wird das nicht gehen, dazu ist die SPD in Berlin zu angeschlagen. Im Willy-Brandt-Haus stehen sich etliche Lager verfeindet gegenüber, Steinbrück ist völlig außer Tritt, seine Glaubwürdigkeit hat gelitten, dem Steinbrück-Team eilt inzwischen der Ruf der Unfähigkeit voraus. Es muss jetzt dringend etwas passieren.
Die Themen sollen von nun an im Vordergrund stehen. So etwas hört man gerne von Parteien, die in der Krise stecken. Niedersachsen habe gezeigt, dass die SPD sich um die Themen kümmern müsse, die den Menschen "unter den Nägeln brennen", sagt Steinbrück. Immerhin: Rot-Grün hat jetzt ein Instrument, um inhaltliche Akzente zu setzen und so für einen möglichen Stimmungsumschwung zu sorgen - den Bundesrat. Dort verfügen Sozialdemokraten und Grüne nach dem Sieg in Niedersachsen über eine breite Mehrheit, und der künftige Ministerpräsident Stephan Weil hat bereits angekündigt, dass er die Länderkammer eifrig nutzen will, um Schwarz-Gelb unter Druck zu setzen: Mindestlohn, Bankenregulierung, Angriff auf das Betreuungsgeld - das sind nur einige Themen.
Steinbrück-Fatalismus bei den Grünen
Bei den Grünen wünscht man sich nichts sehnlicher, als dass sich die SPD und ihr Kanzlerkandidat erholen. Dort hatte sich in Sachen Steinbrück zuletzt eine eher fatalistische Haltung breitgemacht: Man muss mit dem Kanzlerkandidaten leben, den einem die Sozialdemokraten vorgesetzt haben - mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Dass Steinbrück für den Wahlkampf in Niedersachsen alles andere als hilfreich war? Geschenkt. Nicht ein kritisches Wort über ihn wurde in der telefonischen Gremien-Schalte vor Schließung der Wahllokale verloren, berichten Teilnehmer. "Es hätte ja auch noch viel schlimmer kommen können", heißt es mit Blick auf die Prognosen, die zu diesem Zeitpunkt immerhin ein enges Rennen vorhersagten.
Parteichef Cem Özdemir drückt das so aus. "Die SPD muss schauen, dass sie in die Puschen kommt." Es wäre schon schön, "wenn die SPD noch eine Schippe drauflegt". Klar, wer da in erster Linie gemeint ist.
Für seine Partei bedeute das Ergebnis in Niedersachsen in jedem Fall Rückenwind, sagt Özdemir. Da ist es kurz vor 19 Uhr, wohl keiner auf der Grünen-Wahlparty in Berlin glaubt zu diesem Zeitpunkt daran, dass es am Ende noch für einen Wahlsieg reichen dürfte. Aber die Hochrechnungen werden enger und enger - und schließlich gibt die Landeswahlleiterin bekannt, dass Rot-Grün eine knappe Mehrheit im neuen niedersächsischen Landtag haben wird.
"Und wenn das heute noch klappen sollte mit Rot-Grün, ist das Rückenwind für uns beide." Auch diesen Satz hat Özdemir am frühen Sonntagbend von sich gegeben. Jetzt müssen die Bundes-SPD und Steinbrück nur noch was machen aus dem niedersächsischen Rückenwind.