SPD-Kandidat in der »Wahlarena« Die unerbittliche Sachlichkeit des Olaf Scholz

Olaf Scholz beim ARD-Auftritt in Lübeck
Foto: Axel Heimken / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Am Dienstagabend ist Olaf Scholz an der Reihe. Nach der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat nun der sozialdemokratische Kandidat in der ARD-»Wahlarena« seinen Auftritt. 75 Minuten lang lässt sich Scholz von Wählerinnen und Wählern befragen. Wie hat er sich geschlagen?
Die Ausgangslage
Der SPD-Kanzlerkandidat geht als Favorit in die Sendung. Es fühlt sich immer noch ein wenig komisch an beim Schreiben, aber so ist im Moment die Lage: Gut möglich, dass der nächste Kanzler Olaf Scholz heißen wird. In den Umfragen liegt er inzwischen eindeutig auf Platz eins. Unwahrscheinlich, dass sein Fernsehauftritt in der ARD-»Wahlarena« daran etwas ändern wird. Dafür müsste er patzen, aber warum sollte er?
Scholz ist viel zu vorsichtig, um etwas zu riskieren, und er hat Erfahrung mit Zuschauerbefragungen. Als Hamburger Bürgermeister stellte er sich regelmäßig den Bürgern. Zwar gehört Empathie nicht zu seinen Stärken, aber das muss ihm nicht schaden. Auf Empathie kommt es in diesem Format nicht an. Die Bürger wollen Antworten auf ihre Fragen haben und kein Mitgefühl.
Das Setting
Die Sendung kommt aus der Kulturwerft in Lübeck. Eine überschaubare Zahl von Zuschauern, die zwischen Plexiglasscheiben brav im Kreis sitzen. Wegen Corona sind weitere Zuschauer aus sechs Außenstellen aus der ganzen Republik zugeschaltet. Die Themen für die Fragen sind mithilfe eines Meinungsforschungsinstituts ausgesucht worden.
Moderiert wird die Sendung von WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni und ihrem NDR-Kollegen Andreas Cichowicz. Viel haben die beiden nicht zu tun. Sie teilen ohne erkennbare Strukturierung die Fragen zu und müssen manchmal dafür sorgen, dass die Antworten nicht zu lang ausfallen. Ehni kann es nicht lassen, die Scholz-Ausführungen am Ende noch einmal kommentierend zusammenzufassen. Als wolle sie Schulnoten verteilen.

Scholz (Mitte) mit Ellen Ehni und Andreas Cichowicz
Foto: Axel Heimken / dpaDer Kandidat trägt seine übliche Uniform: dunkler Anzug, weißes Hemd, offener Kragen. Am Anfang grinst er ein wenig verkrampft sein schlumpfiges Scholz-Grinsen, doch schnell wird er locker. Zwischendurch fällt eine Kamera um. Das Bild wackelt, es scheppert, doch Scholz verzieht keine Miene.
Die Themen
Ein Gastronom aus Hannover hat das erste Wort. Er fragt nach dem Mindestlohn. Fürchtet, dass er den Kaffeepreis von 3,10 Euro auf vier Euro erhöhen muss. Scholz wiegelt ab – und verteidigt seinen Plan, den Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen. Ganz am Ende will ein Zuschauer wissen, wie man dafür sorgen könne, dass Elektroautos bezahlbar würden. Indem sich die Industrie anstrenge, antwortet der Kandidat. Und bis es so weit sei – mit staatlichen Zuschüssen.
Dazwischen geht es eine Stunde und 15 Minuten lang kreuz und quer durch die Politikfelder:
Bundeswehr: Scholz verspricht, die Streitkräfte gut auszustatten. So wie er schon jetzt dafür gesorgt habe, dass der Verteidigungsetat immer wieder angehoben worden sei.
Mehrwertsteuer: Wegen der Krise seien die Steuern auf Speisen vorübergehend gesenkt worden, und wenn es nach ihm gehe, werde das auch so bleiben.
Digitalisierung der Schulen: Müsse unbedingt fortgesetzt werden, auch wenn Corona irgendwann vorbei sei, sagt der Kandidat.
Rente: Eine weitere Anhebung des Rentenalters werde es nicht geben. Nicht mit ihm, verspricht Scholz.
