NSA-Affäre Merkel und Gauck lassen US-Delegation abblitzen

Kanzlerin Merkel, Präsident Gauck: Kein Treffen mit US-Delegation
Foto: Kay Nietfeld/ picture alliance / dpaBerlin/Washington/Brüssel - Wenn US-Senatoren auf Reisen gehen, sehen sie sich als Repräsentanten des berühmtesten und exklusivsten "Clubs" der Welt: des nur 100 Mitglieder starken US-Senats - und damit auf Augenhöhe mit den Staatschefs im Rest der Welt. So ist zu erklären, warum Chris Murphy, Vorsitzender des Unterausschusses für Europa im Senat, sich bei seinem Berlin-Besuch am Montag mit Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck treffen wollte.
Aber weder Merkel noch Gauck stehen zur Verfügung: Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE soll es im Kanzleramt lediglich zu einem Gespräch des Abteilungsleiter für Außenpolitik, Christoph Heusgen, mit dem Demokraten Murphy und einem Parlamentarier aus dem US-Abgeordnetenhaus kommen. Im Bundespräsidialamt soll gar kein Treffen zustande kommen.
So ambitioniert die Gesprächswünsche von Murphy und seinem ebenfalls demokratischen Begleiter Gregory Meeks klingen mögen - zu einem anderen Zeitpunkt wären die Treffen vielleicht sogar zustande gekommen. Aber in den vergangenen Monaten ist im Zuge der NSA-Affäre einiges kaputt gegangen zwischen Berlin und Washington - spätestens seitdem bekannt wurde, dass der amerikanische Auslandsnachrichtendienst offenbar sogar das Handy der Bundeskanzlerin abgehört hat.
Es wäre jedenfalls nachvollziehbar, wenn Merkel und Gauck allein deshalb auf eine Zusammenkunft mit der US-Delegation verzichten. Selbst wenn der Besuch von Murphy und Meeks in Berlin und einen Tag später in Brüssel, wo noch der republikanische Abgeordnete Mario Diaz-Balart dazustoßen wird, als eine Art Versöhnungstour gedacht ist. Die Kanzlerin hat zwar wegen des Endspurts in den Koalitionsverhandlungen wenig Zeit. Für einen kurzen, symbolischen Plausch mit den Kongress-Abgesandten hätte es aber sicher noch gereicht. Auch der Terminplan des Staatsoberhaupts ist eng getaktet, aber nicht sakrosankt.
Westerwelle zum Gespräch bereit
Immerhin steht mit Außenminister Guido Westerwelle ein protokollarisch hochrangiger Politiker zu einem Gespräch mit den amerikanischen Gästen bereit. "Ein Treffen für Montagmittag im Ministerium ist geplant", hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Ob das von der US-Delegation ebenfalls anvisierte Treffen mit Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stattfindet, ist noch offen. In jedem Fall wird Friedrichs Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche die Amerikaner empfangen. Es sei allerdings nicht ausgeschlossen, ist aus Regierungskreisen zu hören, dass der Minister kurzfristig für einige Minuten dazustoße.
Vorgesehen sind zudem Gespräche mit den Parlamentarischen Geschäftsführern von Union und SPD, Michael Grosse-Brömer und Thomas Oppermann. Letzterer ist auch Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und damit erster Ansprechpartner für Geheimdienstbelange im Bundestag. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der sich zuletzt mit dem NSA-Überläufer Edward Snowden in Moskau getroffen hat, wird ebenfalls mit den amerikanischen Gästen zusammenkommen.
Auch ein Treffen der Mini-US-Delegation mit Außenpolitikern aller Bundestagsfraktionen ist für Montag geplant. Es soll im Rahmen eines Mittagessens bei der Körber-Stiftung am Pariser Platz stattfinden. Geplant ist auch eine Diskussionsrunde mit den Parlamentariern und Mitarbeitern von Berliner Denkfabriken; mit dabei Wolfgang Ischinger, der bestens vernetzte Chef der Münchner Sicherheitskonferenz.
Murphy will EU-Kommissarin Reding in Brüssel treffen
Am späten Nachmittag soll Murphy dann in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz über die transatlantische Freihandelszone und natürlich die NSA-Enthüllungen sprechen. Am Dienstag steht in Brüssel eine öffentliche Debatte im EU-Parlament an. Auch mit Justiz-Kommissarin Viviane Reding, die gerade zu Verhandlungen in Washington weilte, soll Murphys Büro Termine sondieren.
In jedem Fall zerstoben ist die Hoffnung, eine größere Abordnung von US-Senatoren könne mit Murphy nach Berlin kommen. Weitere Kollegen ließen sich nicht überzeugen - was auch die Tendenz widerspiegelt, bei NSA-Diskussionen im Senat die Datenschutz-Bedenken der Europäer als weniger wichtig anzusehen als den Schutz amerikanischer Staatsbürger.
Jedoch könnte Murphy, der als aufstrebender Außenpolitiker gilt und enge Kontakte zu Präsident Barack Obama unterhält, als Vorhut für Außenminister John Kerry dienen. Dieser plant nach SPIEGEL-Informationen nämlich selber eine Versöhnungsreise nach Deutschland, sobald die neue Bundesregierung steht. Kerrys Europa-Staatssekretärin Victoria Nuland hat bereits eine "transatlantische Renaissance" angekündigt.

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