NPD in Mecklenburg-Vorpommern Die Biedermänner werden rüde
Lübtheen - "Singen mit Dr. Margret Seemann" steht auf dem kleinen Liederbuch, das die SPD-Landtagsabgeordnete derzeit auf westmecklenburgischen Marktplätzen verteilt. Da wollten sich die jungen Nazis in Hagenow nicht zweimal bitten lassen. Im Rudel deckten sie sich am vergangenen Freitag am SPD-Infostand mit Wahlkampfmaterial ein und verzogen sich wieder. Nach kurzer Sichtung des heimatlichen Liedguts rückten die Männer wieder an, diesmal in Chorstärke. Auf Seite 19 des Heftchens waren sie fündig geworden und schmetterten nun vor den sozialdemokratischen Wahlkämpfern ihren Favoriten: Die Gedanken sind frei.
In zehn Tagen wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Bislang hatte die NPD im Kampf um den Einzug ins Schweriner Schloss vor allem auf ihre inzwischen bewährte "Verbürgerlichungsstrategie" gesetzt, wie Experten den Versuch bezeichnen, endlich das Image der gewalttätigen Skinhead-Truppe loszuwerden. Doch im Endspurt geben sich die Rechtsextremen zunehmend undiszipliniert. Beflügelt von den jüngsten Umfrageergebnissen verlegt sich die Partei wieder auf das, was sie am besten beherrscht: provozieren, pöbeln, einschüchtern.
Schon am 11. August hatte ein NPD-Trupp versucht, einen Infostand der SPD-Kandidatin Seemann in Hagenow zu sprengen: Neonazis besetzten die Stehtische, fotografierten Wahlkampfhelfer und Bürger, eiferten gegen die Genossen. Nachdem die Vorhut für ausreichend Unruhe gesorgt hatte, tauchte auch NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs auf, begleitet von muskelbepackten Bodyguards, die sich vor der zierlichen Margret Seemann aufbauten. Erst nach dem Eintreffen der Polizei verdrückten sich die NPDler wieder. Von einem Linkspartei-Stand in Boizenburg wurde ein ähnlicher Zwischenfall gemeldet, andere SPD-Wahlhelfer berichten von Einschüchterungen an der Haustür. Ein Rentner wurde verprügelt, weil er verhindern wollte, dass Rechte vor seinem Haus ein NPD-Plakat am Laternenmast anbringen.
Gefährliche Gleichgültigkeit
Die NPD weist die Vorwürfe als "Lügengeschichten" der "Kartellmedien" zurück. Und Spitzenmann Pastörs, 54, ist sich sicher, dass der "heimatbewusste und kritische Wähler" das "hinterlistige Spiel" durchschauen werde. "Sieben Prozent plus X" will er am 17. September einfahren und nach dem sächsischen in den zweiten deutschen Landtag einziehen. Die Meinungsforscher sehen die Rechten bei sechs Prozent und warnen: Je niedriger die Wahlbeteiligung, desto größer die Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Doch bislang herrscht gefährliche Gleichgültigkeit: Weniger als 40 Prozent der Wähler wollen zur Urne gehen.
Pastörs ist wie viele Rechtsextreme aus dem Westen nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen, um die NPD im menschenarmen Nordosten als politische Kraft zu etablieren. In der Gegend um Lübtheen hat der Mann mit dem akkuraten Scheitel 50 Hektar Land gekauft, will dort "deutsche Familien" ansiedeln. Dem "Stern" erzählte er jetzt, wie bewundernswert er das Leben in der "Colonia Dignidad" in Chile findet. Der deutsche Chef der Sekte, Paul Schäfer, ist gerade wegen 25-fachen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. "Wenn das wirklich stimmt", sagt Pastörs, "gehört der Mann aus dem Weg geschafft." Schließlich sei die NPD bei Sexualdelikten für die Todesstrafe.
Lübtheen ist ein beschauliches Örtchen mit gerade einmal 5000 Einwohnern, statt Plattenbauten gibt es hübsch saniertes Fachwerk, statt schmucklosen Betonpisten malerische Kopfsteinpflastergässchen. An der Hauptstraße hat der gelernte Uhrmacher Pastörs sein Geschäft. Schmuck und Uhren der mittleren Preisklasse liegen in der Auslage. Der Laden ist zu, wegen "unglaublicher Anfeindungen", wie eine Klageschrift der Pastörs an der Tür verrät. Dabei habe man sich stets bemüht, die Kunden "korrekt zu bedienen". Das wollen Passanten nur zu gern bestätigen. "Schlimm ist das", sagt eine ältere Frau und meint nicht die politische Gesinnung des Geschäftsinhabers. Man solle diesen "anständigen Mann" in Frieden lassen. Eine junge Mutter pflichtet ihr bei: "Er ist so engagiert."
