Spähskandal Merkel weist Vorwurf der Mitwisserschaft zurück

Die Kanzlerin reagiert auf die Vorwürfe von SPD-Chef Gabriel, sie habe von den Ausspähungen ausländischer Geheimdienste in Deutschland gewusst. Die Unterstellung sei falsch und zynisch, erklärt ihr Regierungssprecher jetzt.
Kanzlerin Angela Merkel: "Das Vorgehen des SPD-Vorsitzenden ist zynisch"

Kanzlerin Angela Merkel: "Das Vorgehen des SPD-Vorsitzenden ist zynisch"

Foto: JOHANNES EISELE/ AFP

Berlin - Wanzen in diplomatischen Einrichtungen, überwachte Telefonate von Politikern und registrierte E-Mails von Millionen von Bürgern - die Enthüllungen des IT-Spezialisten Edward Snowden entsetzen das politische Berlin. Doch wer wusste wann davon? Darüber streiten Regierung und Opposition mitten im Wahlkampf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat jetzt den Vorwurf von SPD-Chef Sigmar Gabriel zurückgewiesen, sie habe von der Überwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste in Deutschland gewusst. "Das Vorgehen des SPD-Vorsitzenden, der Bundeskanzlerin Mitwisserschaft an flächendeckenden Ausspähungen zu unterstellen, ist angesichts berechtigter Sorgen vieler Menschen um den Schutz ihrer Privatsphäre zynisch", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert der Deutschen Presse-Agentur.

Gabriel hatte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"  erklärt, die passive Reaktion der Kanzlerin lasse den Verdacht zu, dass ihr die Ausspähung "zumindest dem Grunde nach bekannt war". In dem am Dienstag erscheinenden Text verlangt der Sozialdemokrat, Merkel müsse sagen, "ob sie davon gewusst und es geduldet hat".

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte bereits am Sonntag von Merkel Aufklärung gefordert. Nun erneuerte auch er seine Kritik: Der bisher defensive Umgang der Kanzlerin mit den Informationen habe einen schalen Beigeschmack. "Es könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist." Die Opposition kritisiert seit Tagen, die Bundesregierung reagiere - mit Ausnahme der Justizministerin - zu passiv auf den Skandal.

Die Opposition will jetzt konkrete Auskünfte von der Bundesregierung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, rief für Mittwoch eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums ein: "Dort werden wir hinterfragen, was die Bundesregierung von der schrankenlosen Überwachung durch die USA wusste." Auch Kanzleramtschef Ronald Pofalla sei für die Sitzung geladen.

Die Bundesregierung selbst kritisierte schließlich am Montag das Spähprogramm scharf. "Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht, wir sind nicht mehr im Kalten Krieg", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Er deutete auch an, dass die Regierung das Vertrauensverhältnis zu den USA als gestört ansehe.

Linke wirft SPD und CDU Heuchelei vor

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping warf sowohl Merkel als auch der SPD Heuchelei vor. Es gebe keinen Zweifel daran, "dass die deutschen Regierungen schon seit der Jahrtausendwende die Ausspähung der deutschen Bürger durch den US-Geheimdienst mindestens stillschweigend duldeten", sagte Kipping SPIEGEL ONLINE.

Das Europaparlament habe Deutschland schon im Jahr 2000 ausdrücklich vor grundrechtswidrigen Bespitzelungspraktiken amerikanischer Geheimdienste gewarnt. "Schröder hat's gewusst, Merkel hat's gewusst", so Kipping. Sie drohte damit, "spätestens im nächsten Bundestag" einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, "wenn die Bundesregierung nicht von selbst 100 Prozent Aufklärung leistet".

Der SPIEGEL berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass die NSA in Deutschland monatlich rund eine halbe Milliarde Telefonate, E-Mails oder SMS überwacht - systematisch wird ein Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und gespeichert. Die USA betrachten Deutschland in Geheimdokumenten zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel. Die Bundesanwaltschaft prüft derzeit, ob sie wegen der mutmaßlichen Lauschangriffe ein Ermittlungsverfahren einleiten soll.

SPIEGEL-Informationen zufolge überwachen die US-Amerikaner offenbar auch gezielt EU-Vertretungen. Das geht aus geheimen Dokumenten hervor, die der Whistleblower Edward Snowden besitzt. Ziel der NSA könnten laut "Guardian" zudem die diplomatischen Vertretungen von Frankreich, Italien und Griechenland in Washington und bei den Vereinten Nationen gewesen sein.

kgp/dpa
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