"Schwerer Datenschutzverstoß" NRW-Piraten feuern Geschäftsführer

Die Piraten in Nordrhein-Westfalen sorgen am Feiertag mit einer Personalentscheidung für Aufruhr: Vorstandmitglied Klaus Hammer wurde seines Amtes enthoben. Grund: ein "schwerer Datenschutzverstoß", wie es heißt. Die Affäre trägt Züge eines schlechten Agentenfilms.
Piraten und Privatsphäre: Datenschutz gehört zu den wichtigsten Zielen der Partei

Piraten und Privatsphäre: Datenschutz gehört zu den wichtigsten Zielen der Partei

Foto: dapd

Berlin/Düsseldorf - Gerüchte, Nachrichten und Neuigkeiten verbreiten sich bei den Piraten in Windeseile - doch in diesem Fall sind selbst die sonst gut Informierten überfragt. "Wir tappen im Dunkeln", heißt es am Mittwoch aus der Piratenfraktion in Düsseldorf. "Wir werden im Laufe des Tages mehr dazu sagen können", erklärt die Spitze des Landesverbands.

Fest steht bisher nur: Der Politische Geschäftsführer der nordrhein-westfälischen Piratenpartei, Klaus Hammer, ist in der Nacht zum Mittwoch seines Amtes enthoben worden. Grund sei ein "schwerer Datenschutzverstoß", teilte der Landesverband auf seiner Website mit. Die Rhein-und-Ruhr-Piraten gehören bundesweit zu den mitgliederstärksten Verbänden, im Mai gelang ihnen der Einzug ins Parlament.

In der Mitteilung des Landesverbands heißt es zur Erklärung: "Klaus Hammer wird die Befähigung, ein Parteiamt zu bekleiden, auf zwei Jahre aberkannt. Er hat mit seinem Verhalten insgesamt gegen die Grundsätze der Piratenpartei Deutschland verstoßen." Durch die Amtsenthebung solle "zukünftiger Schaden im Ansehen der Piraten abgewendet werden".

Worin besteht der "schwere Datenschutzverstoß"? Das fragten sich umgehend viele Piraten und Beobachter auf Twitter und in Mailinglisten. Laut Landeschef Sven Sladek seien Kommunikationsdaten "von bis zu zehn Personen" unbefugt weitergegeben worden. Es handele sich um "sensible Daten, die strafrechtlich relevant sein können", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Hammer, ein 45 Jahre alte IT-Fachmann, war für Stellungnahmen zunächst nicht zu erreichen. Via Twitter erklärte er: "Aufgrund laufender Verfahren möchte ich ... der Vorstandsentscheidung nichts hinzufügen."

Dokumente in Mülltonne deponiert

Was ist passiert? Mehrere Personen aus dem Umfeld des Piratenvorstands schildern die Geschichte übereinstimmend: Im Kern geht es anscheinend darum, dass die NRW-Piraten zwischen die Fronten zweier zerstrittener Piratengruppen geraten sind. Der Politische Geschäftsführer habe in diesem Zusammenhang einen Vertrauensbruch begangen und gegen die klare Absprache verstoßen, die Daten jener Piratengruppen vertraulich zu behandeln.

Die Affäre trägt Züge eines schlechten Agentenfilms: Den Darstellungen zufolge hatten sich mehrere Piraten aus Gelsenkirchen vor einigen Wochen schriftlich an den Landesvorstand gewandt, um eine andere Gruppe Piraten aus ihrer Nachbarschaft mit schweren Anschuldigungen zu belasten. Jene Gruppe sei im Besitz von Neonazi-Propagandamaterial und Hetzschriften, so der Vorwurf.

Für die Piraten sind sogenannte Problemmitglieder ein sensibles Thema. Immer wieder waren in der Vergangenheit Fälle von Mitgliedern mit brauner Gesinnung bekannt geworden. Auf ihrem letzten Bundesparteitag verabschiedeten die Piraten ein klares Bekenntnis gegen rechts.

