Nach Attentat Kandidatin Reker siegt bei Oberbürgermeister-Wahl in Köln

Henriette Reker hat bei der Oberbürgermeisterwahl in Köln im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Wählerstimmen gewonnen. Damit kann die bei einem Messerangriff schwer verletzte Politikerin neues Stadtoberhaupt werden.
Nach Attentat: Kandidatin Reker siegt bei Oberbürgermeister-Wahl in Köln

Nach Attentat: Kandidatin Reker siegt bei Oberbürgermeister-Wahl in Köln

Foto: PATRIK STOLLARZ/ AFP

Die parteilose Politikerin Henriette Reker hat bei der Oberbürgermeisterwahl in Köln gewonnen. Die 58-Jährige liegt laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 52,7 Prozent deutlich über der absoluten Mehrheit.

Damit setzte sie sich am Sonntag im ersten Wahlgang gegen sechs weitere Bewerber durch. SPD-Kontrahent Jochen Ott gratulierte ihr zum Sieg. Er gewann 32 Prozent der Stimmen.

Die von CDU, FDP und Grünen unterstützte parteilose Reker war am Samstag an einem Wahlkampfstand im Stadtteil Braunsfeld von Frank S. mit einem Messer niedergestochen und schwer verletzt worden.

Gegen den 44-jährigen Attentäter wurde am Sonntagnachmittag Haftbefehl wegen versuchten Mordes erlassen. Der Mann soll voll schuldfähig sein. S. soll aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt und Reker für angebliche Fehler in der Einwanderungspolitik verantwortlich gemacht haben. Reker war bislang als Sozialdezernentin für die Unterbringung von Flüchtlingen in Köln zuständig.

Sie ist nach einer Operation im Kölner Universitätsklinikum nach Angaben des Krankenhauses außer Lebensgefahr, war aber in ein künstliches Koma versetzt worden. Die behandelnden Ärzte teilten am Sonntagabend mit, dass sich ihr Gesundheitszustand positiv entwickele, ein Sprecher Rekers sprach von einer "langsamen Aufwachphase" aus dem künstlichen Koma. Aus dem Umfeld der Politikerin hieß es, ihr Ehemann bringe ihr den Sieg schonend am Krankenbett bei.

Wann Reker ihre Arbeit als Oberhaupt der viertgrößten deutschen Stadt beginnen kann, steht noch nicht fest. Die Ärzte betonten: "Der Heilungsverlauf nimmt bei einer Verletzung dieser Art üblicherweise eine gewisse Zeit in Anspruch."

Scheidender OB Roters: "Nicht unterkriegen lassen"

Die Messerattacke war beherrschendes Thema am Wahltag. Der scheidende Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) rief zu Standhaftigkeit auf. "Es geht jetzt darum, dass wir uns nicht unterkriegen lassen." Die Diskussion um Flüchtlinge in Deutschland werde heftiger, immer häufiger würden Asylbewerberheime angegriffen. "Wir müssen alle gemeinschaftlich darauf achten, dass das Klima des Zusammenlebens nicht beschädigt wird", sagte Roters.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach beklagte eine Zunahme von Angriffen auf Politiker. "Ich bin seit 43 Jahren in der Politik, seit 21 Jahren im Bundestag. Ohne zu dramatisieren: Der Ton wird rauer. Es hat immer wieder Beleidigungen oder Drohungen gegeben, aber nicht in einer solchen Massivität", sagte er dem Kölner "Express".

Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Peter Altmaier (CDU), rief zum Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit auf. "Der Anschlag ist verachtenswert und abscheulich", sagte der Kanzleramtsminister der Funke Mediengruppe. "Auch wenn wir die genauen Hintergründe noch nicht kennen: Wir müssen uns zu jedem Zeitpunkt deutlich abgrenzen von jeder Form von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt."

Grüner Landeschef: "Aus Überzeugung, nicht aus Mitleid gewählt"

In Köln waren mehr als 800.000 Menschen zur Wahl aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei 40,3 Prozent. 2009 stimmten 49,1 Prozent ab, damals wurde mit Roters jedoch nicht nur ein neuer OB gewählt, gleichzeitig stand auch die Kommunalwahl an.

Reker ist die erste Frau, die auf den Chefsessel im Kölner Rathaus gewählt wurde. Zahlreiche Politiker gratulierten ihr zum Sieg: "Eine couragierte und mutige Frau hat gewonnen und noch dazu eine Parteilose, das hat Strahlkraft und Auswirkungen für das Land", sagte der NRW-Vorsitzende der Grünen, Sven Lehmann. "Ich glaube, dass sie aus Überzeugung gewählt wurde, nicht aus Mitleid."

FDP-Parteichef Christian Lindner betonte, Reker werde OB, weil sie "glaubhaft einen Neuanfang für Köln verkörpert, der alte Seilschaften überwindet." Die CDU hoffe nun auf einen schnellen Politikwechsel, sagte der Bundesvize und NRW-Parteichef Armin Laschet.

Video: Augenzeugen beschreiben die Messerattacke auf Reker

SPIEGEL ONLINE
sun/dpa/AFP
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