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Merkel zur NSA-Affäre "Ich warte da lieber"

"Deutschland ist kein Überwachungsstaat", sagt Kanzlerin Merkel auf ihrer Sommer-Pressekonferenz. Doch konkrete Antworten auf den NSA-Skandal bleibt sie schuldig. In der Spähaffäre nimmt die Kanzlerin die Rolle einer hilflosen Zuschauerin ein.

Berlin - Normalerweise ist die traditionelle Pressekonferenz vor ihrer Sommerpause eine eher lockere Angelegenheit für Angela Merkel. Das war in diesem Jahr etwas anders. In Berlin trat Merkel vor rund 250 Pressevertreter. Bei dem Auftritt interessierte vor allem ein Thema: die ständig neuen Enthüllungen in der Affäre um die NSA-Spionage in Deutschland - und die Verbindungen zu den deutschen Geheimdiensten (Lesen Sie das Minutenprotokoll des Auftritts hier).

Für Merkel war die Bundespressekonferenz also Gelegenheit, doch noch ein wenig Aufklärung in dem Datenskandal zu betreiben - und das schlechte Bild, das die Bundesregierung bisher abgegeben hat, geradezurücken. Sie schien es eilig zu haben: Zwei Minuten früher als geplant trat sie um 9.58 Uhr vor die Kameras. Hundert Minuten sprach die Kanzlerin dann - und blieb viele Antworten schuldig.

Nach ein paar lobenden Worten für die eigene Leistung bei Hochwasserhilfe, Griechenrettung und Haushaltskonsolidierung kam Merkel zur Sache - und dämpfte erst einmal die Erwartungen. Ihr sei es "völlig unmöglich", eine Analyse von Prism zu liefern, so die Kanzlerin. Wer heute hoffe, dass sie mit Ergebnissen der Ermittlungen anrücke, müsse sich auf eine Enttäuschung gefasst machen. Und daran hielt sie sich dann auch. Merkels wenig erhellende Kernaussage: "Die Arbeiten sind nicht abgeschlossen. Sie dauern an."

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Merkel vor der Bundespresse: "Deutschland ist kein Überwachungsstaat"

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Auf einen konkreten Zeitplan für die Aufklärung wollte sich Merkel nicht festlegen. Ein ausführlichen Fragenkatalog sei an die USA gegangen. Jetzt bleibe nur das Warten auf Antworten: "Wir machen da den nötigen Druck. Wir haben klargemacht, dass uns die Beantwortung des Katalogs wichtig ist."

"Der Zweck heiligt nicht die Mittel"

Wie schon beim Obama-Besuch im Juni betonte die Kanzlerin die nötige Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei den Überwachungsmaßnahmen in Deutschland. Trotz Terrorgefahren gelte: "Der Zweck heiligt nicht die Mittel." Nicht alles, was technisch machbar sei, dürfe umgesetzt werden. "Deutschland ist kein Überwachungsstaat."

Zur vieldiskutierten Frage, ob das vor wenigen Tagen bekannt gewordene Prism-Programm in Afghanistan mit dem seit Wochen diskutierten Prism-Programm des US-Geheimdienstes NSA identisch sei, konnte oder wollte Merkel nichts sagen.

Mit konkreter Kritik an den USA ging Merkel sparsam um. Erneut forderte sie die Regierung Obama auf, bei Aktivitäten in Deutschland auch die deutschen Gesetze zu beachten. "Auf deutschem Boden hat man sich an deutsches Recht zu halten", sagte die CDU-Vorsitzende. Und sie zitierte aus einer Regierungserklärung ihres Vorgängers Gerhard Schröder aus dem Jahr 2003: "Bei uns in Deutschland und in Europa gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts. Das erwarte ich von jedem."

Die Kanzlerin verwies auf eine Vielzahl von Arbeitsgruppen und Runden Tischen, die den Skandal aufarbeiten und Prävention leisten sollen. Es existiere ein Acht-Punkte-Plan zur Verbesserung des Datenschutzes - konkrete Details nannte sie aber kaum.

Und dann noch einmal: die Bitte um Geduld. Merkel betonte, solange die Aufklärungsarbeiten zum umstrittenen Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes NSA nicht abgeschlossen seien, sei es für Konsequenzen noch zu früh. "Unsere amerikanischen Partner brauchen noch Zeit für die Prüfung. Ich warte da lieber", sagte die Kanzlerin.

Auch mögliche personelle Folgen der Affäre schloss Merkel mit Blick auf den wenig souveränen Innenminister Hans-Peter Friedrich aus. Dieser genieße ihr "vollstes Vertrauen". Gleiches gelte für Ronald Pofalla, den Chef des Kanzleramtes, der die Geheimdienste koordiniert.

Eine Beleidigung aller Zuhörer, die Aufklärung erwartet haben

Vor ihrem Auftritt vor der Bundespressekonferenz hatte die Opposition den Druck auf die Kanzlerin noch einmal erhöht. "Was weiß die Regierung? Läuft das Programm noch? Was tut Merkel, um deutsche Interessen zu wahren? Darauf müssen jetzt Antworten her", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der "Bild"-Zeitung.

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck zog noch während der Merkel-Pressekonferenz enttäuscht Bilanz. "Merkels Auftritt in der Bundespressekonferenz war nicht nur eine Beleidigung aller Zuhörer, die Aufklärung erwartet haben, sondern auch eine intellektuelle Beleidigung aller Kanzleramtsmitarbeiter, so zu tun, als habe man von nichts eine Ahnung", kritisierte Beck.

In der Bevölkerung kommt das Verhalten der Regierung rund um die Spionageaffäre nicht gut an. Mehr als zwei Drittel der Bundesbürger sind nach der jüngsten ARD-Umfrage "Deutschlandtrend" unzufrieden mit dem bisherigen Vorgehen der Bundesregierung.

Auf das Wahlverhalten hat die Affäre aber offenbar keinen großen Einfluss: 33 Prozent der Befragten gaben an, ihre Wahlentscheidung geringfügig davon abhängig zu machen. Gar keine Rolle spielte es bei 37 Prozent. Nur jeder Fünfte schrieb dem Thema eine große Rolle zu.

jok
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