Scholz nimmt Kampf gegen Pandemie auf »Da hat er Flagge gezeigt«
Ein Machtvakuum zur Unzeit – Deutschland ist in den vergangenen Wochen bei der Pandemiebekämpfung nicht vorangekommen, weil die alte Regierung nur noch wenig tat, die neue sich erst finden musste und die Länder uneins waren. Hat diese Woche die Wende gebracht?
Martin Knobbe, Der Spiegel: »Was diese Woche immerhin geschafft wurde, ist, dass sich die Zuständigen für die Corona-Politik, nämlich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der noch alten Regierung und der künftigen Regierung endlich mal zusammengesetzt haben und intensiv beraten haben, wie sie das jetzt zusammen angehen wollen. Das sind noch Lücken dabei, da sind Unsicherheiten dabei. Aber es gab jetzt zumindest in zwei Sitzungen, einer informellen und einer offiziellen Ministerpräsidentenkonferenz, gab es den Willen etwas gemeinsam zu schaffen.«
Konkret hat diese Runde unter anderem beschlossen: die flächendeckende Einführung von 2G im Einzelhandel mit Ausnahme der Geschäfte des alltäglichen Bedarfs, in der Gastronomie, in Freizeit- und Kulturstätten wie Kinos oder Konzertsälen sowie eine Beschränkung von Zuschauern bei Großveranstaltungen wie etwa Fußballspielen der Bundesliga. Eine Impfpflicht soll im nächsten Jahr kommen – schon jetzt appelliert Scholz eindringlich an die noch Ungeimpften.
Olaf Scholz, Bald-Bundeskanzler: »Es müssen noch diejenigen sich noch durchringen, sich impfen zu lassen, die das bisher nicht gemacht haben. Und das ist auch an dieser Stelle mein ganz persönlicher Appell, dass wir alle jetzt überzeugen, auch diesen Schritt jetzt zu gehen. Es ist wirklich wichtig. Und wir wissen jetzt endgültig, dass es eine Konsequenz hat, dass ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger sich bisher nicht durchgerungen hat, sich impfen zu lassen.«
Martin Knobbe, Der Spiegel: »Meine größte Überraschung war tatsächlich die Deutlichkeit und Vehemenz mit der Olaf Scholz diese Maßnahmen angekündigt hat. Da war er auch mal rhetorisch stark. Sonst verkünstelt er sich oft in nichtssagenden Sätzen. Das war diesmal nicht der Fall. Man kann Olaf zugutehalten, dass er nun einen Schritt geht, den sich die alte Regierung nicht getraut – obwohl er auch Teil der alten Regierung war, das muss man immer dazusagen. Aber das ist der Schritt hin zu einer allgemeinen Impfpflicht. Das ist ein großer Schritt, einer, der auch risikobehaftet ist, weil es schon viele Leute gibt, die dagegen sind. Mit seiner klaren Willensäußerung hat er da Flagge gezeigt.«
In den Wochen zuvor wirkte Scholz eher zurückhaltend in Sachen Corona und dafür konzentriert auf die Regierungsbildung. Auch das hat sich offenbar geändert.
Martin Knobbe, Der Spiegel: »Jetzt am Wochenende, haben wir gehört, hat er sich mit führenden Virologen und Modellierern zusammengesetzt. Hat sich die Lage sehr genau erklären lassen und hat jetzt einen Plan, nicht nur mit dem Krisenstab, sondern auch mit dem Expertenrat, den er einrichten will, um die Lage einigermaßen in den Griff zu bekommen.«
Seine Vorgängerin Angela Merkel hat zwar in Sachen Corona immer wieder gemahnt und gewarnt – es ist ihr allerdings nicht gelungen, Deutschland gut in den zweiten Pandemiewinter zu steuern.
Angela Merkel, Noch-Bundeskanzlerin: »Ich muss ganz ehrlich sagen, dass wir jetzt in einer so starken vierten Welle sind, das stimmt mich nicht froh. Sondern das bedrückt mich, gerade wenn ich bestimmte regionale Situationen sehe. Deshalb setze ich mich und habe ich mich bis zum Schluss dafür eingesetzt, dass wir diese vierte Welle möglichst schnell brechen.«
Martin Knobbe, Der Spiegel: »Es ist einerseits tragisch, dass Angela Merkel nach 16 Jahren, in denen sie viel geleistet hat, die bedeutsame Jahre waren, jetzt auf dem schlimmsten Höhepunkt dieser Krise abtreten muss. Ich fand ihren Auftritt gestern noch mal klassisch Merkel: nüchtern, aber bestimmt mit einer leichten Ironie. Sie hat der neuen Regierung viel Glück gewünscht und richtige Entscheidungen. Sie hätte sich sicher einen schöneren Abschied gewünscht, und der wäre auch angemessen gewesen.«
Merkel geht – und die neue Regierung steht trotz des ermutigenden Auftritts vom Donnerstag gleich unter großem Zeitdruck. Das neue Infektionsschutzgesetz musste bereits zweimal nachgebessert werden - währenddessen kommen immer mehr Intensivstationen an ihr Limit.
Martin Knobbe, Der Spiegel: »Das Problem ist, dass dieser Prozess furchtbar langwierig ist. Bis die neuen Maßnahmen wirklich verabschiedet sind durch Bundestag und Bundesrat, werden bestimmt wieder ein zwei Wochen vergehen. Und das ist eigentlich Zeit, die man sich in dieser akuten Lage nicht leisten kann.«