Umstrittenes Pipelineprojekt Regierung verweigert Einblick in brisantes Gutachten zu Nord Stream 2

Anlandestation von Nord Stream 2 in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern
Foto: BildFunkMV / IMAGODas Vorgehen war ungewöhnlich: Zwei Tage, bevor die schwarz-rote Bundesregierung im vergangenen Herbst nur noch geschäftsführend im Amt war, reichte das Bundeswirtschaftsministerium unter CDU-Minister Peter Altmaier die sogenannte Versorgungssicherheitsanalyse zu Nord Stream 2 bei der Bundesnetzagentur ein.
Es war ein zentraler Baustein im Genehmigungsverfahren der Ostseepipeline. Nach Insiderinformationen enthielt das Gutachten ein positives Votum für das deutsch-russische Projekt. Tenor: Die Sicherheit der Gasversorgung in Deutschland werde durch den Bau nicht gefährdet.

Die Schatten der Vergangenheit
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Im Januar beantragte der SPIEGEL auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Einblick in das brisante Papier. Das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) hat das Begehren nun abgelehnt. Es begründete dies unter anderem damit, dass die Beratungen zur Genehmigung des Projekts noch nicht abgeschlossen seien und »der Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflicht« unterliegen.
Dabei hatte Habeck zwei Tage vor Russlands Angriff auf die Ukraine das Genehmigungsverfahren auf Eis gelegt. Die schwarz-rote Vorgängerregierung hatte die Analyse (»Nur für den Dienstgebrauch«) im Oktober 2021 erstellt. Diese stützt sich laut Insidern wesentlich auf Daten des Pipeline-Hauptbetreibers Gazprom.

Sorglosere Zeiten: Die damalige Kanzlerin Angela Merkel im November 2011 unter anderem mit dem damaligen russischen Präsidenten Dimitrij Medwedew (5.v.l.) bei der Eröffnung der Pipeline Nord Stream 1
Foto: Sean Gallup / Getty ImagesIn der Begründung für die Ablehnung des SPIEGEL-Antrags klingt das an. Eine Veröffentlichung würde »hohen politischen Druck auf die Bundesregierung« aufbauen und könne »für die diplomatischen Beziehungen innerhalb der EU, gegenüber der Ukraine und im transatlantischen Verhältnis nachteilig« sein, schreibt das Ministerium. Durch die »Völkerrechtsverletzungen Russlands und den Angriff auf die Ukraine« hätten sich die Umstände deutlich geändert.
Die Ampel fürchtet offenbar, das Gutachten könnte Kritikern weitere Argumente liefern, warum ihr Widerstand gegen Nord Stream 2 berechtigt war. EU-Länder wie Polen und Frankreich hatten die Bundesregierung gewarnt, das Pipeline-Projekt zu genehmigen, weil es die Sicherheit der Ukraine gefährde und die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas erhöhe. Die USA hatten die Betreiberfirma und verschiedene Bauunternehmen mit Sanktionen belegt.
Dass das Wirtschaftsministerium ablehnt, das Gutachten zu veröffentlichen, könnte auch dem Schutz der SPD dienen, die in der alten Regierung den Pipelinebau mit vorangetrieben hatte.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Dimitrij Medwedew sei 2011 russischer Ministerpräsident gewesen. Tatsächlich war er aber von 2008 bis 2012 Präsident.