Online-Durchsuchungen Schäubles Spähpläne - ausgehebelt und zurechtgestutzt
Hamburg - "Steine statt Brot" - so bezeichnen Richter intern die Strategie des Bundesverfassungsgerichts im zähen Ringen mit der Politik um die Grenzen des Rechtsstaats. Die immer neuen und weiterreichenden Ermittlungsinstrumente, die Wolfgang Schäuble in seinem Krieg gegen den Terror verlangt, werden in Karlsruhe nicht rundweg verworfen - aber an so strenge Voraussetzungen geknüpft, dass ihre Erfinder daran nicht viel Freude haben werden. So war es beim Großen Lauschangriff, so war es bei der Rasterfahndung - und so ist es nun bei der heiß umstrittenen Online-Durchsuchung.
Dürfen Ermittler mittels Trojanern die Festplatten der Bürger ausspionieren? Das Ja, das heute Vormittag vom Karlsruher 1. Senat verkündet wurde, ist sehr, sehr steinig.
Formal ging es um die Frage, was Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen in fremden Computern zu suchen haben. Doch die Antwort der Richter richtet sich in Wahrheit an den Bundesinnenminister, der die Online-Schnüffelei für unentbehrlich hält.
Auf den ersten Blick bekam Schäuble sogar Recht. Wegen "überragender Gemeinschaftsgüter" - also wenn andernfalls der Bestand des Staates oder gar eines Teiles der Menschheit in Frage steht - kann ein Zugriff auf mutmaßliche Terroristen-Festplatten gerechtfertigt sein. Und das ist es ja, was den Innenminister umtreibt: Den Staat und seine Bürger vor einem möglicherweise vernichtenden Terrorschlag zu schützen.
Doch Horror-Szenarien zur Rechtfertigung von polizeilichen Übergriffen sind Gedröhne, so lange nicht feststeht, wie ernsthaft wir mit ihnen rechnen müssen. Solange es der rhetorischen Begabung eines Innenpolitikers und der professionellen Phantasie eines BKA-Chefs anheimgestellt ist, Furcht vor einem "jederzeit möglichen" Terrorangriff zu erregen, lässt sich jeder Eingriff immer rechtfertigen - denn seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass alles jederzeit "möglich" ist.
Möglich reicht nicht. Das Bundesverfassungsgericht bindet die Befugnis zur Computer-Spionage selbst im Worst Case an das Vorliegen einer "konkreten Gefahr" - ein Angriff auf Leib und Leben, und zwar auf bestimmbare Personen, auf die Grundfesten des Staates, und zwar auf genau benennbare, muss konkret wahrscheinlich sein. Und wer zum Objekt staatlicher Ausspähung werden soll, muss ebenso konkret in Verdacht stehen, verantwortlich für die Katastrophe zu sein, die sich da anbahnt.
Die Großprojekte des Spannerstaats
Das kleine Einmaleins der polizeilichen Gefahrenabwehr, wie es hier von den Karlsruher Richtern für die Berliner Innenpolitik wiederholt wird, war früher selbstverständlich. Wann eine "konkrete Gefahr" anzunehmen ist, darüber gibt es hundert Jahre höchstrichterliche Rechtsprechung, und Wolfgang Hoffmann-Riem, der Richter, der das Urteil geschrieben hat, war als Polizeirechtsprofessor an der Hamburger Uni dafür verantwortlich, dass kein Student auf den Rechtsstaat losgelassen wird, der Regeln über die "konkrete Gefahr" nicht beherrscht.
Möglich reicht nicht. Ein konkretes Wahrscheinlichkeitsurteil, so ist die Lehre, ist die Prognose zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wobei der Zeitpunkt, schränkt das Gericht ein, nicht unmittelbar bevorstehend sein müsse - aber wengistens in naher Zukunft.
Doch in Berlin sind sie drauf und dran, das kleine Einmaleins des rechtstaatlichen Polizieirechts dranzugeben. Zur "Vorbeugung" gegen Straftaten, so sieht es ein Entwurf aus dem vergangenen Sommer vor, soll das Bundeskriminalamt Computer durchsuchen dürfen. Heute schon werden "Gefährder" in schwarzen Listen der Ermittler geführt. Gefährder ist nach einer amtlichen Definition eine "Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass sie irgendwann irgendeine Untat begehen. Blitzschnell kann aus einem "Gefährder" ein Terror-Verdächtiger werden, und aus einem Terror-Verdächtigen eine Zielperson der Computer-Spionage
Schad- und Spähsoftware
Mit Gefahrenabwehr hat das alles nichts zu tun. "Diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren", sagen die Richter, reichen für schwere Eingriffe nicht.
Wolfgang Schäuble sieht den Karlsruher Spruch als Bestätigung seines Kurses: Nur in extremen Ausnahmefällen, verspricht er, solle von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden. Das wäre der Fall, den das Verfasssungsgericht meint: Ein katastrophales Ereignis steht so konkret bevor, dass man glaubt zu wissen, wer Opfer und wer Täter ist.
Wozu, fragt der Leser des Urteils, fummelt ihr dann noch lange in der Festplatte des mutmaßlichen Terroristen herum? Warum tut ihr nicht endlich etwas gegen die Gefahr? Steine statt Brot für Wolfgang Schäuble: Vielleicht merkt er es jetzt ja selbst, dass er die Vorschrift, die er haben kann, gar nicht braucht.