Verrohung der Gesellschaft: Als Kanzler werde er dafür sorgen, das in dieser Legislatur gescheiterte Demokratiefördergesetz durchzusetzen. Und verspricht, gegen Hass im Netz entschieden vorzugehen,
Weltweite Impfgerechtigkeit: »Wir würden nicht viel gewinnen, wenn nur wir uns hier schützen«, sagt Scholz.
Kaum ein Thema wird an diesem Abend ausgelassen.
Die Scholz-Methode
Als die ARD-»Wahlarena« zu Ende ist, fasst ein Zuschauer auf Twitter den Auftritt des Kandidaten so zusammen: »Clever, wie Scholz einlullt! 1. Ich hab dich lieb. 2. Ja, Sie haben recht 3. Immer Betroffenheit ausstrahlen. 4. Immer nicken. 5. Das Gefühl ausstrahlen: Man nimmt den Fragesteller ernst. 6. Ja nicht widersprechen. 7. Wenden Sie sich direkt an mich. So wird man Kanzler!«
Und auch das gehört zur Scholz-Methode: Mit Geld Probleme zu lösen. Man kommt kaum hinterher, hinter den vielen »Aufholpaketen«, die Scholz an diesem Abend aufzählt. Gut, der Mann ist schließlich Finanzminister, das prägt. Auch wenn er Kanzler werden sollte. Dann muss er noch mehr Probleme lösen. Und noch mehr Geld ausgeben.
Der stärkste Moment
Ein Finanzbeamter aus Lübeck meldet sich zu Wort, lächelt freundlich, und bescheinigt dem Kandidaten, doch bisher vor allem von den Fehltritten seiner beiden Konkurrenten profitiert zu haben . Dabei habe Scholz doch genug eigene Fehler zu verantworten. Und er nennt die Stichworte: die Gewaltausbrüche auf dem Hamburger G20-Gipfel, die Affäre um die Cum-Ex-Geschäfte der Warburg Bank, der Wirecard-Skandal. »Kann ich Ihnen vertrauen, dass sich diese Fehler nicht wiederholen?«, will er wissen.
Es ist das einzige Mal an diesem Abend, dass Scholz direkt angegriffen wird. Er könnte jetzt antworten, dass man ihm doch in die Augen schauen solle, um festzustellen, ob man ihm trauen könne. Und tatsächlich antwortet er auch so ähnlich. Er lächelt dabei ein wenig. Doch dann wird er ernst.
Nein, noch wichtiger sei es doch, sagt Scholz, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Und dann zählt er am Beispiel von Wirecard auf, was er alles getan habe, um so einen Skandal in Zukunft zu verhindern. Die Gesetze geändert, der Finanzaufsicht neue Kompetenzen gegeben, einen neuen Mann als obersten Finanzaufseher eingestellt, dafür gesorgt, dass in Zukunft die Wirtschaftsprüfer regelmäßig abgewechselt würden.
Noch irgendwelche Fragen? Nein, keine Fragen mehr. Der Kandidat hat die Vorwürfe erfolgreich unter einem Schwall unerbittlicher Sachlichkeit begraben.
Der schwächste Moment
Doch diese Methode funktioniert nicht immer. Eine Studentin aus Köln meldet sich und will wissen, wie er es als »Klimakanzler« eigentlich vertreten könne, an der klimaschädlichen Kohleverstromung bis zum Jahr 2038 festzuhalten. Wieder versucht Scholz, den impliziten Vorwurf unter einem Schwall von Fakten zu beerdigen.
Da geht es um Stahlwerke, um die Chemieindustrie, um Zementfabriken, um Strom, um Terawatt, um Milliardeninvestitionen und um Atomkraftwerke. Den Zuschauern schwirrt der Kopf. Doch die Zahl 2038 steht am Ende immer noch im Raum. Scholz ein »Klimakanzler«? Die Fragestellerin ist nicht überzeugt. Man sieht es ihr an.
Das Fazit
Nach 75 Minuten hat es Scholz geschafft. Er hat nicht jeden überzeugt, aber er hat sich auch keinen Patzer geleistet. Mit ruhiger und freundlicher Sachlichkeit ist er durch die Sendung gesegelt. Er ist als Favorit reingegangen, er hat nichts falsch gemacht, und so ist er als Favorit wieder rausgekommen. Was will er mehr?