Braune Hochburg Westmecklenburg
Pastörs und andere braune Neubürger haben es in den vergangenen Jahren verstanden, durch biederes und höfliches Auftreten inmitten der Gesellschaft immer bürgerlicher zu erscheinen und die Lücken des verloren gegangenen durchorganisierten DDR-Alltags auszufüllen. In vorderster Front setzt sich Pastörs etwa in einer Bürgerinitiative gegen den drohenden Braunkohleabbau im Südwesten Mecklenburgs ein, auch am Unternehmerstammtisch in der Kreisstadt Ludwigslust diskutiert er gern. Die Frau des NPD-Kreischefs Andreas Theißen ist Vorsitzende des Elternrats an einer Grundschule. Und doch: Es regt sich Widerstand in der Stadt. Zum NPD-Wahlkampfauftakt demonstrierten in Lübtheen immerhin 400 Menschen. Die große Mehrheit kann mit brauner Gesinnung nichts anfangen, das Rathaus führt die SPD.
Doch neben Pastörs haben sich weitere Parteifreunde in der Gegend niedergelassen und Westmecklenburg gemeinsam mit Ostvorpommern zu einer Hochburg der Rechtsextremen gemacht. Im nahen Paetow lebt Stefan Köster, 32. Der Landesvorsitzende und Bundesgeschäftsführer ist gerade wegen schwerer Körperverletzung zu sechs Monaten Bewährung verurteilt worden. Getreu seinem Motto "Taten statt Worte", das er in seiner Biografie auf der NPD-Internetseite zum Besten gibt, hatte er im Dezember 2004 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Schleswig-Holstein eine am Boden liegende Demonstrantin getreten. Köster sitzt im Kreistag von Ludwigslust und beendet seine Reden schon mal mit "volkstreuen Grüßen".
Ebenfalls in der Region ansässig ist der Hamburger Thomas Wulff, einer der bekanntesten deutschen Neonazis. Als Landeswahlkampfleiter bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr sammelte er für die Partei 3,5 Prozent der Stimmen ein. In Bakendorf wollte der Rechtsextremist Jürgen Witt zu Pfingsten ein Nazi-Open-Air ausrichten. Die Veranstaltung auf Witts Grundstück unter der wehenden Reichskriegsflagge wurde vom Ordnungsamt untersagt. NPD-Mann Pastörs schwärmt: "Hier wächst eine Kernmannschaft der nationalen Bewegung zusammen mit den Menschen, die hier leben."
Hunderttausende für den Wahlkampf
In den zum Teil winzigen Dörfern der Region hängt fast an jedem Laternenpfahl oder Strommast ein NPD-Plakat. Die Zeit der platten "Ausländer raus"-Slogans ist vorbei: "Kopf hoch - nicht in den Sand", "Zukunft statt Arbeitsamt" oder "Ländliche Schulen erhalten" steht da, meist in drei Meter Höhe, um ein Abreißen möglichst zu erschweren. Mindestens 400.000 Euro lässt sich die Partei den Wahlkampf kosten, ähnlich viel wie die großen demokratischen Konkurrenten. Als Wahlkampfleiter fungiert der sächsische Landtagsfraktionschef Holger Apfel, der sich vorübergehend im vorpommerschen Anklam Quartier bezogen hat.
Die Sorge wächst, dass es Apfel gelingt, den Erfolg von Sachsen in Mecklenburg-Vorpommern zu wiederholen. Der Schweriner Landtag startete jüngst die überparteiliche Kampagne "Wir sind wählerisch Bürgerbündnis für Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern" und im Wahlkampf wird weniger für die eigenen Positionen geworben, sondern vielmehr vor den Rechtsextremen gewarnt.
"Bitte wählen sie am 17. September eine demokratische Partei", gibt Margret Seemann Einkäufern vor dem Aldi-Markt in Pampow am Dienstag mit auf den Weg. Vor den Einschüchterungsversuchen der Rechtsextremen will sie nicht kapitulieren. Denn auch der Termin für diesen Infostand war zuvor auf der NPD-Homepage angekündigt worden - mit der verklausulierten Aufforderung, doch mal zur "Diskussion" vorbeizuschauen. Es bleibt bei der Drohung, Störer lassen sich an diesem Tag keine blicken.