Papstbesuch Das große Missverständnis
Klarer Fall: Dass der Papst von der Muslim-Bruderschaft so hasserfüllt mißverstanden wurde, ist eine Beleidung der Intelligenz und der Meinungsfreiheit und ein Skandal ohnehin, und es ist fast schon stupide, das zu sagen. Der Papst forderte Gewaltlosigkeit vom Islam und wird mit dem interkonfessionellen Gesprächsabbruch bestraft nichts belegt beklemmender, wie richtig und wichtig der Vortrag in Regensburg war.
Dass ausgerechnet der lächelnde Benedetto von Muslims nun mit Hitler verglichen wird, ist neu. Das war man bisher nur von der englischen Revolverpresse gewöhnt. Und aus deutschen Diskussionen: dass derjenige, der eine andere Überzeugung vertritt, schnell als Faschist bezeichnet wird.
Oder als Verbrecher, wie den Papst die "Kirchenkritikerin" Uta Ranke-Heinemann gerade wieder nannte. Oder als "Gedankenkontrolleur", wie die Grüne Claudia Roth gerade wieder nicht müde wurde, in Mikrophone zu keuchen. Denn das dürfen wir ja nicht vergessen in all dem Rummel um die bösen Moslems der unbeirrte Papst Benedikt ist auch in seinem Heimatland für allerhand Leute Zielscheibe, wird auch bei uns gerne und absichtlich missverstanden, wenn sich politisch Kapital daraus schlagen lässt.
Womit wir bei den unbequemen Wahrheiten im eigenen Lager wären. Claudia Roths Invektiven waren gegen eine Predigt gerichtet, in der der Papst gegen die Profanisierungen der Moderne sprach und gegen einen "Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht". Schon dieser mahnende Hinweis auf Respekt allen Religionen gegenüber genügte unserer grünen Krawallnudel, in höchste Wallung zu geraten.
Womit wiederum belegt wäre, wie Recht der Papst hatte, als er seinen Landsleuten "religiöse Schwerhörigkeit" attestierte. Allerdings gilt das längst nicht nur für Claudia Roth. Schauen wir uns genauer um. Schauen wir uns diejenigen an, die sich bei uns als Gläubige bezeichnen, und schauen wir mit den Augen eines gläubigen Moslems, für den Religion auch immer Ausübung bestimmter Vorschriften bedeutet.
Gebete, Waschungen, kleinere und größere Unbequemlichkeiten, störende Strudel im Alltag, Momente des Innehaltens. Also, wie sieht es bei unseren Katholiken aus, mit Kirchgang, Gebeten, Kommunion, Beichte? Könnte es sein, dass sie vom Islam lernen können?
Stellen wir uns an die Kreuzung Burghauser Straße, Pfarrstraße in Marktl am Inn. Dorthin, wo der Papst einen letzten Abschiedsblick geworfen hat auf sein Heimatdorf.
Mit all den geweißten Spritzbeton-Fassaden sieht das aus jedes andere Straßendorf, wie in Chlodwig Poths Strip "Last Exit Sossenheim". In den Fenstern hängen Weihnachtsdeckchen aus Plastik. Drüber das Schild "Fahrunterricht für Krafträder". Wehmütig wird man hier nicht. Hier gibt man Gas.
Hier ist weder Land noch Stadt, und der bayerische Katholizismus ist weder fromm noch kritisch in dieser gesichtslosen Zwischendrin-Region, die nun überquillt von denen, die das Papstspektakel anzieht, einerseits, die aber anderseits kaum noch die Kirchengebote einhalten.
Was soll denn das für eine Religion sein, würde sich unser Moslem fragen und mit wachsendem Erstaunen zuhören. Was nehmen die denn überhaupt Ernst, wenn sie noch nicht mal das Heiligste Ernst nehmen?
"Man war halt als Kind in der Kirche", sagt die Frau mit dem Lackierer-Betrieb, und sie ist nur eine von vielen. "Jetzt hat man weniger Zeit". Im Prinzip handelt es sich ja nur um eine Stunde, sonntags, oder? "Ab und zu gehen wir ja auch, Weihnachten".
Es ist gar nicht mal so, dass sie Kritik hätte. Sie müsste sich jetzt regelrecht anstrengen, um sich an die Gründe zu erinnern, die heutzutage als Kirchgangsverweigerungsgründe akzeptiert sind, also die Sache mit den Kondomen, und so weiter. Es ist doch eher eine Zeitfrage.
