"Danke dafür, AfD" – Warum Osnabrücker Schüler von rechts angefeindet werden

Dieser Beitrag wurde am 15.05.2019 auf bento.de veröffentlicht.
Der Schulkeller wird zur symbolischen Gaskammer, die Hinweistafeln des Schulgebäudes zur Grenzanlage: In dem Theaterstück "Danke dafür, AfD" verarbeiteten Elftklässler der Gesamtschule Schinkel (GSS) aus Osnabrück das Thema "Rechtsruck in der Gesellschaft" – und werden deshalb jetzt von rechts angefeindet.
Was ist passiert?
Das wollten wir eigentlich die Elftklässler selbst fragen – weil die Schule aber keine Daten weitergeben darf, hat an Stelle der Schülerinnen und Schüler der Schulleiter Udo Cronshagen bento erklärt, wie das Theaterstück zustande kam: "Danke dafür, AfD" sei von einer Theatergruppe aus etwa 15 Schülern des elften Jahrgangs selbstständig erarbeitet worden. Die Schüler hätten dafür Äußerungen, Tweets und Posts von diversen AfD-Politikerinnen und Politikern angeschaut und analysiert.
In dem Stück befassen sich die Schüler zum Beispiel mit der Entwicklung des Hashtags #schießbefehl (Neue OZ ). Die damalige AfD-Chefin Frauke Petry forderte 2016 in einem Interview, dass Polizisten beim illegalen Grenzübertritt von Flüchtlingen notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen sollten. So stehe es im Gesetz. (Spiegel Online)
Nach der Äußerung entstand in den sozialen Netzwerken der Hashtag #schießbefehl. Der Begriff wurde von fast allen großen deutschen Zeitungen adaptiert und verwendet (Schlecky Silberstein ). Sogar internationale Zeitungen berichteten über den "Schießbefehl" – für die AfD kam die enorme Aufmerksamkeit kostenloser Werbung gleich. Die Schülerinnen und Schüler analysierten diese und weitere Entwicklungen und ließen sie in ihr Theaterstück einfließen.
Die drei Aufführungen fanden dann ausschließlich schulintern statt, waren also nur Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schüler zugänglich – und einem Journalisten der "Neuen Osnabrücker Zeitung", der anschließend eine Rezension verfasste (Neue OZ ).
Der Artikel über das Stück verbreitete sich schnell in der rechten Szene. Auf der rechten Nachrichtenseite PI-News ist in einem Artikel von einer "teuflischen Saat" die Rede, von "linken Lehrern und Dozenten" gesät (PI-News ). Vom Schulleiter der GSS, Udo Cronshagen, wird unter dem Artikel ein Foto gezeigt, darunter seine Kontaktdaten. Seitdem erreichen die Schule viele rechte Hassmails. (Neue OZ )
Cronshagen stehe hinter dem Stück, genau wie die Schüler. "Die Jugendlichen haben ihre persönlichen Eindrücke und offenen Fragen in dem Stück verarbeitet, es ist eine Skizze dessen, was sie aktuell gesellschaftlich wahrnehmen." Das Theaterstück sei schulintern durchweg gut angekommen.
Die AfD fühlt sich jetzt ungerecht behandelt.
Im Mitglieder-Magazin "AfD Kompakt" und einer Pressemitteilung der AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag fordert der bildungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Harm Rykena eine Entschuldigung von der Gesamtschule. Die Theateraufführung sei eine ungeheuerliche Falschdarstellung einer demokratisch gewählten Partei und eine eindeutige Verletzung der schulischen Neutralitätspflicht. Rykena kündigte an, das persönliche Gespräch mit den Lehrern und Schülern zu suchen. (afdkompakt )
Wie politisch dürfen Lehrerinnen und Lehrer unterrichten?
Für Lehrer gilt bundesweit ein Neutralitätsgebot, der sogenannte Beutelsbacher Konsens. Lehrerinnen müssen unterschiedliche Meinungen thematisieren und gelten lassen, die Schülerinnen und schüler sollen sich selbst ein Urteil bilden können. Gleichzeitig sind sie verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Außerdem haben sie den Auftrag, Kinder im Geiste der Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Gleichberechtigung zu erziehen. Sie müssen also auch darauf aufmerksam zu machen, wenn in parteipolitischen Texten Grundwerte missachtet werden.
Der Schulleiter findet die Kritik von rechts unangebracht. "Die Schüler haben ihre demokratischen Grundrechte wahrgenommen", sagt er. Angst hätten sie aufgrund der Reaktion der AfD nicht. Sein Eindruck sei, dass sie sehr selbstbewusst mit dem Thema umgingen und sich nicht einschüchtern ließen. Außerdem gäbe es auch viel Zuspruch von außen: "Viele finden unsere kritische Auseinandersetzung gut. Das macht Mut", sagt Cronshagen.
Die Osnabrücker CDU und SPD unterstützen die Schüler.
Der Osnabrücker
Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) sagte, er begrüße es, dass sich die Schüler auf
der Bühne mit den öffentlichen Aussagen der AfD beschäftigten.
Schule solle zwar politisch neutral, nicht aber politisch steril sein,
sagte Griesert. (osnabrueck.de )
Auch
von der SPD gab es Zuspruch. Laut
Patrick Kunze, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Bildung, müsse
Schule den Anspruch haben, junge Menschen für eine kritische
Auseinandersetzung mit jeder Form von Politik zu befähigen. (Hasepost )
Der angekündigte Dialog, den der AfD-Politiker Rykena mit Lehrern und Schülern suchen wollte, fand übrigens bislang nicht statt. Eine rechtliche Klage blieb ebenfalls aus.