Vom Anwalt "unter Druck gesetzt"?

Der Vorstand, so hieß es weiter, konfrontierte die Piratengruppe daraufhin mit den Vorwürfen. Diese konnte allerdings "glaubhaft versichern", dass die Anschuldigungen nicht der Wahrheit entsprächen - und schaltete einen Anwalt ein, um die mutmaßlichen Denunzianten wegen Verleumdung zur Verantwortung zu ziehen.

Hier kommt nun der mutmaßliche Datenschutzverstoß in Spiel: Jener Anwalt soll sich an die NRW-Piraten gewandt haben mit der Bitte, den ursprünglichen Schriftverkehr samt Namen aller Beteiligten herauszugeben. Nach Bundesdatenschutzgesetz sind die Piraten in diesem Fall jedoch angehalten, die Angaben vertraulich zu behandeln, solange keine Ermittlungsbehörden involviert sind oder ein Einverständnis der Betroffenen vorliegt. Der Landesvorstand beschloss also, den Schriftwechsel dem Anwalt nicht zu übergeben. Juristisch betrachtet ist das die korrekte Lösung, da die Landespiraten zu diesem Zeitpunkt quasi unbeteiligte Dritte waren, die dem Datenschutz verpflichtet sind.

Doch der Politische Geschäftsführer Klaus Hammer, hieß es aus dem Umfeld des Vorstands weiter, hielt sich nicht an die Absprache. In einer Sitzung am vergangenen Wochenende erzählte er Teilnehmern zufolge, er sei von dem Anwalt "unter Druck gesetzt" worden, die Daten herauszugeben. Schließlich sei er "in Panik geraten" und habe eingewilligt, den ausgedruckten Schriftwechsel samt Namen der mutmaßlichen Verleumder in seiner Hausmülltonne zu deponieren. Am nächsten Morgen habe sich das Material nicht mehr in der Tonne befunden. "Da fiel dem Vorstand erst mal die Kinnlade runter", berichtet ein Teilnehmer der Runde. Für die Piratenpartei ist Datenschutz eines der größten und wichtigsten Kernthemen.

"Danke für die Messer im Rücken"

Ausgedruckte Mails mit Klarnamen im Hausmüll? Ein Anwalt, der einen Oberpiraten unter Druck setzt? Die Einzelheiten der Geschichte wirken kurios, der Fall Klaus Hammer lässt viele Fragen offen. Wo genau der Schriftwechsel aus der Mülltonne gelandet ist, ob ein Missbrauch der Daten stattfand, all das kann man zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Landespressesprecher Achim Müller kündigte für den Lauf des Tages eine ausführlichere Mitteilung an - vielleicht wird dann etwas Licht ins Dunkel kommen.

"Die genauen Umstände der Datenweitergabe müssen wir erst aufklären", sagte Landeschef Sladek weiter, "aber das Kernproblem ist die Weitergabe der vertraulichen Angaben an sich." Hammer habe die Mülltonnenaktion selbst eingeräumt, der Vorstand habe Konsequenzen ziehen müssen. Den Politischen Geschäftsführer von seinem Amt zu entheben, sei "die einzige Möglichkeit, um unsere Glaubwürdigkeit nicht noch mehr zu beschädigen", verteidigte Sladek den Rauswurf von Hammer. "Wir sind die Datenschutzpartei, wir müssen die Grundlagen des Datenschutzes beherrschen und ernst nehmen."

Das sieht der gefeuerte Geschäftsführer anscheinend anders. Dass die Trennung nicht einvernehmlich über die Bühne ging, legen einige seiner Äußerungen nahe: "Das war's. Macht's gut. Und danke für die Messer im Rücken", twitterte Hammer am Mittwoch. Der IT-Experte ist seit mehreren Jahren in der Piratenpartei, trat bei der Landtagswahl 2010 als Kandidat an. Via Twitter kündigte er an, der Partei nun den Rücken zu kehren und auszutreten.

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