Opposition in NRW Schöner kuscheln mit Rot-Grün

NRW-Ministerpräsidentin Kraft, Stellvertreterin Löhrmann: Einfach abwarten
Foto: Victoria Bonn-Meuser/ dpaSatte Mehrheiten braucht das Land, so lautete jahrzehntelang ein Credo machthungriger deutscher Politiker. Je mehr Prozente, desto besser. Bayern und Baden-Württemberg galten ihnen deshalb als Musterfälle der Parteiendemokratie und die Vorstellung, daran könnte sich irgendwann etwas ändern, war Ketzerei.
Gut anderthalb Jahre ist es nun her, dass die CDU in Nordrhein-Westfalen erst die Mehrheit verspielte und dann mögliche Koalitionsverhandlungen vergurkte. Und mit diesem christdemokratischen Scheitern starb zugleich die Gewissheit der Altvorderen, dass pure Größe schon Macht ist.
Denn Hannelore Kraft übernahm das Ruder am Rhein, bastelte sich eine rot-grüne Minderheitsregierung und erfand die "Koalition der Einladung". Mit wechselnden Partnern wollte sie ihre Politik durchsetzen, anfangs allerdings ließ sie sich vor allem von der Linkspartei tolerieren. "Rot-Grün sucht nützliche Idioten", ätzte daher der Fraktionschef der FDP, Gerhard Papke, vor gut einem Jahr.
Inzwischen sei die Regierung bei ihrer Suche tatsächlich fündig geworden, witzelt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Denn ausgerechnet die Liberalen, die sich im Landtag bislang als besonders unerschütterliche Oppositionelle geriert hatten (Papke selbst ist ein leidenschaftlicher Zwischenrufer), dienen sich öffentlich der Ministerpräsidentin an: Man führe konstruktive Gespräche, sagt Papke.
Spottduell zwischen CDU und FDP
Die gelbe Kehrtwende, die nicht wenig opportunistisch anmutet, erfolgt just zu dem Zeitpunkt, in dem die Linkspartei unter dem Druck niedriger Umfragewerte auf Distanz zu Rot-Grün gegangen ist. Einmal mehr spekulierte NRW in den vergangenen Wochen über mögliche Neuwahlen - und zumindest die FDP scheint dieses Geplänkel ernst genommen zu haben. Vielleicht weil die Demoskopen sie derzeit bei fünf Prozent sehen - und das im Land von Hans-Dietrich Genscher, Burkhard Hirsch, Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle.
Und so signalisieren die Liberalen ausgerechnet auf einem Gebiet Kooperation, auf dem sie noch zu Zeiten der Regierung Rüttgers keine Kompromisse machen wollten: bei den Finanzhilfen für die überschuldeten Kommunen. Papke sieht darin keinen Widerspruch. Der rot-grüne Gesetzentwurf verlange ja auch verbindliche Sparauflagen von den betroffenen Gemeinden, doziert er. Damit gehe es letztlich um "zusätzliche Anreize" zum klugen Haushalten.
"Parteien in Todsangst neigen zu Irrationalitäten", höhnt der CDU-Fraktionsvorsitzende Karl-Josef Laumann. Papke spottet zurück: "Einige schwitzen die Sehnsucht nach einer Großen Koalition aus allen Poren." Es sieht so aus, als könne die SPD gerade wie die berühmte Spinne im Netz hocken und abwarten, welche Fliege sich als nächstes freiwillig verspeisen lässt.
"Alles andere ist Gehampel"
Denn nicht nur Liberale und Linke machen Rot-Grün derzeit das Leben leicht, auch die Christdemokraten kuscheln mit. Im Sommer schlossen sie mit der Minderheitsregierung den sogenannten Schulfrieden und ließen damit ein Prestigeprojekt der Regierung Kraft Wirklichkeit werden: die Einheitsschule. In der CDU-Fraktion stehen die wenigen Konservativen seither allein auf weiter Flur.
Hinzu kommt, dass der Landesvorsitzende der Partei in seiner Funktion als Bundesumweltminister zumeist in Berlin weilt. Dort punktete Norbert Röttgen zwar zuletzt als telegener Cheferklärer der Atomausstiegsdebatte, doch seine nordrhein-westfälische Mannschaft scheint er nicht zu besonderer Bissigkeit anzuhalten. Ein Job am Rhein ist seine Sache möglicherweise ohnehin nicht.
Und daher könnte die Bilanz der Minderheitsregierung kaum besser ausfallen: Von den bisherigen 384 Abstimmungen im Parlament gewann sie 383. "Das sind genau 99,73 Prozent" rechnet ein Mitarbeiter der SPD-Fraktion gerne vor. Nur das Votum über die Zukunft der WestLB ging im Frühsommer des Jahres verloren.
Gefragt, wie lange er der Regierung Kraft denn noch gebe, sagt der Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen, er stelle sich auf die volle Legislaturperiode ein. "Alles andere ist doch Gehampel." Eine Minderheitsregierung sei zwar für alle Beteiligten weitaus anstrengender, als wenn man eine "eigene Mehrheit" habe, aber sie biete auch große Vorteile: "Man muss ständig miteinander reden. Und die Arroganz der Macht kann sich keiner leisten."
Eine interessante Frage ist, wie sich die FDP im Frühjahr verhalten wird. Dann geht es im Landtag um den Haushalt 2012 und damit auch um das einzig verbleibende potentiell wahlkampftaugliche Thema in NRW: "Verantwortungslose Schuldenkönigin" gegen "unverantwortliche Pfennigfuchser". Papke kann sich nach eigenen Angaben inzwischen sogar vorstellen, dem Etat zuzustimmen.
Trotzdem behauptet der Liberale, seine Fraktion bleibe "die eigentliche Opposition" in Düsseldorf - etwa bei der geplanten Verschärfung des Nichtraucherschutzes. "Wir halten ein totales Rauchverbot, das die Kneipenkultur in Nordrhein-Westfalen massiv beschädigen würde, für völlig unnötig", sagt Papke. Doch auch er weiß: Das wird Rot-Grün sicher keine schlaflosen Nächte bereiten.