Eine Religionsgemeinschaft, die alle sichtbaren Sitten aufgibt, gerät in eine schwache Lage", sagte der Philosoph Robert Spaemann jüngst in einem SPIEGEL-Gespräch. Unser Moslem jedenfalls würde kopfschüttelnd weiterziehen und den Papst verstehen, der von seinen Landsleuten einen Ruck gefordert hat. Aber die Deutschen haben mittlerweile ein eher lässiges Verhältnis zu Ruck-Reden.
Der sympathische Zahnarzt zum Beispiel. Er hat seine Praxis genau auf dem Schnittpunkt der Kreuzung, die der Papst passieren wird. Vom ersten Stock aus übersieht er alles. Im ersten Stock lehnt seine Frau mit einem Sekt-Kelch im Fenster, absoluter Logenplatz, und daneben steht der Zahnarzt selber. In Gold!
Goldenes Gesicht, goldener Anzug. Das alles ist eine vergoldete Pappmaschee-Replika des Zahnarztes, die ihm von den Helferinnen zum Geburtstag geschenkt worden ist. Anschließend sind sie herumgetanzt um ihren goldenen Zahnarzt. Der echte Zahnarzt lächelt und wartet auf den Papst, der unter ihm vorbeifahren wird.
Katholik? Aber sicher ist er Katholik, hier sind alle katholisch. Kirche? Eher weniger. Und der Papst, der von seinen deutschen Katholiken einen Ruck verlangt? "Na, vielleicht bekehrt er mich ja wieder". Verschmitzte Pause. "Mal abwarten."
Das sind die Kräfteverhältnisse heutzutage im Kernland des Relativismus: Da muss schon der Papst persönlich vorbeikommen und sein Bestes geben, um den goldenen Zahnarzt zurück in die Kirche zu bewegen. Und auch das ist längst nicht sicher. Wer weiß, wie er wirkt auf den Zahnarzt, wenn er vorbei fährt. "Mal sehen, was passiert."
Erst mal soll der Papst die Welt retten, drunter tun sies nicht, die deutschen Katholiken. Da ist der rechtschaffene pensionierte Stukkateur Franz, unten an der Absperrung: "Die Globalisierung sollte er stoppen", sagt er. Nun, das predigen eher die radikalen Imame. Papst Benedetto ist als solcher schon von Amts wegen Globalisierer, denn er ist Chef der größten Organisation des Erdballs.
Eine Milliarde Katholiken insgesamt, Schwerpunkt Afrika, da sind die Deutschen eine durchaus zu vernachlässigende Größe. Im Vergleich zu den Afrikanern seien seine Landsleute doch eher ein schlapper Haufen, sagte der Papst, und da er es feiner sagte und dabei lächelte, verstörte es keinen.
Durch diese aus afrikanischer Sicht gottverlassene, heidnische Horde am Absperrgitter quält sich Bernd aus Chemnitz mit einer mächtigen Plastiktasche voller Benedetto-T-Shirts und weißgelben Vatikan-Auto-Wimpeln. Die Wimpel sind absolut brauchbar für Leute, die es sehr eilig haben, zur Messe zu kommen "die halten bis zu 80 Stundenkilometer aus."
Wie es sonst so läuft? "Einzelkämpfer haben keine Zukunft", sagt Bernd, durchaus gehetzt. Natürlich läge genau hier der Ansatz zu einer Reflexion über das Motto des Papstbesuches, nämlich: "Wer glaubt, ist nie allein", doch Bernd macht gleich klar, dass ihm schon die "Riesenverarsche Sozialismus" gereicht hat. Also Einzelkämpfer. Er zitiert Feuerbach. Er zitiert Nietzsche. Dann sagt er "Wimpel oder T-Shirt, ich muss weiter, der kommt da hinten schon".
Und dann kommt er tatsächlich. Arme werden in die Höhe gerissen, Frauen schreien, ein Kind ruft in seliger Begeisterung hinüber zur weißen Gestalt, die da im Papamobil vorbei schwebt: "Der kann ja fliegen", der Papst winkt, und dann lässt er auch schon den Globalisierungsgegner und den Zahnarzt und die Frau mit den Lacken und all die anderen hinter sich zurück. Und einer stiert auf sein Handy und ruft entgeistert: "Da ist ja gar nichts drauf."
So kann das gehen. Da kann man ihm, dem Nachfolger Petri, so nahe sein, und trotzdem alles verfehlen. So ist das Fazit dieser Papst-Reise durchaus Paradox: Seine Landsleute verstehen ihn genau, handeln aber nicht danach. Und die radikalen Moslems verstehen absichtlich nicht, aber sie handeln wie verrückt.
Zeit für ein Machtwort von oben.