Pädophilie-Debatte Gabriel nennt Attacken auf grüne Spitze unanständig

Oppositionspolitiker Trittin (links), Gabriel: "Großen Respekt"
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaBerlin - Die Grünen geraten in der Pädophilie-Diskussion immer weiter unter Druck, nun kommt Rückendeckung vom potentiellen Koalitionspartner. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin in der Debatte in Schutz genommen. Union und FDP könnten offenbar nicht der Versuchung widerstehen, dieses Thema zum Teil ihres Bundestagswahlkampfes zu machen. "Das ist unanständig gegenüber allen, die unter Kindesmissbrauch gelitten haben und leiden", sagte Gabriel der Nachrichtenagentur dpa.
Damit war er in seinen Unterstützungsbemühungen für die angeschlagenen Grünen jedoch noch nicht am Ende: "Ich habe großen Respekt davor, wie die Grünen jetzt mit ihrer eigenen Vergangenheit umgehen", so Gabriel am Dienstag: "Nichts wird beschönigt, alles kommt auf den Tisch."
Wie am Montag bekannt wurde, war Trittin 1981 presserechtlich für ein Kommunalwahlprogramm verantwortlich, das Straffreiheit für gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern forderte.
Unterstützung bekommt die grüne Partei auch von Johannes-Wilhelm Rörig. Der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat den Grünen bescheinigt, mit der unabhängigen Aufarbeitung ihrer Gründungszeit die richtige Entscheidung getroffen zu haben. "Auch schmerzhafte Ergebnisse werden veröffentlicht, das ist genau der richtige Weg", sagte er dem "Tagesspiegel".
Bekannt geworden war der Vorgang aus den achtziger Jahren durch einen Bericht der Politologen Franz Walter und Stephan Klecha, den die Tageszeitung "taz" veröffentlicht hatte. Franz war von den Grünen beauftragt worden, die Pädophiliefälle in der Parteivergangenheit aufzuklären.
Trittin hat die brisante Stelle in dem Wahlprogramm bereits als Fehler eingeräumt. "Die Position ist falsch, war falsch und wurde von uns zu spät korrigiert", sagte er am Montag. Der Grüne war damals Student und Göttinger Stadtratskandidat. Am Dienstag ging er bei der Abschlusskundgebung der bayerischen Grünen zur Bundestagswahl in Augsburg erneut auf das Thema ein. "Wir Grünen, mich eingeschlossen mit der Verantwortung, haben in den frühen achtziger Jahren eine Position vertreten zur Pädophilie, die muss allen Missbrauchsopfern als Hohn erscheinen. Und das ist ein Fehler gewesen."
Angriffe aus dem schwarz-gelben Lager
Seitdem der Fall bekannt ist, müssen sich Trittin, aber auch Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt schwerer Angriffe aus der Opposition erwehren. Zuletzt hatten sich sechs Frauen aus der Union, angeführt von Dorothee Bär, an Göring-Eckardt gewandt. "Als Mutter" dürfe sie zu den Verstrickungen von Jürgen Trittin "nicht schweigen", heißt es in ihrem Schreiben. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, forderte dagegen gleich Trittins Rückzug von der Spitzenkandidatur.
Grünen-Bundeschefin Claudia Roth sprach daraufhin von Scheinheiligkeit. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt diskriminiere offen Schwule und Lesben und hetze gegen Flüchtlinge, meinte Roth. Hasselfeldt habe zusammen mit Unionsfraktionschef Volker Kauder und dem heutigen CSU-Chef Horst Seehofer 1997 im Bundestag gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt. "Von all denen müssen wir Grüne uns nicht sagen lassen, was Moral ist und was verantwortungsvolles Handeln ist", sagte sie.
Im "Tagesspiegel" kommentierte Rörig auch Rücktrittsforderungen an Trittin. Es müsse "in Ruhe und losgelöst vom Wahlkampf und von populistischen Forderungen entschieden werden, wie man auf die Opfer angemessen und sensibel zugeht", sagte er. Wichtig sei, dass die Grünen die Aufarbeitung fortsetzen und Betroffenen die Möglichkeit geben, sich an sie zu wenden und im Forschungsprojekt angehört zu werden.

Auszug aus dem von Trittin verantworteten Wahlprogramm von 1981
Foto: Grüne Göttingen