NRW-Wahlfolgen Kanzlerin auf Bewährung

Angela Merkel steckt in der Klemme: Nach den CDU-Verlusten in Nordrhein-Westfalen wagen sich die Kritiker der Kanzlerin aus der Deckung. Deutschlands Regierungsmoderatorin muss nun Führung zeigen. Sonst könnten die nächsten Landtagswahlen zur Gefahr werden.
Kanzlerin Merkel angezählt: Der Regierungsalltag wird härter

Kanzlerin Merkel angezählt: Der Regierungsalltag wird härter

Foto: Hannibal Hanschke/ dpa

Berlin - Angela Merkel schaut sich das Schwinden ihrer Macht lieber im Fernsehen an. Die CDU-Zentrale meidet sie an diesem Sonntagabend. In ihrem Büro im Kanzleramt verfolgt sie, wie der schwarze CDU-Balken bei der Prognose für die NRW-Landtagswahl um 18 Uhr zehn Prozentpunkte tief in den Keller rauscht. Sie beobachtet, wie ihr Landesfürst Jürgen Rüttgers mit eisigem Blick von einem "bitteren Abend" kündet. Und sie liest in den Nachrichtentickern die Attacken ihrer notorischen Kritiker nach.

Es ist ein furchtbarer Sonntag für die Kanzlerin. Daran ändert auch der Mini-Vorsprung der CDU von 0,1 Prozentpunkten nichts, Schwarz-Gelb in Düsseldorf ist trotzdem perdu. Was kommt, ist unklar.

Den "sofortigen Rücktritt" Merkels hatte am Abend gar der frühere CDU-Staatssekretär Willy Wimmer via "Leipziger Volkszeitung" gefordert. Stillstand wirft ihr Josef Schlarmann vor, der Chef der CDU/CSU-Mittelstandvereinigung. Die "Strategie des Nichtstuns" sei gescheitert, Merkel trage Mitschuld an der Niederlage in Nordrhein-Westfalen.

Es ist ein furchtbarer Sonntag für die Kanzlerin.

Es ist ja nicht nur ihre Partei, die an diesem Tag im für sie wichtigsten Bundesland abschmiert. Auch der Euro gerät wegen der griechischen Schuldenkrise dermaßen unter Druck, dass sich Spitzenvertreter der schwarz-gelben Regierung am Abend bei Merkel im Kanzleramt beraten. Man wird dabei sicher auch über die Pleite in Nordrhein-Westfalen gesprochen haben.

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Landtagswahl: NRW hat entschieden

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Derweil überlässt Merkel es ihrem Generalsekretär Hermann Gröhe, die Scherben in der Berliner Parteizentrale zusammenzukehren. Ja, sagt also Gröhe, auch der "holprige Start" der schwarz-gelben Koalition im Bund habe zu den "schmerzhaften Verlusten" in NRW beigetragen. Da sei "zu viel unnützer Streit auf offener Bühne" gewesen. Wenige führende Christdemokraten sind an diesem Abend erschienen. Es köcheln die Bockwürste unbeachtet vor sich hin, der Kartoffelsalat türmt sich. Ein CDU-Mann sagt, es sei sehr gut, dass Gröhe das mit dem Holperstart gesagt habe. Es sei zutreffend und selbstkritisch.

Selbstkritik als Offensive

Selbstkritik als letzte Offensive von Merkels Mannen. Tatsächlich sind Gröhes offene Worte zu diesem Zeitpunkt ungewöhnlich. Wird doch von der Bundesparteiorganisation des Verlierers einer Landtagswahl gern mit regionalspezifischen Faktoren argumentiert. Die gibt es diesmal zwar auch - Gröhe verweist indirekt auf Rüttgers' Sponsoringaffäre - doch steht Merkels Regierung für alle im Zentrum der Analyse.

So erklärt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im WDR die Landtagswahl zum bundespolitischen Stimmungstest: Wären es Bundestagswahlen gewesen, hätte es "möglicherweise auch für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin ebenso wenig eine Mehrheit gegeben, wie sie heute Abend in Düsseldorf festzustellen war".

