

NSA-Überwachung Affäre beendet? Von wegen!

Angela Merkel vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, 16. Februar 2017
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaIst sie nun also wirklich beendet, die so genannte NSA-Affäre? Mit Angela Merkel hat der NSA-Untersuchungsausschuss nach mehr als drei Jahren und 130 Sitzungen seine wohl letzte Zeugin gehört. Nun schreiben die Abgeordneten ihren Abschlussbericht, Ende Juni soll er vorliegen.
Die Zeugin hat zur Aufklärung wie zu erwarten nichts beigetragen. Einleitend verlas sie ihre bisherigen Aussagen zu einem der großen Themen dieser Zeit. Sie brauchte dafür 25 Minuten, fünf hätten gereicht. Hängengeblieben ist von ihr ohnehin nur ein Satz: "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht".
Dazu stehe sie bis heute, sagte Merkel, es bleibt ihr weitreichendstes Bekenntnis. Damals, im Sommer 2013, habe sie ihn in der Überzeugung gesagt, dass der eigene Bundesnachrichtendienst so etwas nicht tue.
Praktisch jede Äußerung falsch
Selbst das war falsch, wie wir heute wissen - so wie praktisch jede öffentliche Aussage aus dem Kanzleramt zu diesem Thema. Die deutschen Dienste hielten sich an Recht und Gesetz, hatte Merkels damaliger Kanzleramtsminister Ronald Pofalla beteuert, in seinem legendären Versuch, das leidige Thema möglichst schnell loszuwerden. Das bezweifelten nicht nur führende deutsche Verfassungsrechtler, sondern auch die Bundesdatenschutzbeauftragte, eine CDU-Parteifreundin. Die US-Seite habe ein No-Spy-Abkommen angeboten? Nun, dort erinnerte man sich an die Sache irgendwie anders. Die Liste ließe sich fortführen.
Dank jener Abgeordneten, die ihren Aufklärungsauftrag im Ausschuss tatsächlich ernstnahmen, wissen wir heute erheblich mehr über die Überwachungspraxis des BND, das ist kein kleiner Verdienst. Es gibt einen neuen Chef des Auslandsgeheimdienstes, ein neues BND-Gesetz und zumindest den Versuch, die Geheimdienstkontrolle künftig so zu gestalten, dass sie diesen Namen vielleicht verdienen könnte. Selbst die Kanzlerin räumte bei ihrem Auftritt ein, der Ausschuss habe sich mit dem Aufzeigen der "Defizite" beim eigenen Dienst verdient gemacht.
Was es nicht gibt, ist weniger Überwachung - im Gegenteil. Während der Ausschuss lief, wurde die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt und die Einrichtung einer neuen Behörde zum Decodieren verschlüsselter Nachrichten beschlossen. Umfragen zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen mehr Videoüberwachung, nicht weniger.
Postfaktisches Krisenmanagement
Das ist auch der Grund, warum Angela Merkels Kanzleramt mit seinem in weiten Teilen postfaktischen Krisenmanagement durchkam. Selbst das schwierige und komplexe Vertragswerk zum Freihandelsabkommen TTIP brachte mehr Leute auf die Straße als die rücksichtslose Full-Take-Schnüffelei der "Five Eyes"-Geheimdienste mit ihrem strategischen Ziel der "Informationsvorherrschaft".
Beendet ist allerdings auch diesmal nichts, auch nicht mit dem Abschlussbericht, denn es handelt sich bei dem, was mit Edwards Snowdens Enthüllungen begann, eben nicht um einen isolierten Skandal oder eine Affäre - es handelt sich um einen andauernden Zustand, der heute vielleicht noch gefährlicher ist als vor dieser gefühlten Ewigkeit, 2013.
Seit November befindet sich der wohl mächtigste Überwachungsapparat der Welt unter dem Oberkommando von Donald Trump. Das Weiße Haus legt das Auftragsprofil der NSA fest, der Präsident entscheidet nicht nur über Überwachungsziele, sondern auch über Cyberangriffe, die auf das Ausspähen folgen.
Es gab schon einmal einen Untersuchungsausschuss, der sich mit dem NSA-Komplex beschäftigt hat, in den USA selbst. Die Fähigkeiten der NSA könnten jederzeit nach innen gerichtet werden, warnte der Ausschussvorsitzende Frank Church damals weitblickend. Falls jemals ein autoritärer Herrscher die Macht in den USA übernehme, würde ihm der Geheimdienst alle Werkzeuge für eine "totale Tyrannei" bieten. Das war 1975 - und wohl nie zuvor war diese Warnung so aktuell wie heute.
Im Video: Angela Merkel vor dem NSA-Ausschuss
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Der Whistleblower Edward Snowden enthüllte 2013 ein weltweites Netz von Spionagesystemen. Im Zentrum der Snowden-Dokumente stehen die USA, aber das Material zeigt auch: Der deutsche BND ist ebenfalls in die Überwachung elektronischer Kommunikation verwickelt und arbeitet mit der NSA zusammen.
