Wahlkampf mit der NSA-Affäre Heuchler gegen Ignoranten

"Heuchelei", "Verleumdung", "jämmerliche Ablenkungsmanöver" - in der NSA-Affäre überziehen sich Regierung und Opposition mit immer heftigeren Vorwürfen. Der Wahlkampf überdeckt die schleppende Aufklärung.
Frühere NSA-Abhöranlage in Bad Aibling: Wahlkampf mit der NSA

Frühere NSA-Abhöranlage in Bad Aibling: Wahlkampf mit der NSA

Foto: MICHAEL DALDER/ REUTERS

Berlin - Gott sei Dank gibt es die NSA. Das könnte man zumindest für den deutschen Wahlkampf so sehen. Denn ohne die aufgeregte Debatte über die Spähaktivitäten der National Security Agency wäre der Politikbetrieb in Deutschland in diesem Sommer womöglich vollends weggedämmert - und das knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl.

So aber schleudern sich Koalition und Opposition inzwischen üble Vokabeln entgegen: "Heuchelei" wirft das Regierungslager der SPD vor, gar von Verleumdung deutscher Geheimdienstler ist die Rede. Die Sozialdemokraten schießen zurück, nennen die Unterstellungen der Union "jämmerlich". Was in dem ganzen Getöse aus dem Blick gerät, ist das, um was es eigentlich gehen sollte: die Aufklärung.

Schuld daran sind beide Seiten. In ihrer Verzweiflung, aus der NSA-Affäre unbedingt Kapital schlagen zu wollen, vollzieht die SPD inzwischen täglich ein vielstimmiges Empörungsritual. Dabei vergisst mancher, wie schnell lautstarke, aber undifferenzierte Kritik in Geheimdienstfragen zum Bumerang werden kann - schließlich war der heutige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier einst selbst für die Koordination der deutschen Agenten verantwortlich. Die Bundesregierung versucht derweil mit Ablenkungsmanövern, den Schwarzen Peter der Konkurrenz zuzuschieben.

Höchste Zeit, dass sich der Wahlkampfnebel wieder etwas lichtet - und daran zu erinnern, dass die entscheidenden Fragen weiter unbeantwortet sind.

1. Die Regierungsseite wirft der SPD "gespielte Empörung" vor - zu Recht?

Die Bundesregierung erklärt, Rot-Grün habe nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Zusammenarbeit zwischen Bundesnachrichtendienst (BND) und NSA selbst intensiviert. Sie verweist auf eine Vereinbarung aus dem Jahr 2002, die der damalige Kanzleramtsminister Steinmeier abgesegnet habe. Am Montag durfte der heutige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) das Dokument in der Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) zur eigenen Entlastung präsentieren. Das Ziel ist klar: Die Entrüstung der SPD soll als Wahlkampfmanöver entlarvt werden.

Nichts anderes ist allerdings auch die neue Taktik der Koalition. Sie will von ihrem bisher eher dilettantischen Krisenmanagement ablenken. Denn was sagt die Vereinbarung von damals über die heutigen Spähaktivitäten der NSA? So gut wie nichts. Natürlich geht es angesichts der Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden auch um die Frage, ob sich der BND bei der Weitergabe von Daten an die NSA an Recht und Gesetz hält. Doch niemand zweifelt im Grundsatz daran, dass Partnerdienste sich austauschen sollten, etwa im Kampf gegen den Terror. Über eine intensivere Kooperation bestand gerade nach dem 11. September breiter politischer Konsens.

Zudem muss sich die aktuelle Regierung - wieder einmal - fragen lassen, warum sie erst jetzt auf die Vereinbarung aus dem Jahr 2002 gestoßen ist. Oder warum sie diese bisher verschwiegen hat.

2. Der BND leitet massenhaft Daten an die NSA weiter - wie funktioniert das?

Der BND hat inzwischen eingeräumt, regelmäßig und automatisch große Datenmengen an den US-Geheimdienst weiterzugeben - auf Grundlage des BND-Gesetzes und des G-10-Gesetzes. Dabei soll es sich um Metadaten über E-Mails oder Telefonate aus der Auslandsaufklärung vor allem in Krisengebieten handeln. Daten deutscher Staatsbürger seien nicht betroffen, sie würden herausgefiltert.

Ob dies angesichts der riesigen Datenmenge wirklich funktioniert, daran darf man zumindest Zweifel haben. Es geht schließlich um bis zu 500 Millionen Datensätze im Monat. Diese Zahl fand sich in den Snowden-Dokumenten und war vom SPIEGEL enthüllt worden. Die deutschen Sicherheitsbehörden und die Regierung meinen nun, dass sich hinter dieser Zahl genau jene Datenmenge verbirgt, die der BND im Monat Dezember 2012 an die NSA weitergeleitetet hat.

Auch die in den Snowden-Dokumenten genannten Codes für die Datensammelstellen glaubt der BND entschlüsselt zu haben: Der Dienst geht davon aus, dass US-987LA für den Standort Bad Aibling stehe, US-987LB für die Fernmeldeaufklärung in Afghanistan.

Gesichert scheinen diese Erklärungen allesamt noch nicht, Belege fehlen. Und selbst wenn es so sein sollte, stellt sich wieder die Frage, warum die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden so lange gebraucht haben, um diesen Vorgang zu erhellen. Liegt es am mangelnden Aufklärungseifer? Sollte zunächst das PKG informiert werden? Oder wollte die Regierung die Opposition auflaufen lassen?

Nach der letzten Sondersitzung des PKG bestritt Kanzleramtsminister Pofalla, dass deutsche Dienste massenhaft Daten an die NSA weitergeben würden. Er bezog sich dabei auf Daten deutscher Staatsbürger. Nur zwei Ausnahmen in Entführungsfällen habe es hier im Jahr 2012 gegeben. Im Sinne der Transparenz hätte es sicher nicht geschadet, wenn Pofalla auch die nun bekannt gewordene Praxis offensiv dargelegt hätte.

3. Steht nun fest, dass die NSA selbst keine Daten deutscher Staatsbürger abfischt?

Keinesfalls! Zwar sieht der BND "keine Anhaltspunkte dafür, dass die NSA in Deutschland personenbezogene Daten deutscher Staatsangehöriger erfasst". Doch was die NSA wirklich in Eigenregie auf deutschem Boden treibt, ist nicht geklärt. Auch über das Überwachungsprojekt Prism, mit dem die Amerikaner praktisch uneingeschränkten Zugriff auf Daten großer Internetfirmen haben sollen, gibt es nach wie vor keine Klarheit.

Gerne in Vergessenheit gerät bei aller Aufregung über die NSA zudem, dass der britische Nachrichtendienst GCHQ im Zuge seines Tempora-Programms sogar noch datenhungriger sein soll und alles absaugen kann, was durch die Tiefseekabel übermittelt wird.

Auf die Kernfrage, ob die deutschen Verbündeten uns nach Belieben ausspähen und unsere Daten speichern, gibt es also weiterhin keine Antwort. Der Wahlkampf mit der NSA-Affäre hat indes gerade erst begonnen.

Mitarbeit: Florian Gathmann; mit Material von dpa
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