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Online-Hype Fangemeinde will für Guttenberg marschieren

Doktorwürde erschummelt? Glaubwürdigkeit passé? Was soll's! Die Pro-Guttenberg-Welle rollt und rollt. Im Internet fordern Hunderttausende sein Comeback, am Wochenende wollen die Fans des CSU-Politikers auf die Straßen gehen. Der Hype nimmt bizarre Formen an.
Von Veit Medick, Andreas Niesmann und Oliver Sallet

Karl-Theodor zu Guttenberg

Plagiatsaffäre

Berlin - Alles geht seinen geordneten Gang. Auch bei Rücktritten. Deshalb musste an diesem Donnerstag noch mal ins Schloss Bellevue. Der Bundespräsident wartete dort mit der Entlassungsurkunde. Ein kurzer Dank, ein fester Händedruck, dann war die politische Karriere des über die gestolperten CSU-Stars offiziell beendet.

Für immer? Wer weiß. Gut möglich, dass er irgendwann zurückkommt, so wie andere Polit-Sünder vor ihm auch schon. Er selbst scheint das nicht ganz auszuschließen. Und geht es nach seinen Fans, könnte er eigentlich gleich morgen wieder im Bundespräsidialamt aufschlagen - und sich eine Ernennungsurkunde überreichen lassen.

Für welches Amt auch immer.

Die Pro-Guttenberg-Welle, sie rollt unaufhörlich. Im Internet platzen die Unterstützer-Gruppen aus allen Nähten, bei Facebook fordern Hunderttausende seine Rückkehr, am Wochenende wollen die Hartgesottenen ein paar Städte mit Demonstrationen überziehen. Dass der Christsoziale sich seine akademischen Würden erschummelte, von seiner politischen Glaubwürdigkeit nicht mehr viel übrig ist, manche ihn gar für einen entlarvten Betrüger halten - für Guttenbergs Jünger spielt das keine Rolle.

Im Gegenteil. Sie sehen Guttenberg als Opfer. Der Medien. Der Neider. Des kleinkarierten Spießertums.

Mehr als 500.000 Netzfans wollen Guttenberg zurück

Wohl kaum eine deutsche Facebook-Seite hat in so kurzer Zeit so viele Unterstützer hinzugewonnen wie die Seite "Wir wollen Guttenberg zurück". Rund 510.000 hatten am Donnerstagmittag per Mausklick für ein Comeback des zurückgetretenen Verteidigungsministers gestimmt - das sind immerhin gut drei Prozent aller deutschen Nutzer des sozialen Netzwerks. Zwar ist das Wachstum derzeit nicht mehr ganz so schnell wie noch am Mittwoch, als etwa tausend Facebook-Freunde pro Minute hinzukamen, aber die Guttenberg-Fanseite legt noch immer um etwa hundert Anhänger pro Minute zu.

Dass alle Pro-Guttenberg-Klicker echte Unterstützer des Barons sind, ist unwahrscheinlich, bei solchen Aktionen finden sich in der Regel auch von besonders eifrigen Fans angelegte Fake-Profile, die nur den Zweck haben, die Zahlen zu erhöhen. Überprüfen lässt sich das nicht. Facebook teilte auf Anfrage zu der ersten Unterstützer-Seite "Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg" mit, am Wachstum der Seite sei "nichts gefälscht".

Auf der Pinnwand, wo Nutzer ihre Kommentare hinterlassen können, findet im Sekundentakt ein wahres Dauerfeuer an Solidaritätsbekundungen statt. "Hier gehen die Beiträge schneller ein, als ich lesen kann", freut sich eine Nutzerin. "500.000 Menschen können sich nicht irren", schreibt eine andere. "KT for Alleinherrscher, er weiß, was wir wollen", meint wieder eine andere. Alles ist schön schwarzweiß: Hier das volksnahe Idol, da die graue Politikerkaste. Es ist eine Art Heldenverehrung. Ein Kult. Und manch einer glaubt an baldige Erlösung: "Er wird wiederkommen, stärker als vorher", ist sich ein Fan sicher.

Der virtuelle Hype soll nun auch auf die Straße getragen werden. Per Facebook haben sich Guttenberg-Freunde aus ganz Deutschland am Samstag zu Demonstrationen verabredet. Zeitgleich wollen sie ihr Idol um 13 Uhr unterstützen. Rund 20 Städte umfasst die Liste, in praktisch allen Regionen Deutschlands finden sich Menschen, die für den 39-Jährigen marschieren wollen. Hamburg, Berlin, München - auch im oberfränkischen Guttenberg, dem Heimatort des Freiherrn, ist eine Demo geplant. Ob die Märsche angemeldet sind oder nicht, scheint manchem Aktivisten nicht sonderlich wichtig zu sein. "Leute, es ist SCHEISS EGAL ob die Demos angemeldet sind, oder nicht. Bitte jetzt nicht auf sowas achten. Einfach hingehen!", lautet ein Foreneintrag.

