Anti-Spionage-Abkommen auf der Kippe Oh no!

Kanzlerin Merkel, US-Präsident Obama: Letzte Hoffnung Vier-Augen-Gespräch
Foto: ? RIA Novosti / Reuters/ REUTERSBerlin - Gespräche gescheitert? Von wegen. Die Verhandlungen "dauern an", heißt es beim Bundesnachrichtendienst. "Wir sprechen weiter", sagt die Bundesregierung. Soll heißen: Nichts ist entschieden, nichts verloren beim No-Spy-Abkommen.
Es sind pflichtschuldige Sätze, die dieser Tage in Pullach und Berlin zu hören sind. Niemand will so wirken, als hätte er die Bemühungen schon aufgegeben. Doch trotz aller Beteuerungen setzt sich bei den meisten Beteiligten langsam die Erkenntnis durch, dass es wohl nichts werden wird mit einem Anti-Spionage-Abkommen zwischen Deutschland und den USA. Washington schaltet auf stur.
Für die Kanzlerin ist das eine äußerst beunruhigende Tendenz. Monatelang haben sich ihre Leute und hohe Beamte der deutschen Sicherheitsdienste an dem Projekt versucht. Jetzt rechnet man in Regierungskreisen allenfalls noch mit einer dünnen Absichtserklärung, sich im jeweils anderen Land nach Recht und Gesetz zu verhalten.
Merkel wird das Thema fortan als Chefsache behandeln müssen, wenn überhaupt noch etwas bewegt werden soll. In Washington wird sie bald die Gelegenheit haben, mit dem US-Präsidenten zu sprechen. Barack Obama hat sie eingeladen, schon in den kommenden Wochen wird er die Kanzlerin im Weißen Haus empfangen. Man darf davon ausgehen, dass Merkel alles daran setzen wird, mit etwas Handfestem zurückzukehren. Denn sollten es zwei Nato-Verbündete nicht hinbekommen, einen Vertrag darüber zu schließen, gegenseitige Spionage zu unterlassen, wäre das ein transatlantischer Offenbarungseid. Für sie persönlich wäre es innenpolitisch peinlich.
Wie viel Gewicht hat Merkel in Washington?
Das sogenannte No-Spy-Abkommen, das weiß Merkel nur zu gut, hatte im Wahlkampf vor allem zwei Funktionen: die unliebsame Debatte über die Massenüberwachung der US-Geheimdienste einzufangen und dem Anschein schwarz-gelber Tatenlosigkeit entgegenzuwirken. Seht her, liebe Bürger, wir machen etwas, um eure Daten zu schützen. Das war die Botschaft, die Merkels Kanzleramtschef Ronald Pofalla und der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit großem Getöse in die Republik trugen.
Scheitert das Abkommen, wäre das für Merkel eine bemerkenswerte Blamage. Der Vorstoß für das Abkommen würde nachträglich als innenpolitisches Schaufenstervorhaben entlarvt. Zudem würden ihre Kritiker wohl genüsslich darauf hinweisen, dass die Kanzlerin in Washington offenkundig wenig Einfluss habe.
Mag sein, dass die inoffiziellen Wasserstandsmeldungen über die Verhandlungen gezielt gestreut werden. Vielleicht wollen die Chefs der Sicherheitsdienste die Öffentlichkeit ja nur auf ein endgültiges Scheitern vorbereiten. Oder den Druck auf Washington erhöhen. Aber wenn man sich das Verhalten der USA auf der einen Seite und Merkels Mannschaft auf der anderen Seite in der gesamten Affäre anschaut, besteht nicht viel Hoffnung.
Die Spähaffäre kratzt seit Monaten an der Glaubwürdigkeit der Kanzlerin und ihrer Chefaufklärer, die meist wie Getriebene wirkten, hilflos und überrascht von immer neuen Enthüllungen. Friedrich beschwerte sich über "Antiamerikanismus" und pochte auf "Sicherheit als Supergrundrecht" (lesen Sie weitere Zitate zur NSA-Affäre hier). Regierungsvertreter kamen von Washington-Reisen mit leeren Händen zurück, Fragenkataloge wurden von der Regierung Obama oder Großbritanniens Premier David Cameron gar nicht oder nur knapp beantwortet.
"Die USA müssen Tacheles reden"
Zweimal machte sich eine deutsche Delegation auf den Weg ins Weiße Haus. Im Juli und im Oktober war das. Doch die US-Seite? Beließ es bei einem Lächeln und guter Zurede und schickte die Deutschen wieder nach Hause. Deutschlands Regierende sind machtlos gegen die Spähpraktiken internationaler Geheimdienste - das Schicksal des No-Spy-Abkommens könnte dafür ein weiterer Beleg sein.
In der Innenpolitik ist das Thema längst wieder angekommen. Die Opposition hat für Mittwoch eine Aktuelle Stunde beantragt. Auch in der Koalition werden die ersten unruhig. Der Innenexperte der Unionsfraktion, Stephan Meyer, regte wirtschaftliche Sanktionen an. "Es kommt jetzt zum Schwur. Die USA müssen Tacheles reden", so Mayer. "Ein Scheitern des Abkommens wäre nicht akzeptabel", warnte auch Thomas Oppermann.
Ganz aufgegeben hat der SPD-Fraktionschef den Anti-Spionage-Pakt noch nicht. "Ich bin guter Hoffnung, dass der Besuch der Kanzlerin in den USA dabei hilft, ein Abkommen doch noch zu erreichen", sagte er.
Es ist ein vergifteter Appell. Übersetzt heißen seine Worte: Merkel muss jetzt liefern.