Strategiepapier Außenpolitiker Kiesewetter rät Union zu kritischerem Kurs bei Nord Stream 2

Für Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet ist die Ostseepipeline ein »reines Wirtschaftsprojekt«. CDU-Außenexperte Kiesewetter empfiehlt im Wahlkampf hingegen nach SPIEGEL-Informationen eine kritische Haltung.
Verlegeschiff für die Gaspipeline in der Ostsee (Foto von 2018)

Verlegeschiff für die Gaspipeline in der Ostsee (Foto von 2018)

Foto: Bernd Wüstneck/DPA

Kaum ein großes Infrastrukturprojekt ist international so umstritten wie die Gaspipeline Nord Stream 2. Schon bald könnte sie jährlich rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland nach Europa liefern. Doch viele europäische Staaten und die USA sind gegen das Projekt, der Konflikt belastet die Beziehungen zu Deutschland.

Nord Stream 2 könnte auch vor der Bundestagswahl ein Streitthema werden. Der Russland-Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Roderich Kiesewetter, spricht sich dafür aus, dass die Union im Wahlkampf eine kritische Haltung vertritt.

»Nord Stream 2 ist primär ein geopolitisches Projekt, mit dem Russland vor allem auf die Ausschaltung der Ukraine aus dem Gastransit nach Europa zielt«, schreibt Kiesewetter in einer »Handreichung zu Russlandfragen«, die dem SPIEGEL vorliegt. Der CDU-Außenexperte hat das Papier als Argumentationshilfe für den Bundestagswahlkampf verfasst. Er grenzt sich darin von der Behauptung ab, Nord Stream 2 sei ein »reines Wirtschaftsprojekt«.

Aus: DER SPIEGEL 28/2021

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Diese Haltung hatte lange Bundeskanzlerin Angela Merkel vertreten, auch CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet verwendete den Ausdruck jüngst bei einer außenpolitischen Diskussion. Ähnlich sehen es die Wirtschaftspolitiker der CDU.

Die Haltung der Expertinnen und Experten der CDU für Außenpolitik ist dagegen mehrheitlich skeptisch bis ablehnend. »Aus inhaltlicher und rhetorischer Sicht handelt es sich von Beginn an um ein politisches Projekt, das nicht notwendige Transitkapazitäten schafft«, schreibt Kiesewetter.

Gegen »romantisierende Hoffnungen« und »symbolisch verhängte Sanktionen«

Er listet in seinem Papier mehrere Argumente gegen das deutsch-russische Projekt auf. So schreibt er, die Pipeline eröffne Moskau »die Option, den politischen und militärischen Druck auf die Ukraine zu erhöhen, ohne das Gasgeschäft mit Westeuropa zu gefährden«. Wirtschaftlich sei der mit Nord Stream 2 verbundene Gastransit »von geringerer Bedeutung«, da der Großteil der russischen Exporteinnahmen aus dem Verkauf von Erdöl gewonnen werde.

Ohne die neue Pipeline entfiele ein wichtiger Antriebsfaktor für die Erschließung neuer Erdgasvorkommen in den arktischen Regionen Russlands. »Eine solche Ausweitung der Gasförderung in den empfindlichen arktischen Gebieten ist auch aus ökologischen Gründen problematisch«, so Kiesewetter. Es sei denn, Russland erzeuge grünen Wasserstoff und Nord Stream 2 werde dafür benutzt.

Der CDU-Außenpolitiker kritisiert auch die aus seiner Sicht mangelnde Abstimmung der Bundesregierung mit den europäischen Partnern. Er spricht sich allerdings gegen einen Baustopp aus; dafür sei es zu spät. »Angesichts des fortgeschrittenen Projektstatus und zu erwartenden Milliardenentschädigungen sollte die Pipeline gegebenenfalls nach Prüfung eines Moratoriums nun nüchtern zu Ende gebaut werden«, schreibt Kiesewetter.

Mit der Fertigstellung sei nicht zwingend verbunden, auch Erdgas zu beziehen. Wenn die Anlage in Betrieb gehe, sollte dies daher »mit der Versorgungssicherheit der Osteuropäer verbunden werden und an überprüfbare russische Garantien geknüpft werden, die eine direkte Auslieferung von fest vereinbarten Mindestmengen an Erdgas an die Ukraine perspektivisch absichern«.

Einen möglichen Stopp des Gastransits hatte immerhin auch Kanzlerkandidat Laschet erwogen. Es seien mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Regeln verabredet worden, sagte Laschet kürzlich bei der Diskussionsveranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz. Sollte Putin Nord Stream 2 gegen die Ukraine einsetzen, »kann man es jederzeit, selbst wenn die Pipeline fertig ist, auch wieder stoppen, weil dann die Geschäftsgrundlage weg ist«.

»Nüchternes und realistisches Russland-Bild«

Kiesewetters Papier stellt eine Bestandsaufnahme der deutsch-russischen Beziehungen dar und geht vor allem auf Streitthemen zwischen Berlin und Moskau ein. Der CDU-Außenexperte spricht sich für ein »nüchternes und realistisches Russland-Bild« aus. »Romantisierende Hoffnungen« auf Einflussmöglichkeiten im Sinne des Konzeptes »Wandel durch Handel« müssten realistisch bewertet werden.

Kiesewetter konstatiert, Russland verfolge seine strategischen Interessen gezielt. »Eine beschwichtigende Haltung und symbolisch verhängte Sanktionen führen zu keiner Verhaltensänderung und bleiben damit ohne substanzielle Wirkung.«

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