Paragrafensprache Expertenteam übersetzt Jura-Kauderwelsch ins Deutsche
Berlin - Mit gerunzelter Stirn schaut Stephanie Thieme auf einen Monsterparagrafen: "Die augenärztliche Untersuchung der Sehschärfe soll einäugig und beidäugig erfolgen", liest sie daraus vor. Doch anstatt sich darüber zu ärgern, sieht die zierliche blonde Frau Anfang 50 in solchen Sprachungetümen eine Herausforderung. Ab April wird die Rechtsanwältin und Germanistin darauf achten, dass solche Sätze nicht mehr in den Gesetzestexten landen. Sie leitet dann den neu eingeführten Redaktionsstab Rechtssprache beim Bundesjustizministerium.
Sechs Experten der Gesellschaft für deutsche Sprache und zwei beim Justizministerium angestellte Germanisten werden künftig Sätze verschlanken und auf Verständlichkeit achten. Auch die Mitarbeiter der anderen Bundesministerien sollen von den Sprachwissenschaftlern unterstützt werden. Das Neue an dem Projekt: Die Sprachberatung beginnt schon bei der Entstehung der Vorschriften. Bisher werden die Gesetze vom Redaktionsstab des Bundestags geprüft, wenn sie schon so gut wie fertig sind. Dann ist es meistens schon zu spät: "In dem Stadium kann kaum noch sprachlich Einfluss genommen werden. Es sind wenn überhaupt nur noch kosmetische Reparaturen möglich", sagt Thieme. Außerdem können dort längst nicht alle Gesetze geprüft werden. Phasenweise war der Stab nur mit einer halben Stelle besetzt.
"Zum Haushalt gehörende Personen"
Thieme blättert weiter und zeigt angewidert auf ein anderes Beispiel dafür, dass Juristerei und gutes Deutsch nicht unbedingt zusammen gehören: Ein Paragraf, der drei Seiten lang ist. "So verschachtelte Vorschriften verstehen sogar Anwälte und Richter kaum", sagt sie. Am meisten stört sie die Unübersichtlichkeit vieler Gesetze und dass es oft falsche sprachliche Bezüge gibt. Um das zu ändern, wurde vor zwei Jahren ein Pilotprojekt gestartet.
Geprüft wurde, ob Gesetze verständlicher werden, wenn früher sprachlich Einfluss genommen wird: Beim neuen Versorgungsausgleichsgesetz waren die Sprachberater deswegen von der ersten Zeile an dabei. Geregelt wird darin die Aufteilung der während der Ehe entstandenen Rentenansprüche nach einer Scheidung. Ein Erfolg für Thieme, die das Projekt geleitet hat. Denn für das Gesetz gab es viel Lob.
Ganz ohne Amtsdeutsch geht es allerdings auch in Zukunft nicht: "Natürlich sind auch schwierige Passagen enthalten. Gesetze sind eben eine Fachsprache", sagt die Anwältin. Das liege vor allem daran, dass sie eine unbestimmte Anzahl von abstrakten Fällen regeln. Zumindest ein Jurist sollte sie aber beim ersten oder zweiten Anlauf verstehen. Und was spreche schon dagegen, "Haushaltsmitglieder" zu schreiben, anstatt "die zum Haushalt gehörenden Personen", sagt sie und lacht.
Manchmal muss Thieme auch kapitulieren: "Versorgungsausgleich heißt immer noch Versorgungsausgleich. Ein missverständliches Wort", bedauert sie. Der Laie denke dabei an Unterhalt und nicht an Rente. Manche Wörter können aber nicht geändert werden. Das hätte eine Reihe von weiteren Gesetzesänderungen zur Folge. "Auch 'von Amts wegen' wird weiterhin 'von Amts wegen' heißen", sagt sie. Der Grund dafür ist jedoch ein anderer: "Es gibt einfach kein umgangssprachliches Wort mit gleicher Bedeutung."
Misstrauen ist groß
Es sei außerdem oft schwierig, sich mit den Referenten in den Ministerien zu einigen. Der Redaktionsstab im Bundestag ist nicht außerordentlich bekannt. "Bisher hat er eher ein Schattendasein geführt", sagt Thieme. Sie vermutete deshalb, dass viele auch dem neuen Beratungsangebot misstrauisch gegenüber stehen werden. Schon beim Entwurf des Gesetzes zum Versorgungsausgleich wurde teilweise über eine Stunde lang über einen einzigen Satz diskutiert.
Doch Thieme gibt sich kämpferisch. Sie hat in ihrem Leben schon ganz andere Herausforderungen gemeistert: Die Anwältin, die zuvor als Lektorin in einem Belletristik-Verlag gearbeitet hat, fing erst mit 37 Jahren an, Jura zu studieren. Nach dem Referendariat hat sie dann ihre eigene Kanzlei "Jurati" gegründet. "Viele Referenten in den Ministerien haben Angst, dass die sprachliche Beratung nur unnötig Zeit kostet. Doch diejenigen die sich bisher darauf eingelassen haben, waren meistens positiv überrascht", sagt sie.
Gesetze sollen verständlicher werden
Vorher | Nachher |
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Der Entwurf sieht davon ab, im Rahmen der Absätze 3 bis 5 ein bloßes entgeltliches Nutzungsverhältnis der Ehegatten untereinander zuzulassen. | Der Entwurf sieht davon ab, im Rahmen der Absätze 3 bis 5 ein bloßes entgeltliches Nutzungsrecht der Ehegatten für die Wohnung zuzulassen. |
Die Ehezeit endet am letzten Tag des Monats vor Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags. | Die Ehezeit endet am letzten Tag des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags. |
Die augenärztliche Untersuchung der Sehschärfe soll einäugig oder beidäugig erfolgen. | Die augenärztliche Untersuchung der Sehschärfe soll ein oder zwei Augen umfassen. |
Zur Erfüllung eines kurzfristig auftretenden Datenbedarfs für Zwecke der Vorbereitung und Begründung anstehender Entscheidungen oberster Bundesbehörden dürfen Bundesstatistiken ohne Auskunftspflicht durchgeführt werden, wenn eine oberste Bundesbehörde eine solche Bundesstatistik fordert. | Werden kurzfristig Daten benötigt, um anstehende Entscheidungen der obersten Bundesbehörden vorzubereiten und zu begründen, dürfen Bundesstatistiken ohne Auskunftspflicht durchgeführt werden, wenn eine oberste Bundesbehörde eine solche Bundesstatistik fordert. |
An welchen Gesetzentwürfen die Sprachwissenschaftler demnächst arbeiten werden, will das Bundesjustizministerium nicht sagen. Doch das ist Stephanie Thieme eigentlich auch egal. "Dass ein bestimmtes Rechtsgebiet sprachlich komplizierter ist als andere, stimmt nicht" sagt sie. Es gebe überall einfache und schwierige Bereiche, die geregelt werden müssen. Natürlich hat sie auch für die augenärztliche Untersuchung eine Verbesserung parat: "Die Untersuchung soll nicht ein- oder zweiäugig erfolgen, sondern sie soll ein Auge oder zwei Augen umfassen."