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Hannelore Kraft: Die SPD-Landesmutter

Foto: WOLFGANG RATTAY/ REUTERS

SPD-Frau Kraft im Wahlkampf Hannelore Rau

Versöhnen statt spalten: Im Kampf um die Macht in Nordrhein-Westfalen setzt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf die alten Methoden von Johannes Rau - und pflegt das Image der fürsorgenden Landesmutter. Damit könnte sie es in der SPD noch weit bringen.

Den Rentner mit der Prinz-Heinrich-Mütze plagen Sorgen. In seinem Ort werde neuerdings zwischen null und fünf Uhr die Straßenbeleuchtung abgeschaltet, klagt der Bürger in der Fußgängerzone von Gütersloh, weshalb sich sodann "Räuber" an seinen Hyazinthen zu schaffen machten. "Die brauchen die Blumen für ihr Rauschgift", ruft der Mann nun schon ziemlich aufgeregt und deutlich zu laut, "das geht doch nicht. Tun Sie endlich was, Frau Kraft!"

Für einen Moment schaut die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen etwas ungläubig. Sie könnte jetzt zurückschimpfen. Doch sie knipst ein strahlendes Lächeln an und erkundigt sich fürsorglich: "Wie hoch ist der Schaden?" Sie bekennt, von der Hyazinthen-Drogen-Problematik bereits einmal gehört zu haben und empfiehlt den Anbau anderer Gewächse. Am Ende wünscht der Rentner, beseelt, bestätigt, ihr alles Gute für die Wahl.

"Kratzbürste Kraft"

Hannelore Kraft, 50, war nicht immer so geduldig. Die "Kratzbürste Kraft", wie eine Zeitung sie nach ihrer ersten Rede als Oppositionsführerin im Landtag dereinst nannte, galt manchem Beobachter vor Jahren noch als ruppig und reizbar. Die Mülheimerin brauchte nie viele Worte, um sich verständlich zu machen, und einige empfanden ihren Scharfsinn lange Zeit vor allem als verbissene Schärfe.

Über ihren politischen Ziehvater Wolfgang Clement hat Kraft einmal gesagt, dass der "keine Labertaschen" mochte. Und sie fügte hinzu: "Er ist ein direkter Mensch - wie ich auch."

An einem Freitagvormittag in Herford bekommen diese Direktheit einige Pressefotografen zu spüren: "Ihr habt mich beim Schminken fotografiert", fährt Hannelore Kraft das Häuflein an. Der Tross ist gerade dem Bus mit der Ministerpräsidentin entstiegen, und die Männer schauen betreten auf ihre Schuhe wie beim Abschreiben ertappte Schüler. Einer versucht eine sanfte Widerrede, doch Kraft verfügt: "Das ist nicht in Ordnung und kommt nicht wieder vor."

Streng mit sich

Kraft ist streng mit sich und manchmal auch mit anderen. Sie will immer sehr gut sein, sie lernt eifrig und schnell, um bloß keinen Fehler zweimal zu machen. Doch für Ratschläge oder Kritik ist sie nicht besonders offen, manche nennen sie sogar beratungsresistent. Sie gilt als misstrauisch, ihr Zirkel echter Vertrauter ist klein, manchmal kokettiert sie damit, nur wenige Freunde in der Politik zu haben. Ihr Regierungssprecher Thomas Breustedt und der Innenminister Ralf Jäger zählen aber wohl dazu.

Verheiratet ist Hannelore Kraft seit 20 Jahren mit dem Elektroinstallateurmeister Udo Kraft, der nur höchst selten öffentlich auftritt. Das Ehepaar hat einen gemeinsamen Sohn und lernte sich einst im Karneval kennen, wobei die Politikerin später Wert auf die Feststellung legte, dass ihr Udo damals näher an der Theke gesessen habe als sie und in dem Weinhaus, in dem man also feierte, Bier trank. Von Udo Kraft ist sonst nur noch überliefert, dass er gut kochen kann und wie seine Frau aus Mülheim an der Ruhr stammt.

Hannelore Külzhammer nämlich, die Tochter eines Verkehrsmeisters und einer Verkäuferin aus dem proletarischen Mülheimer Ortsteil Dümpten, musste sich nach oben durchbeißen. Ihr Aufstieg zur Ministerpräsidentin ist eine Lebensleistung, auf die sie sehr stolz ist. Sie war die erste in der weitläufigen Familie, die Abitur machte und nach einer Banklehre schließlich auch studierte.

