Online-Durchsuchung Karlsruher Kreuzverhör
Karlsruhe - Formal sollte es ja nur um das Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gehen. Die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble geplante Online-Durchsuchung durch das Bundeskriminalamt, erklärte Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem gleich zu Beginn, sei "nicht" Gegenstand des Verfahrens.
Hätten die Karlsruher Richter diese Ansage wörtlich genommen, hätten sie die zahlreich angereisten Abgeordneten, Staatssekretäre und Spitzenbeamten des Bundes und auch die Presse indes bitter enttäuscht. Doch die Richter ergriffen, wie erhofft, die Gelegenheit, um sich umfassend kundig zu machen: über Risiken und Nebenwirkungen von Online-Durchsuchungen im Allgemeinen - und im besonderen über das geplante Bundesgesetz.
Schon in seiner Einführung orakelte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, die "hier zu erörternden und zu entscheidenden Verfassungsfragen" würden "möglicherweise weit über die hier streitgegenständlichen Vorschriften hinaus Bedeutung erlangen".
Ausdrücklich nannte Papier neben den gängigen Grundrechten auf Schutz der Wohnung, des Fernmeldegeheimnisses und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den "grundrechtlichen Schutz der Vertraulichkeit und Integrität des eigenen informationstechnischen Systems".
Muss ein neues Grundrecht her?
Bemerkenswert ist daran, dass diese Formulierung neu ist, und dass es ein solches Rechtsinstitut explizit bislang noch gar nicht gibt. Schon einmal hat das Verfassungsgericht, im Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983, aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht quasi ein neues Grundrecht destilliert: das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung".
Dass die Richter jetzt ähnliches erwägen, machte Papier in seinem Schlusswort deutlich: wie der "Schutz des informationstechnischen Systems" auszusehen habe, woraus er herzuleiten sei und wo seine "legitimen Schranken" liegen, sei "eine der Hauptleistungen", die das Urteil zu erbringen habe.
Nach dem Gang der Verhandlung ist kaum zu erwarten, dass die Verfassungsrichter die Hürden für staatliche Eingriffe in ein solches IT-Grundrecht niedrig ansetzen werden. Äußerst bissig und in seltener Eintracht fragten die Verfassungsrichter immer wieder nach: erst beim Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Passauer Rechtsprofessor Dirk Heckmann, den CDU-Mitglied Papier quasi im Alleingang erledigte ("Gestatten Sie mir die Frage, ob wir vom gleichen Gesetz ausgehen?"), dann auch bei den Vertretern des Bundes, vor allem von Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz.
So wollte Papier von BKA-Präsident Jörg Ziercke ausdrücklich bestätigt haben, dass bei der für das BKA vorgesehenen Online-Durchsuchung die gesamte Festplatte ins Visier genommen wird - und nicht, wie von Heckmann für die nordrhein-westfälische Verfassungsschutz-Variante behauptet, nur die Internet-Kommunikation.
Nicht schützbar: Liebesbriefe, Tagebücher, private Fotos
Der von den Grünen nominierte Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde rieb sich an dem "Zielkonflikt", dass die Bundesregierung einerseits "zuständig sei für die Sicherheit der Informationstechnik" und andererseits solche Sicherheitslücken ausnutzen muss für die Online-Durchsuchung. Man müsse sich nur vorstellen, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entdecke eine Schwachstelle für 60 Millionen Rechner, und gebe sie nicht bekannt, weil das BKA diese für vier Online-Durchsuchungen im Jahr nutzen wolle.
Und der auf SPD-Vorschlag gewählte Reinhard Gaier nahm Bundesverfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm ins Kreuzverhör, der das immer wiederkehrende Argument der "Waffengleichheit" bemühte: Weil Verfassungsfeinde und Kriminelle heute zunehmend über das Internet kommunizierten, brauche man die Online-Durchsuchung, um nicht "hinter das zurückzufallen, was wir in der Vergangenheit konnten".
Die Online-Durchsuchung erweitere doch aber die Möglichkeiten gegenüber dem Abhören von Telefonen, weil man so etwa auch auf längst abgeschlossene Kommunikationsvorgänge zugreifen könne, wollte Gaier wissen. Nein, das sei nichts anderes als eine "virtuelle Observation", versuchte sich Fromm herauszureden. Das sei aber "mehr, als Ihnen bisher erlaubt war", insistierte Gaier, "das ist ein Zugewinn". Zweite Ausrede Fromms: Es verhalte sich wie mit "Papier, das jemand zu Hause rumliegen hat", Widerspruch Gaier: "Auf das sie aber nicht zugreifen konnten". Letztes, entlarvendes Wort des Angeklagten: "Auf das wir hätten zugreifen können, wenn's uns jemand gegeben hätte."
Zu allem Überfluss brachte der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), selbst einer der fünf Beschwerdeführer, einen Kriminalhauptkommissar des BKA dazu einzuräumen, dass bei der Online-Durchsuchung auch die Festplatten gänzlich unbescholtener Bürger durchforstet werden müssten. Ob es vorkommen könne, dass zunächst auch auf falsche Computer zugegriffen wird, wollte Baum von dem Polizisten wissen. Tatsächlich, gab der zu, könne es zu falschen Zuordnungen kommen. Dass man den richtigen Rechner erreicht habe, wisse man erst dann, "wenn mir die Daten, die drauf sind, sagen, das isser". Heiterkeit im Saal.
"Da ist etwas ins Rutschen gekommen"
Entscheidend dürfte letztlich sein, dass die Richter auch hier, wie schon bei der akustischen Wohnraumüberwachung und der Telekommunikationsüberwachung, offenbar besonderen Wert auf den "Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung" legen wollen.
Solche besonders geschützten Dokumente wie etwa Tagebücher, Liebesbriefe oder intime Fotos, das gaben die geladenen IT-Experten einhellig zu Protokoll, sind durch keine technische Vorkehrung zuverlässig von den weniger geschützten Inhalten zu trennen - schon deshalb nicht, weil etwa potentielle Suchworte von den Verdächtigen gezielt zur Verschleierung krimineller Inhalte benutzt werden könnten. "Darauf zu vertrauen, dass man etwas ausfiltern kann, ist naiv", stellte der Mannheimer Professor Felix Freiling fest, "vor allem, wenn man es mit Profis zu tun hat".
Das Problem, wie man Online-Durchsuchungen zulassen, und dabei den persönlichen Kernbereich schützen könne, sei jedenfalls "bisher nicht lösbar", stellte der als Zuschauer anwesende ehemalige nordrhein-westfälische Innenminister Burkhard Hirsch (FDP) nach der Verhandlung fest. "Da ist etwas ins Rutschen gekommen" fasste Hirsch, seinen Eindruck zusammen, "das BKA-Gesetz kann so nicht bleiben."