Längst haben sich Gegner und Anhänger formiert, suchen ihre Deutung unters Volk zu bringen. Da sind die einen, die Merkel einen Linkstrend unterstellen und ihren Kurs nun abgestraft sehen. Oder jene, die den Grund der Misere im abwartenden Regierungsstil sehen. Kurz gesagt: Die Kanzlerin habe sich von der FDP treiben lassen. Steuersenkungspläne und Kopfpauschale nennen diese Kritiker als Schlagworte ihres Grolls.

Merkel müsse nun die FDP an die Kandare nehmen, fordern sie - und führen den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als ihren Kronzeugen an. Der hatte bei einem Treffen der Unionsregierungschefs mit Merkel bereits am Donnerstag gefordert, die Bundesregierung müsse definitiv erklären, dass in dieser Legislaturperiode Steuersenkungen nicht mehr möglich seien.

Da Merkel an diesem Abend mit Nordrhein-Westfalen auch die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat verloren hat, ist zumindest dieses Thema, das die Koalition seit Antritt zanken lässt, abgeräumt: "Das ist erledigt", sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters am Wahlabend in der Parteizentrale. Man brauche eine Steuerreform, nicht aber unbedingt Steuersenkungen. Grütters gehört zu den Anhängern Merkels. Es sei gerade die Fähigkeit des Abwartens und Moderierens, die Merkel in der nun wiederauferstandenen "inoffiziellen Großen Koalition" zupass kämen.

Kanzler ohne Mehrheit in der Länderkammer waren über Jahrzehnte bundesrepublikanische Normalität. Nur Merkel blieb bisher die meiste Zeit davon verschont. Erst verfügte sie als Chefin einer Großen Koalition teils über große Durchsetzungskraft im Bundesrat, dann auch als schwarz-gelbe Kanzlerin für ein gutes halbes Jahr.

Merkel ohne Flankenschutz

Also alles nicht so schlimm in Sachen NRW? Mitnichten. Denn dass das Land an Rhein und Weser nach nur fünf Jahren seine schwarz-gelbe Regierung wieder abstreift, ist ein Symbol, wie es auch Rüttgers' Sieg im Jahr 2005 war. Der Machtwechsel in Düsseldorf war damals der entscheidende Anstoß zum Ende der rot-grünen Bundesregierung. Merkel siegte in der vorgezogenen Bundestagswahl.

Unionsstrategen fürchten nun das "Rollback", den Abgesang auf Schwarz-Gelb.

Klar ist: Für Merkel wird der Regierungsalltag an Härte gewinnen. Die Kanzlerin wird künftig stärker ringen müssen mit ihrer eigenen Partei, wird ihr Profil geben müssen. Hatte der von ihr ungeliebte Rüttgers doch als CDU-Vize immerhin auch die soziale Flanke der CDU abgedeckt. Da ist jetzt nur noch Horst Seehofer. Und der ist CSU-Chef. Merkel wird ohne Flankenschutz aus den eigenen Reihen am Herz-Jesu-Sozialisten aus Bayern noch ihre Freude haben.

Die Union stellt derzeit noch zehn weitere Ministerpräsidenten außer Rüttgers. Eine beispiellose Machtausdehnung in den Ländern. Nur wollen all diese Regierungschefs einem Schicksal à la Rüttgers entgehen. Sie alle sehen Merkels Mitverantwortung an seiner Niederlage. Sie werden auf der Hut sein. Zum Beispiel der junge baden-württembergische Regierungschef Stefan Mappus, der im kommenden März seine Wiederwahl anstrebt. Auch in Sachsen-Anhalt wird in jenem Monat gewählt.

Man wird Druck auf Merkel ausüben. Man wird ihr weiteres holpriges Regieren nicht mehr durchgehen lassen. So wie zuletzt im Falle Koch wird sie das auch in den Zeitungen nachlesen können.

Angela Merkel ist eine Kanzlerin auf Bewährung. Wenigstens bis zu den nächsten Landtagswahlen.

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