Ölpest und Griechenkrise Wer zockt, muss zahlen

Ölkatastrophe im Golf von Mexiko: Wer die Sauerei angerichtet hat, muss zahlen
Foto: Gerald Herbert/ APZwei Wellen mit katastrophaler Fracht erreichen im Augenblick einige Küsten der Welt. Im Golf von Mexiko schwappt ein Ölteppich unvorstellbaren Ausmaßes in die Naturschutzgebiete Louisianas im Mündungsgebiet des Mississippi. Und in Europa überrollt gerade eine neue Welle der Finanzkrise Griechenland und bedroht fast die gesamte Südseite des Kontinents.
In den betroffenen Bundesstaaten ist der Notstand ausgerufen, die Armee und der Präsident rücken aus, in Europa aber taumelt die Politik zwischen Agonie und Aktionismus und ist so dabei, die Welle, die am Ende die Gemeinschaftswährung bedroht, noch monströser zu machen.
Beide Katastrophen sind menschengemacht. Sie sind kein Schicksal wie der Ausbruch eines Vulkans auf Island. Und für beide Katastrophen muss das Verursacherprinzip gelten. Wer die Sauerei angerichtet hat, muss maßgeblich an den Mühen und Kosten der Aufräumarbeiten beteiligt werden.
Im Falle der Ölpest vor der amerikanischen Küste funktioniert das Prinzip. Niemand äußert Kritik. Die Verantwortung liegt beim Ölkonzern BP, der jene havarierte Bohrplattform gechartert hatte, die die Katastrophe auslöste. Und beziehungsweise BPs Versicherungen müssen den Einsatz der US-Küstenwache und anderer Experten bezahlen, die mit allem auslaufen, was dazu dienen kann, dem Ölteppich Einhalt zu gebieten. Das hat Barack Obama bei seinem Besuch im Krisengebiet noch einmal unmissverständlich klargemacht.
Im Falle Griechenland funktioniert das Prinzip weniger gut. Warum ist das, was auf hoher See so selbstverständlich ist, in der Hochfinanz überhaupt umstritten? Ja, und die meisten anderen Staaten in Europa haben schlecht gewirtschaftet, haben getrickst und völlig über ihre Verhältnisse gelebt, obwohl sie sich zu etwas anderem verpflichtet hatten, als sie dem Euro beigetreten sind. Deshalb verlangt die Europäische Union, deshalb verlangen die Mitglieder der Euro-Zone von den schwarzen Schafen auch völlig zu Recht, dass sie gefälligst zu Hause aufräumen - Verursacherprinzip eben.
Wie beim Pferderennen gewettet
Die Urschuld, um das klar zu sagen, liegt also bei den Staaten, zuvorderst Griechenland, die mit Schlendrian und Schiebung in die Krise geraten sind oder noch kommen werden. Jede Idee, sie schärfer zu kontrollieren, ist deshalb richtig. Im schlimmsten Fall muss es möglich sein, einem EU-Land das Stimmrecht zu entziehen, wenn der vorgelegte nationale Haushalt den Vorgaben der Stabilität nicht entspricht. Wünschenswert wäre darüber hinaus, dass in notorischen Fällen das Budgetrecht des betreffenden Landes eingeschränkt wird und Brüssel beispielsweise einen Sparkommissar als Emissär und Nebenfinanzminister entsendet.

Zugleich stimmt es aber auch, dass die Spekulanten der internationalen Großbanken das angeschlagene Land aufs Korn genommen und regelrecht zu Tode gehetzt haben. Sie haben wie bei einem Pferderennen gewettet auf Griechenland, Spanien, Portugal - in diesem Fall darauf gehofft, dass der Gaul auf der Strecke zusammenbricht. Sie haben gegen den Euro gewettet.
Es ist noch zwingender als bei der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, dass die Gewinner dieses Spiels an den Kosten der Folgen beteiligt werden. Daran kann es politisch gar keinen Zweifel geben. Und es darf auch kein parteipolitisches Gezänk darüber geben, wer vielleicht schon früher und entschiedener dafür eingetreten ist, die Verursacher am Schlafittchen zu packen und etwa eine Finanzmarktsteuer einzuführen.
Das Gestaltungsmonopol der Regierungen steht auf dem Spiel
Es steht mehr auf dem Spiel als parteipolitischer Geländegewinn. Es steht mehr auf dem Spiel als Griechenland. Es steht mehr auf dem Spiel als der Euro. Auf dem Spiel steht das Gestaltungsmonopol der Regierungen. In den Demokratien der Welt verfestigt sich das Gefühl, dass die Politik dem globalen Casino-Kapitalismus ohnmächtig gegenübersteht. Die Politik muss weltweit klar machen und nachweisen, wer hier die Regeln setzt
Es wird schwierig sein, die akuten Regressansprüche so stichfest zu begründen wie jene gegen in der Ölkatastrophe. Die Zusammenhänge sind komplexer, die Täterschaft ist nicht so eindeutig nachzuweisen. Außerdem fehlt die Instanz, vor der die Politik das Geld der Giganten einklagen könnte. Und es fehlt der Topf, aus dem das Geld kommen müsste. Vielleicht müssten die Großspekulanten und Investmentbanken gezwungen werden, immense Summen in eine Art Rückversicherung einzuzahlen, die einspringt, wenn es zu diesen Katastrophen kommt.

