Bilanz nach »Zeitenwende«-Rede CDU-Politiker werfen Scholz Trägheit im Umgang mit der Bundeswehr vor

CDU-Politiker Jens Spahn
Foto: ANNEGRET HILSE / REUTERSDrei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – heute vor einem Jahr – hielt Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Rede zur »Zeitenwende«. Er versprach eine verteidigungspolitische Wende, ein wehrfähigeres Deutschland. Nun verteilt die Opposition ein schlechtes Zeugnis, die CDU bemängelt vertane Chancen.
»Die richtigen Worte aus der Rede von Scholz wurden nicht in ein politisches Programm umgesetzt«, sagte der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter der »Augsburger Allgemeinen«. »Die Bundeswehr hat ungeheure Defizite und die Zeitenwende hat bei ihr bislang noch gar nicht begonnen«, sagte Kiesewetter. »Die Truppe hat ein Jahr verloren und ist nun blanker als Anfang 2022.« Kiesewetter bezieht sich damit auf einen Social-Media-Post von Heeresinspekteur Alfons Mais, der am Tag des Kriegsbeginns geschrieben hatte: »Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.«
»Die Flughöhe schon am Folgetag nicht mehr gehalten«
Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) sagte der »Neuen Westfälischen«, die Rede des Kanzlers sei grundsätzlich richtig gewesen. »Ich dachte an dem Tag: Wow, das kann diese Kanzlerschaft prägen«, erinnert sich Spahn. »Leider hat die Bundesregierung die Flughöhe schon am Folgetag nicht mehr gehalten. Der Kanzler bricht seine Versprechen.« Von dem Bundeswehr-Sondervermögen sei bisher »so gut wie nichts verplant« worden.
Laut Kiesewetter ging Scholz bei seiner Rede davon aus, dass russische Truppen die Ukraine innerhalb weniger Tage erobern könnten und »dann an der polnischen Grenze stehen«. Doch es sei anders gekommen. »Als man merkte, dass die Ukraine sich erfolgreich zu Wehr setzte, erlahmte dieser Schwung sofort.«
Scholz hatte wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine einen Richtungswechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr angekündigt. »Wir erleben eine Zeitenwende«, sagte er damals. Im Kern gehe es künftig um die Frage, »ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen«, sagte er in seiner Rede .
Kein Prozess »in Echtzeit«
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wies nun die Angriffe aus der CDU in der »Augsburger Allgemeinen« zurück. Die Kanzlerrede »enthielt ein klares Signal an unsere wichtigsten Verbündeten: Deutschland wird verteidigungspolitisch reifen«, sagte sie. In schnelllebigen Zeiten werde dann verlangt, dass sich dieser Prozess »in Echtzeit« abspiele. »Gerade in der Verteidigungspolitik muss aber ein Teil abseits der Öffentlichkeit geschehen, auch wenn ich verstehen kann, dass der ein oder andere ein Problem damit hat«, sagte Esken.
Aus dem Sondervermögen wurden im Haushaltsjahr 2022 keine Mittel verwendet, allerdings sind laut Verteidigungsministerium inzwischen rund 30 Milliarden Euro verplant. Die Rüstungsindustrie beschwerte sich mehrfach über die schleppende Auftragsvergabe. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte am Sonntag in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin« an, dass die Rüstungsfirmen künftig Abschlagszahlungen für Aufträge erhalten sollen und nicht erst bei Lieferung bezahlt werden. »Das machen wir jetzt in Zukunft. Einfach auch, um zu dokumentieren, dass Geld abfließt«, sagte Pistorius.