NSA-Überwachung Kanzleramt bittet US-Botschafter zum Gespräch

Kanzlerin am Handy: Auch andere Regierungsstellen soll der NSA abgehört haben
Foto: Rainer Jensen/ dpaMit der Einladung des amerikanischen Botschafters John Emerson ins Kanzleramt antwortet die Bundesregierung eher zurückhaltend auf die neuen Vorwürfe gegen den NSA. Kanzleramtchef Peter Altmaier habe den US-Botschafter John B. Emerson "zu einer Unterredung empfangen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Altmaier habe deutlich gemacht, dass die Einhaltung deutschen Rechts unabdingbar sei und festgestellte Verstöße verfolgt würden.
Nach Informationen der Enthüllungsplattform WikiLeaks hat die NSA nicht nur Kanzlerin Merkel, sondern auch weite Teile der Regierung ausgespäht. Insgesamt 69 Telefonnummern aus diversen Ministerien finden sich in den Akten. "Die Bundesregierung nimmt die neuesten Presseveröffentlichungen über Spähangriffe ernst", sagte Seibert. Die NSA-Abhöraktion werde als Schaden für die Zusammenarbeit der Geheimdienste beider Staaten gewertet.
Auch der Generalbundesanwalt schaltet sich erneut in die NSA-Affäre ein. Harald Range kündigte eine Prüfung der neuen Indizien an. "Der Generalbundesanwalt geht den nunmehr bekannt gewordenen Informationen aus den Veröffentlichungen der Internetplattform WikiLeaks im Zusammenhang mit möglichen Spähmaßnahmen des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA mit Blick auf eine mögliche strafbare Handlung im Rahmen seiner Verfolgungszuständigkeit nach", sagte Ranges Sprecher auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE.
Der Sprecher betonte, dass Range zwar die Ergebnisse des kürzlich eingestellten Verfahrens wegen der Bespitzelung von Angela Merkels Handy durch die NSA "einbeziehen" werde. "Eine Entscheidung über die Wiederaufnahme der Ermittlungen ist damit derzeit nicht verbunden", so der Sprecher.
Wie erfolgreich die Justiz bei ihrem neuen Anlauf einer Aufklärung der NSA-Aktivitäten sein wird, ist indes ungewiss. Vor drei Wochen hatte der Generalbundesanwalt bereits die Ermittlungen wegen der Überwachung des Handys von Kanzlerin Angela Merkel durch den NSA eingestellt.
Zwar lagen schon damals starke Indizien für die Ausspähung des Mobiltelefons vor. Weil die USA aber bei der Aufklärung nicht helfen wollten, reichten diese nicht aus. Folglich stellte man die Ermittlungen ein, weil sich "der Vorwurf mit den Mitteln des Strafprozessrechts nicht gerichtsfest beweisen" lässt. Der SPIEGEL hatte im Oktober 2013 basierend auf einem Datenbankauszug der NSA und weiteren Recherchen über den Vorgang berichtet. Die Kanzlerin hatte sich am selben Tag telefonisch bei US-Präsident Barack Obama beschwert.
In Berlin wächst nach den neuen Berichte das Misstrauen im Bundestag. Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, nimmt an, dass neben des Geheimdienstes auch Dienste anderer Länder die Bundesregierung ausspähen.
Er gehe davon aus, dass die NSA-Ausspähungen "direkte Spionage war, bis 2012 zumindest", sagte Sensburg im "Morgenmagazin" der ARD. Das heißt, dass seiner Ansicht nach der deutsche Bundesnachrichtendienst nicht beteiligt war. "Wir müssen prüfen, ob dies immer noch stattfindet, und wir müssen davon ausgehen, dass andere Länder Vergleichbares bei uns machen", sagte Sensburg.
Wirtschaftsminister Gabriel: "Ironisches Verhältnis dazu"
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte ebenfalls in der ARD, er wolle die neuen Informationen überprüfen. "Wir sind misstrauischer geworden. Über Jahrzehnte waren auch westliche Geheimdienste nicht Gegenstand der Spionageabwehr." Im Lichte der Veröffentlichungen des US-Geheimdienstenthüllers Edward Snowden und von WikiLeaks habe sich das geändert. "Mit Beginn dieser Legislaturperiode werden auch westliche Nachrichtendienste daraufhin überprüft, ob sie hier Spionage betreiben", sagte de Maizière.
Der heutige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel äußerte sich gelassen zu den Berichten. "Man bekommt ein ironisches Verhältnis dazu", sagte der SPD-Chef im ARD-"Morgenmagazin". "Wir machen nichts in Ministerien per Telefon, was man abhören müsste." Viel brisanter sei die Frage, ob die NSA auch die deutsche Wirtschaft ausgespäht habe. "Mein Ministerium ist mit zuständig dafür, Unternehmen zu schützen vor Wirtschaftsspionage, und das finde ich das problematischere Thema."