Präsidialer, versöhnlicher

Hannelore Kraft hat sich in der Zeit als Ministerpräsidentin verändert. Sie, die so gern "klare Kante" fährt, musste ohne parlamentarische Mehrheit eine "Koalition der Einladung" gestalten: Mit der CDU schloss sie einen Schulfrieden, mit den Linken schaffte sie Studiengebühren ab und führte ein beitragsfreies drittes Kindergartenjahr ein. Sie wurde diplomatischer, mehr Landesmutter als Kratzbürste.

Dank kräftig sprudelnder Steuereinnahmen senkte Rot-Grün die Neuverschuldung von 6,6 Milliarden Euro im letzten von der Regierung Rüttgers verabschiedeten Haushalt auf drei Milliarden Euro. Doch einen ausgeglichenen Etat schaffte Kraft nicht, dafür fehlte ihr auch der Wille, den Wählern mit harten Sparschnitten wirklich wehzutun.

Die Regierungschefin erfand stattdessen eine "vorsorgende Politik", die im Wesentlichen auf der Hoffnung fußt, heute in die Ausbildung junger Menschen zu investieren, um morgen öffentliche Reparaturkosten sparen zu können. "Wir lassen kein Kind zurück", lautet ihr aus zahlreichen US-Wahlkämpfen entlehnter Slogan.

"Wir halten Wort"

Kraft kennt keine Berührungsängste mit ihrer Kundschaft, den Wählern. Sie klopft Schultern und schüttelt Hände. Sie mag eine deutliche Sprache, in der neben ihrem Ruhrgebietsidiom auch immer trotzige Stanzen Platz finden: "Wir haben uns ehrlich gemacht", sagt sie etwa. Oder: "Dat gehört zur Wahrheit dazu." Oder: "Nee, sorry, is mit mir nich zu machen."

Hannelore Kraft weiß, dass ihre Bodenständigkeit ihr größtes Pfund ist. Eine Abgehobenheit, wie sie ihre drei männlichen Vorgänger kultivierten, wird sie sich nie gestatten. Eher orientiert sie sich an dem "Menschenfischer" Johannes Rau, den sie immer wieder ehrfürchtig zitiert. So erscheint fast ihr gesamter Wahlkampf wie eine Kopie der einstigen Kampagnen: "Versöhnen statt spalten", lautete einst Raus Lieblingsmotto - es könnte auch von Kraft stammen.

Das Wort, das man von Krafts Leuten am häufigsten über sie hört, ist "authentisch". Es ist das Schlüsselwort auch dieses Wahlkampfs, dem es ansonsten - trotz der abstrakten Debatte um die rot-grüne Schuldenpolitik - an einem großen Thema fehlt. Es geht also vor allem darum, welcher Politiker am echtesten wirkt, wer der Glaubwürdigste ist.

Kraft sieht ihren Platz in Nordrhein-Westfalen

Insofern wiegt es doppelt schwer, dass der ohnehin in dieser Hinsicht schon angeschlagene Herausforderer Norbert Röttgen (CDU) sich nicht zu einem klaren Bekenntnis für Nordrhein-Westfalen und gegen Berlin durchringen mochte. Die Folge: Könnten die Bürger den Regierungschef direkt wählen, sprächen sich inzwischen 58 Prozent von ihnen für Hannelore Kraft aus. Röttgen kommt nur auf 30 Prozent.

Und was ist mit Krafts Berliner Ambitionen? Im Wahlkampf will Kraft davon nichts hören. Immer wieder betont sie, dass ihr Platz in Nordrhein-Westfalen sei, auch ihr Umfeld dementiert vehement jegliches Schielen auf einen Posten in der Hauptstadt. Dennoch gilt sie in der SPD vielen als eine mögliche Kanzlerkandidatin.

Sollte also auf den letzten Metern des nordrhein-westfälischen Wahlkampfs nicht noch Dramatisches geschehen, wird die SPD am 13. Mai als stärkste Fraktion in den Landtag einziehen. Hannelore Kraft bliebe damit aller Voraussicht nach Regierungschefin am Rhein. Bis dahin aber darf die Ministerpräsidentin noch zahllose Hände schütteln, in Fußgängerzonen, Bildungsstätten, Betrieben, und sich dabei auch immer wieder mit zwei knappen Worten vorstellen, so wie neulich in Leopoldshöhe: "Kraft. Hallo!"

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