Hinter den Kundgebungen stecken unterschiedliche Veranstalter - auf dem Hamburger Gänsemarkt will die Junge Union aus dem schleswig-holsteinischen Geesthacht für Guttenberg demonstrieren. Deren Vorsitzender Christoph Bähnk ist sich des Erfolgs sicher und hat bei der Hamburger Polizei gleich mal 1000 Personen angemeldet. "Ob Guttenberg ein Betrüger ist, darüber lässt sich streiten", sagt Bähnk. Viel wichtiger sei ihm, den Fokus darauf zu lenken, was er als Politiker erreicht habe. "In Deutschland haben sich Politiker schon Schlimmeres erlaubt und sind immer noch im Amt", sagt Bähnk und hofft, dass Guttenberg schon bald wieder zurückkehrt.

Ist der Hype mehr als eine Momentaufnahme?

Die Seite, mit der der Internet-Hype vor zwei Wochen begonnen hatte, heißt "Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg". Auch sie kann sich vor Unterstützern kaum retten - rund 395.000 Facebook-Nutzer haben bereits erklärt, dass ihnen die Seite gefällt. Gründer Tobias Huch, der auch als Anbieter von Altersverifikationssystemen für Erotik-Web-Seiten in Erscheinung getreten ist, sagte kürzlich, dass er mit so einem enormen Zuspruch niemals gerechnet hätte.

Über mangelnde Unterstützung aus dem Netz kann sich Karl-Theodor zu Guttenberg nicht beklagen. Aber was zählt's? Ist die Verbrüderung mit dem gestrauchelten Hoffnungsträger eine Momentaufnahme? Eine emotionale Eruption, die schon bald vergessen ist? Oder entsteht da etwas Größeres, eine Bewegung gar?

Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin zeigt sich von der Dimension des Fan-Aufstands "überrascht". Anders als etwa bei Stuttgart 21 rebelliere ein Teil der Bevölkerung nicht gegen das Establishment, sondern solidarisiere sich stattdessen mit einem politischen Protagonisten. Der Forscher, der sich seit Jahren mit sozialen Bewegungen beschäftigt, sieht den Hype als nicht unproblematisches Zeichen dafür, dass in der Causa Guttenberg "die Wertmaßstäbe auseinanderfallen". Die Normalbevölkerung verstehe nicht, worin die Brisanz von Guttenbergs Fehler liege, und die Elite schaffe es nicht, das nötige Verständnis zu schaffen. "Es gibt da derzeit keine Vermittlungsbrücke", sagt Rucht.

An einen Erfolg auf der Straße glaubt er dennoch nicht. Er rechne allenfalls mit ein paar symbolischen Grüppchen. "Keinesfalls werden sich die virtuellen Protestler eins zu eins in Straßenmassen übersetzen", sagt Rucht. Netzwerke wie Facebook und Twitter seien "grandiose Instrumente" zur kurzfristigen Vernetzung. Ein Weg, um Menschen von aufwendigeren, riskanteren Aktionen auf der Straße zu überzeugen, seien sie nicht.

"Wir wollen Guttenberg nicht zurück"

Tatsächlich ist der Klick auf den "Gefällt mir"-Button schnell gemacht und kaum mit dem Engagement für eine politische Bewegung oder gar einem Parteieintritt vergleichbar. Doch auffällig ist, dass die Guttenberg-Gegner zumindest in den sozialen Netzwerken in der Minderheit sind.

Nur 30.000 Facebook-Mitglieder hat die Gruppe "Wir wollen Guttenberg nicht zurück". Und die "Studenten und Akademiker gegen Karl-Theodor zu Guttenberg" sind gerade einmal 6400. "Ich versteh Deutschland nicht mehr", schreibt eine frustrierte Gegnerin. "Warum wollen so viele diesen Betrüger zurück?" Andere spekulieren darauf, dass die Sympathiewelle bald wieder abebbt. "Heute Abend beginnt 'Germanys Next Topmodel'. Danach haben zwei Drittel der Unterstützer das ganze eh wieder vergessen", hofft ein Benutzer.

Angesichts ihrer Minderheitsposition setzen manche Guttenberg-Gegner auf streitbare Kreativität. Einer von ihnen hat die Gruppe "Karl-Theodor zu Guttenberg soll neuer Moderator von Wetten Dass werden" ins Leben gerufen. Guttenberg habe ja auch schon die passende Blondine, schreibt er dazu süffisant.

"Dann braucht niemand mehr Michelle Hunziker mit ihrem Sprachfehler zu ertragen."

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