Merkel und die NSA-Affäre Was wusste die Kanzlerin?

Kanzlerin Merkel: Gespielte Empörung?
Foto: THOMAS PETER/ REUTERSBerlin - Angela Merkel müsste ziemlich deutlich werden, wenn sie demnächst Barack Obama an der Strippe hat. Das jedenfalls sollte man vermuten, wenn die öffentlich kommunizierte Empörung als Gradmesser gilt. "Ich verlange eine Erklärung, Barack", so etwa könnte die Kanzlerin den US-Präsidenten zur Rede stellen. Schließlich hat der bei seinem Besuch in Berlin zwar mit vielen schönen Worten das Prism-Programm verteidigt. Von Wanzen, Lauschangriffen auf befreundete Staaten und exzessivem Datensammeln auch in Deutschland war dabei aber nicht die Rede. Merkel soll deswegen ziemlich sauer sein. Heißt es.
Mancher dagegen vermutet, dass Merkel auch beim nächsten Gespräch sehr nett und freundlich zu Obama sein wird. Und zwar nicht nur, weil die diplomatischen Gepflogenheiten unter Verbündeten so sind, selbst wenn es mal knistert. Nein, die Frage steht im Raum, ob das "Befremden" über die NSA-Spionage wirklich so groß ist, wie die Bundesregierung derzeit behauptet. Oder ist zumindest ein Teil der Entrüstung nur gut gespielt? Können die Enthüllungen die Kanzlerin tatsächlich so überrascht haben? Und wenn es so ist: Hat dann nicht die deutsche Spionageabwehr kläglich versagt?
Die Opposition glaubt nicht an die Ahnungslosigkeit der Kanzlerin. Parteichef Sigmar Gabriel äußert offen den Verdacht, dass Merkel die Ausspähung "dem Grunde nach durchaus bekannt war". Die Regierung weist das scharf zurück, Merkels Leute unterstellen Gabriel plumpes Wahlkampfgetöse. Wohl nicht ganz zu Unrecht, die Genossen wittern die Chance, die Kanzlerin als Verräterin an den Freiheitsrechten der Bürger zu brandmarken. Eine Strategie, die beim für den Datenschutz sensiblen Volk durchaus verfangen könnte.
Wer informiert wen?
Doch auch ohne Wahlkampf gibt es gute Gründe, kritische Fragen nicht nur an die Amerikaner zu richten, sondern auch an die Bundesregierung. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom etwa glaubt, dass SPD-Chef Gabriel mit seiner Vermutung "mindestens tendenziell" richtig liegt. "Die Behörden haben es nach meiner Einschätzung sehr genau gewusst", sagte Schmidt-Eenboom dem Deutschlandfunk.
Zum einen erstelle das für den Schutz der Regierungsnetze zuständige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Bedrohungsanalysen für das Innenministerium - "und zu den Gegnern zählen eben nicht nur die Volksrepublik China oder Russland, sondern auch die angelsächsischen Dienste". Zum anderen wisse auch der Bundesnachrichtendienst (BND) über die Kapazitäten befreundeter Geheimdienste Bescheid, betont Schmidt-Eenboom. Der BND wiederum berichtet an das Bundeskanzleramt, genauer an dessen Chef Ronald Pofalla, der auch für die Koordinierung der Geheimdienste zuständig ist. Der informiert dann die Kanzlerin - wenn er es für wichtig erachtet.
Nun soll Pofalla am Mittwoch dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags Rede und Antwort stehen. Auch die Chefs der drei deutschen Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst sind zu der Sondersitzung geladen. Die Fragen werden dann auch sein: Wie gut wissen die deutschen Dienste über das Treiben der US-Kollegen Bescheid? Wie gut wollten sie Bescheid wissen? Und funktioniert womöglich die deutsche Spionageabwehr nicht? Allerdings kann sich die SPD dabei nicht hinter der Union verstecken: Schließlich saß Frank-Walter Steinmeier von 1999 bis 2005 auf dem Posten Pofallas, also auch in der heiklen Zeit nach dem 11. September 2001, als die US-Geheimdienste sicher nicht untätig waren.
Klar ist: Niemand wird geglaubt haben, dass die NSA einen Bogen um Deutschland macht. Schließlich hat die Bundesrepublik im Anti-Terror-Kampf schon häufiger von der Arbeit der US-Schlapphüte profitiert. So kamen die Hinweise auf die 2007 ausgehobene Sauerland-Gruppe von NSA und CIA, die unter anderem Telefonate und E-Mails abgefangen hatten. Auch wenn die Partnerdienste die Rohdaten gewöhnlich nicht zu Gesicht bekommen, den Deutschen dürfte bei solchen Gelegenheiten bewusst werden, dass die Amerikaner ihre Informationen nur durch eine sehr umfassende Überwachung sammeln können.
Gelegenheit zum Telefonat am Mittwoch
Doch warum nachfragen, wenn die Zusammenarbeit klappt? Auch Merkel weiß, dass die USA äußerst sensibel sind, wenn es um die nationale Sicherheit geht. Allerdings müsste sie seit den WikiLeaks-Enthüllungen vor drei Jahren auch wissen, dass die Amerikaner hierzulande nicht nur nach Terroristen suchen. Seinerzeit wurde bekannt, dass sich die US-Botschaft von Insidern über die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen 2009 informieren ließ. Das war keine Spionage, zeigte aber, dass man in Washington auch an Informationen aus den innersten Machtzirkeln Europas interessiert ist.
Dass solche Informationen allerdings auch mit gezielten Lauschangriffen gesammelt werden, wie Informant Edward Snowden nun über EU-Vertretungen berichtet, dürfte die Kanzlerin erschrocken haben. Wohl auch deshalb war in der NSA-Affäre Stillhalten keine Option mehr für sie, schon gar nicht angesichts des aufziehenden Wahlkampfs.
Am Mittwoch könnte Merkel die Gelegenheit bekommen, wie angekündigt mit Obama persönlich über die Spionagevorwürfe am Telefon zu sprechen. Dann ist der US-Präsident zurück von seiner mehrtägigen Afrika-Reise. Obama wird sicher höfliches Verständnis für die Sorgen der Deutschen äußern. Dass sich an der Geheimdienstpraxis grundsätzlich etwas ändert, ist indes nicht zu erwarten.
In Daressalam in Tansania drehte der US-Präsident schon mal den Spieß um: Er garantiere, dass es in Europas Hauptstädten Leute gebe, die nicht nur daran interessiert seien, was er zum Frühstück esse, sondern auch, "welches meine Argumente sein könnten, sollte ich mich mit ihrer Führung treffen", sagte Obama. So arbeiteten Geheimdienste nun mal.
Mit anderen Worten: Was soll die ganze Aufregung?