USA unter Spähverdacht Obama und das Handy der Kanzlerin

USA unter Spähverdacht: Obama und das Handy der Kanzlerin
Foto: YVES HERMAN/ REUTERSBrenzlige Situationen ist der Mann gewohnt. Schließlich ist es Jobroutine für Jay Carney, schlechten Nachrichten noch einen irgendwie positiven Swing zu geben. An diesem Mittwoch aber bewegt sich der Sprecher von US-Präsident Barack Obama auf besonders sensiblem Gelände. Denn Carney muss die Frage nach dem möglicherweise von US-Geheimdiensten überwachten Mobiltelefon der deutschen Kanzlerin beantworten. Das Handy einer befreundeten Regierungschefin.
Sicherheitshalber gibt Carney die Antwort nicht freihändig - sondern liest vom Blatt ab: Obama habe mit Merkel wegen der Abhörvorwürfe telefoniert, und der Präsident habe der Kanzlerin versichert, dass die Vereinigten Staaten ihre Kommunikation weder "überwachen" noch "überwachen werden".
Es ist eine defensive Reaktion, bei der auf jedes Wort zu achten ist. Denn im Raum steht ein schwerwiegender Verdacht, der nicht nur die zwischenstaatlichen, sondern insbesondere die persönlichen Beziehungen zwischen Merkel und Obama belasten könnte. Über Jahre hinweg ist die Kanzlerin möglicherweise Ziel US-amerikanischer Geheimdienste gewesen. Es waren ernstzunehmende Hinweise darauf, die Merkel veranlasst haben, sich telefonisch und also direkt bei Obama zu beschweren. Das ist ein starkes Signal.
"Dies wäre ein gravierender Vertrauensbruch"
Und anders als die Erklärung Carneys klingt jene des deutschen Regierungssprechers Steffen Seibert weit weniger zurückhaltend. Mehr noch, in dieser Härte hat man in dieser Sache von Angela Merkel noch nichts gehört. Seibert im O-Ton:
"Die Bundeskanzlerin hat heute mit Präsident Obama telefoniert. Sie machte deutlich, dass sie solche Praktiken, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht. Unter engen Freunden und Partnern, wie es die Bundesrepublik Deutschland und die USA seit Jahrzehnten sind, dürfe es solche Überwachung der Kommunikation eines Regierungschefs nicht geben. Dies wäre ein gravierender Vertrauensbruch. Solche Praktiken müssten unverzüglich unterbunden werden."

Späh-Verdacht: Angela Merkel und der US-Präsident
Merkel ist offenbar bis an die Grenzen dessen gegangen, was diplomatisch unter Freunden noch geht: "Unmissverständlich missbilligt", "völlig inakzeptabel", "gravierender Vertrauensbruch". Natürlich stets versehen mit dem Wenn-Wort. Alles in allem klingt das nicht gerade so, als sei die Kanzlerin nach dem Gespräch mit Obama beruhigter. Merkels Reaktion, so kommentiert der britische "Daily Telegraph", sei der "signifikanteste Protest eines Staatenlenkers" seit Beginn der Spähaffäre, die durch die Veröffentlichungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden ausgelöst wurde.
Die Verärgerung der Deutschen ist in Amerika angekommen
Tatsächlich besteht auch kein Grund zur Beruhigung. Denn man muss nur genau hinhören, was Obama-Sprecher Carney gesagt hat. Noch einmal: "Der Präsident hat der Kanzlerin versichert, dass die Vereinigten Staaten ihre Kommunikation nicht überwachen und nicht überwachen werden." Da ist von der Gegenwart und der Zukunft die Rede. Was aber ist mit der Vergangenheit? Ist Merkels Telefon in den vergangenen Jahren überwacht worden oder nicht? Eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA wollte auf SPIEGEL-Nachfrage ausdrücklich nicht sagen, ob Obamas Zusicherung des Nicht-Abhörens auch für die Vergangenheit gilt. Auf diesen Punkt wurde am Mittwochabend auch in Berliner Regierungskreisen hingewiesen.
Auslöser der ungewöhnlich scharfen Reaktion der Bundesregierung ist eine aktuelle SPIEGEL-Anfrage im Zuge einer Recherche. Nach einer Überprüfung durch den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hielt die Regierung den Verdacht offenbar für ausreichend plausibel, um die US-Regierung damit zu konfrontieren. In Amerika ist die Verärgerung der Deutschen derweil unmissverständlich angekommen. Das Telefonat müsse "entsetzlich ungemütlich" gewesen sein, bemerkt die "Washington Post". Die "New York Times" kommentiert: Wenn amerikanische Dienste Merkel tatsächlich abgehört haben sollten, "dann könnte das Vertrauen zwischen Berlin und Washington ernsthaft beschädigt sein". Und die großen TV-Sender berichten ausführlich - immer wieder auch mit Verweis auf die besondere Sensibilität der Deutschen mit Blick auf ihre doppelte Diktatur-Vergangenheit.
Im Sommer redete Merkels Regierung die NSA-Affäre noch klein
Falls sich der Vorwurf erhärten sollte, ist die Lage für Obama reichlich pikant. Erst am Montag telefonierte der US-Präsident mit seinem französischen Amtskollegen François Hollande, der ebenfalls "tiefe Missbilligung" ausdrückte. Die Zeitung "Le Monde" hatte zuvor berichtet, die NSA habe mehr als 70 Millionen Telefonate französischer Bürger abgehört; die US-Regierung weist den Bericht als fehlerhaft zurück. Auch Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und Mexikos Regierung hatten schon gegen US-Abhörpraktiken protestiert. Klar ist: Obama verspielt mehr und mehr Glaubwürdigkeit, sogar bei den Alliierten. Dabei war er ja gerade auch angetreten, um Amerikas "Soft Power" wieder herzustellen. Die von der US-Regierung stets vorgebrachte Relativierung, alle Geheimdienste würden sich schließlich entsprechender Methoden bedienen, ist kaum mehr länger haltbar. Denn ganz offensichtlich haben nicht alle Geheimdienste die Möglichkeiten der amerikanischen.
Merkel ihrerseits hat ein ganz anderes Problem: Sie mag zwar nun als Opfer erscheinen, ihre Regierung allerdings hat den ganzen Sommer über die Snowden-Enthüllungen kleingeredet oder gar geleugnet. Manch Ausspruch der vergangenen Monate klingt nun reichlich absurd. So hatte Merkel noch im ARD-Sommerinterview im Juli erstaunt auf die Frage reagiert, ob sie möglicherweise abgehört worden sei: "Mir ist nichts bekannt, sonst hätte ich das schon dem Parlamentarischen Kontrollgremium gemeldet." Ein andermal versicherte sie, dass sie keinen Grund habe "an den Angaben der USA zur Einhaltung deutschen Rechts zu zweifeln".
Allein von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) wurde die Kanzlerin noch übertroffen. So versicherte Friedrich im August, die "Verdächtigungen" hätten sich "in Luft aufgelöst". Es gebe zudem keine Anhaltspunkte, dass deutsche Regierungsstellen abgehört worden seien. Und Pofalla erklärte die Spähaffäre mit großer Geste für beendet: "Die Vorwürfe sind vom Tisch."
Die Versicherung des US-Präsidenten von Anfang Juli, als sich die Affäre zu entfalten begann, klingt im Rückblick recht schal: "Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt", sagte Obama damals, "dann rufe ich Kanzlerin Merkel an."