2002: Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vereinbaren der deutsche Auslandsgeheimdienst BND und die amerikanische NSA in einem "Memorandum of Agreement" eine engere Zusammenarbeit in Sachen Telekommunikationsüberwachung. Dabei sollen deutsche und amerikanische Interessen gewahrt bleiben.
2004: Die NSA übergibt dem BND die von den Amerikanern gebaute Abhöranlage in Bad Aibling. Mithilfe der Amerikaner überwachen die deutschen Aufklärer von einer benachbarten Kaserne aus nun Telefongespräche, E-Mails oder SMS-Nachrichten nach den Vorgaben der Partner und spielen sie zurück. Die Amerikaner liefern dem BND dafür Suchbegriffe, sogenannte Selektoren. Bis 2015 summiert sich deren Zahl auf 4,6 Millionen.
Januar 2006: Die BND-Außenstelle in Bad Aibling informiert erstmals die Zentrale in Pullach darüber, dass die Amerikaner den BND auch für Lauschangriffe auf den europäischen Rüstungskonzern EADS und dessen Tochter Eurocopter nutzen. Vier Jahre später erfährt das Kanzleramt nachweislich von Ausspähungen der Amerikaner.
Juni 2013: Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden wendet sich über Medien mit brisanten Enthüllungen an die Öffentlichkeit: Die NSA überwache weltweit Millionen Internet- und Telefonverbindungsdaten, auch in Deutschland. Die Deutschen kooperierten mit der NSA. Laut SPIEGEL deuten Indizien auf den Abfluss von 500 Millionen Metadaten pro Monat. Dabei handelt es sich um Verbindungsdaten, die Einblicke geben, wann ein Mensch mit wem kommuniziert hat. Snowden hat weitreichende Informationen auch über britische Überwachungsprogramme. Schon vor den Enthüllungen hat er sich ins Ausland abgesetzt. Er erhält schließlich Asyl in Russland.
19. Juni 2013: US-Präsident Barack Obama versichert Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die amerikanischen Geheimdienste würden sich künftig mit ihren deutschen Partnern abstimmen.
August 2013: "Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch", sagt der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla.
Oktober 2013: Der SPIEGEL berichtet, dass die NSA auch ein Handy von Angela Merkel ausspioniert hat. Ihre Reaktion: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht."
20. März 2014: Der Bundestag setzt einen Untersuchungsausschuss ein. Er soll die Hintergründe der Spähaffäre beleuchten. Den Vorsitz hat heute der Unionsabgeordnete Patrick Sensburg inne. Im Juni 2016 wird der Untersuchungsauftrag erweitert: Nun geht es vor allem um Praktiken des BND. Nach dem Willen der Abgeordneten soll auch Snowden vor dem Ausschuss aussagen. Es bleibt ein Wunsch.
März 2015: Kanzleramtschef Peter Altmaier stattet dem BND in Pullach einen Besuch ab. Nach eigener Darstellung ist das Kanzleramt vom Dienst unzureichend informiert worden. Die Regierung spricht von "technischen und organisatorischen Defiziten". Einen Monat später wird bekannt, dass die NSA seit 2002 Selektoren an den BND schickt. Im Visier sind demnach nicht nur Unternehmen, sondern auch Politiker und Institutionen in Europa.
Mai 2015: BND-Chef Schindler sagt erstmals vor dem Ausschuss aus. In seinen Vernehmungen räumt er Versäumnisse bei der internen Kontrolle ein und spricht sich für eine Reform des BND-Gesetzes aus.
8. Juli 2015: Es wird bekannt, dass die NSA nach Informationen der Enthüllungsplattform Wikileaks jahrelang das Kanzleramt ausgespäht hat. Neben der Regierung Merkel sollen die Regierungen ihrer Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und Helmut Kohl (CDU) betroffen sein. Drei Monate später gibt es Berichte, dass der BND mit eigenen Selektoren in großem Stil befreundete Staaten ausspioniert haben soll.
März 2016: Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagt vor dem Untersuchungsausschuss aus. Er war Kanzleramtschef zu der Zeit, als BND und NSA ihre Zusammenarbeit intensivierten. Er gibt an, nichts von dem umstrittenen Selektorenaustausch zwischen den Diensten gewusst zu haben.
Juni 2016: Aussage des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen vor dem Untersuchungsausschuss. Er sorgt mit der Behauptung für Empörung, Snowden sei ein russischer Spion, und der Verfassungsschutz werde durch den Untersuchungsausschuss von seiner Arbeit abgehalten.
1. Juli 2016: Bruno Kahl wird neuer BND-Chef. Sein Vorgänger Schindler wird in einstweiligen Ruhestand geschickt.
31. Dezember 2016: Das BND-Gesetz tritt in Kraft. Damit erhält der Geheimdienst mehr Rechtssicherheit. Die Kontrolle wird gestärkt. Kritiker beklagen, damit werde der Massenüberwachung Tür und Tor geöffnet.
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