Weil also die Ex-Post-Forderung schwierig ist, ist es umso wichtiger, den Anfängen zu wehren, also die Finanzakteure so schnell wie möglich an die Kette zu legen, damit so etwas nicht wieder passiert. Deren ungehemmtes Weiter-so! nach dem Beinahekollaps der Märkte vor knapp zwei Jahren ist die Quelle des Übels. Diese Quelle muss dringend abgedichtet werden wie die unkontrolliert weitersprudelnde Ölquelle im Golf von Mexiko.
Denn immer noch folgen viele in der Finanzbranche dem Mantra der unbedingten Rendite - vom Top-Investmentbanker bis zum Privatkundenberater einer Feld-Wald-und-Wiesen-Bank.
Wie beim windigen Gebrauchtwagenhändler
Die obszöne Denkweise von Männern wie Fabrice Tourre beherrscht immer noch weite Teile der Szene. Der Goldman-Sachs-Manager hatte Investmentprodukte mit dem Wissen kreiert, dass diese bald höchst wahrscheinlich massiv an Wert verlieren würden - und dennoch an die Kunden verkauft. Gefragt nach seiner Verantwortlichkeit sagte er, es gebe keine Pflicht, Investoren wie die IKB zu beraten. Die seien schließlich "hochaufgeklärt". Mit anderen Worten: Die müssten schon selbst wissen, was sie da kaufen.
Die vormals seriösen Berater sind mancherorts zu Drückern geworden, die neben Finanzprodukten, hinter denen sie selbst nicht stehen, am besten gleich noch Versicherungen mitverkaufen sollen. Es geht dort oft genug zu wie beim windigen Gebrauchtwagenhändler, der einem ahnungslosen Kunden eine überlackierte Schrottkarre zum Wucherpreis als Luxuskarosse verhökert.
"....damit so etwas nicht wieder passiert?" Kommt dieser Satz nicht unselig bekannt vor?
Vor ziemlich genau einem Jahr hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy in einen pompösen Saal eines Londoner Hotels gestellt und ziemlich große Reden gehalten. Sie hat deutlich gemacht, dass mit dem Londoner G-20-Gipfel eine international abgestimmte Politik die Finanzmärkte regulieren muss. Das war nach der ersten Explosion auf den Finanzplattformen der Welt, die Lehman auslöschte. Bis heute ist kaum etwas konkretes passiert. Nicht in London, und nicht in Pittsburgh bei der Folgekonferenz.
Jetzt hat es zum zweiten Mal geknallt. Dieses Mal ist nicht eine Bank dabei kollabiert - ein ganzes Land der Euro-Zone steht erstmals am Abgrund, Dominoeffekte in Europa nicht ausgeschlossen. Wie können Regierungschefs und Staatschefs eigentlich noch so borniert sein, sich gegen eine strenge und stramme Regulierung dieser gefährlichen Finanzgeschäfte zu wehren? Glaubt da jemand, durch schiere Größe oder eine bessere Kenntnis von den Vorgängen in dieser Branche, besser gefeit zu sein als andere? Das wäre naiv. Die Folgen können jeden treffen.
"Systemische" Bedeutung? Das Argument zieht nicht
Bleibt noch, das Lobby-Argument abzuräumen, wenn die Banken jetzt angesichts der in die Verantwortung genommen würden, dann kämen sie selbst ins Wanken. Dieses Argument zieht aber nur für die nun anstehende Nothilfe und kann politisch berücksichtigt werden. Es geht um einen Beitrag und nicht darum, dass die Banken über diesen Beitrag ausbluten. Außerdem werden sie von dem zur Verfügung gestellten Geld am Ende wieder profitieren - weil es dazu beiträgt, dass sie ihr dem griechischen Staat geliehenes Geld auch wiederkriegen.
Dieses Argument zieht jenseits der Akuthilfe aber schon nicht mehr für eine striktere Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Wenn allen neue Fesseln angelegt werden, sind für alle die Wettbewerbsbedingungen wieder die gleichen.
Und generell gilt: Große Geschäfte bergen nicht nur Chancen, sondern eben auch Risiken, auf hoher See und an den Finanzmärkten. BP wird möglicherweise durch diese Ölpest und ihre astronomischen Kosten ebenfalls in existentielle Not geraten, so wie vor 21 Jahren der Konkurrent Exxon nach dessen furchtbarem Tankerunglück vor der Küste Alaskas.
Die Politik muss in der Finanzmarktpolitik ebenso erbarmungslos werden wie sich der amerikanische Präsident gegenüber BP gibt. Wer die Katastrophe mit auslöst, muss für sie bezahlen, und gerate er dabei an den Rand der Existenz. Es kann nicht sein, dass die Verursacher einer Katastrophe unter Berufung auf ihre "systemische" Bedeutung unbeirrt weiterziehen und die Regierungen der Welt auf den Aufräumarbeiten sitzen bleiben.
Denn auch das lehrt die Havarie der "Exxon Valdez" vor über 20 Jahren: Der Ölkonzern Exxon macht längst wieder gute Geschäfte. Aber die Fischer von Alaska warten bis heute darauf, dass sich der Heringsbestand erholt.