

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Wer kann am besten Apokalypse?



"Weltkrieg" stand am Sonntag über dem Leitartikel der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Weltkrieg III." lautete am Montag die Titelzeile des "Handelsblatts". Ist es wieder so weit? Müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir den nächsten Bunkerplatz erreichen? Ist es an der Zeit, dass wir uns vorsorglich mit Konserven eindecken?
132 Menschen sind in Paris dem Terror zum Opfer gefallen, über 90 ringen noch um ihr Leben. Das sind schreckliche Zahlen. Wer an das Leid der Menschen denkt, die einen Angehörigen verloren haben oder am Klinikbett bangen, dem kann es die Tränen in die Augen treiben. Aber wird der 13. November deshalb in die Geschichtsbücher als der Tag eingehen, an dem in Europa der Dritte Weltkrieg ausbrach? Stehen wir wirklich an einer Epochenschwelle, die nur mit Juli 1914 und September 1939 vergleichbar ist? Und wenn dem so wäre: Wie kann es sein, dass die meisten Menschen in Deutschland ihren Alltagsgeschäften nachgehen, als seien sie von all dem nicht wirklich betroffen?
Die Gespräche gestern, erlauscht am Münchner Odeonsplatz: die Vorbereitung für die nächste Juraklausur, der neue Bond-Film, das Liebes-Aus im Hause di Lorenzo. Sind die Leute gefühllos? Lesen sie keine Zeitungen?
Wir haben Erfahrung mit Weltkriegen
Wir Deutschen haben unsere Erfahrungen mit Weltkriegen, vielleicht liegt das Wort deshalb so nah. Zum Glück sind allerdings auch die Verantwortlichen in den Redaktionsetagen so gründlich pazifiziert, dass dort niemand mehr weiß, wie es ist, wenn Bomben fallen. In keiner großen Zeitung in Amerika oder England käme man auf die Idee, wegen der Toten in Paris den Dritten Weltkrieg auszurufen, nicht in der "New York Times", nicht im "Guardian".
Wenn das, was wir erleben, ein Weltkrieg ist, dann hat er nicht am Freitag begonnen, sondern spätestens vor 14 Jahren, mit dem Anschlag in New York. Auch danach gelangen dem islamistischen Terrorismus einige Anschläge, die es gerechtfertigt hätten, vom Krieg in Europa zu reden: In Madrid kamen 191 Menschen ums Leben, als die Attentäter vier Vorortzüge in die Luft sprengten. In London starben 52 Menschen bei einer Serie von Selbstmordattentaten während der morgendlichen Hauptverkehrszeit, über 700 Menschen wurden schwer verletzt.
Die Wahrheit ist: Es herrscht immer erst Krieg, wenn er so nahe rückt, dass man glaubt, ihm nicht mehr ausweichen zu können. Und es wird nicht mit Paris enden. Nur der sonnigste Optimist kann annehmen, dass wir Deutsche auf Dauer vom Terror verschont bleiben. Was schreibt man, wenn es Deutschland trifft oder wir, was noch schlimmer wäre, in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland schlittern? Noch mehr Weltkrieg, jetzt erst recht? Das ist das Problem der rhetorischen Verausgabung: Am Ende fehlen einem die Worte, wenn man sie am dringendsten braucht.
Wir werden nun aufgerufen, unsere Werte zu verteidigen. Gegen die geistige Mobilmachung im Angesicht der Gefahr ist nichts einzuwenden. Aber was heißt das?
Von den Briten Contenance lernen
Man kann in der Hinsicht viel von den Briten lernen. Wir auf dem Kontinent haben es vergessen, aber zwischen 1974 und 1996 gab es in London mehr als ein Dutzend Anschläge, in diesem Fall ausgeführt von der IRA, um das öffentliche Leben zum Stillstand zu bringen. Getroffen wurden Pubs, Busse, das Kaufhaus Harrods. Statt sich in die Angst zurückzuziehen, behielten die Briten Contenance und führten ihr Leben ungerührt weiter, als wäre der Terror eine zwar gelegentlich tödliche, aber doch alles in allem eher unangenehme Begleiterscheinung des täglichen Lebens.
Eine Alternative für alle, die für diesen Heroismus des Alltags nicht taugen, wäre die Entscheidung, den Krieg zum Feind zu tragen. Der Gegner, mit dem wir es zu tun haben, ist nicht gesichts- und gebietslos, wie es immer über den modernen Terrorismus heißt. Er verfügt über ein Territorium von der Größe Großbritanniens, von dem aus er seine Anschläge plant und seine Anhänger rekrutiert. Man muss keinen Weltkrieg anzetteln, um mit dem IS aufzuräumen. Eine entschiedene Polizeiaktion würde reichen, wenn man den Leuten glauben darf, die sich vor Ort auskennen. Wir haben es schließlich nicht mit einer hochgerüsteten Militärmacht zu tun, sondern mit 30.000 Freischärlern, von denen viele zum ersten Mal ein Gewehr in der Hand halten.
Um wehrlose Jugendliche in einem Konzertsaal zu erschießen, reicht die Kampferfahrung des fanatisierten Zauselbarts, um gegen einen Elitesoldaten der KSK oder der Legion étrangère zu bestehen eher nicht.
Aber das ist ein weiteres Problem von Schreckensvokabeln wie "Weltkrieg": Sie lassen den Feind größer erscheinen, als er ist, und den Mut der Bedrängten und Belagerten sinken. Wenn die Deutschen "Weltkrieg" hören, lassen sie alle Hoffnung fahren, man könne mit Waffengewalt etwas ausrichten. Statt von "Kampf" reden sie dann nur noch von "Ausgleich" und "Verhandlung". Ist das am Ende das Ziel?
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Der Terror liegt drei Tage zurück - an diesem Montag kehrten viele Pariser in ihren Arbeitsalltag zurück: Überall in Frankreich und vielen anderen Ländern gedenken die Menschen der Toten von Paris mit einer Schweigeminute.
Hier haben sich die Leute vor dem Café Le Carillon in Paris versammelt, wo am Freitag viele Menschen erschossen wurden.
Vielen, die vor dem Le Carillon während er Schweigeminute stehen, sind Trauer und Entsetzen noch immer deutlich anzusehen.
Während der Schweigeminute um 12 Uhr mittags hält ein Mann eine Karte mit der Aufschrift: "Paris, ich liebe dich". Und eine Rose, wie sie derzeit zu Tausenden in der Stadt abgelegt werden.
"Ich bin das Zusammenleben", steht auf diesem Schild, angelehnt an den Satz "Ich bin Charlie", mit dem sich nach den Anschlägen auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Januar weltweit Menschen mit den Zeichnern solidarisierten.
Die wichtigsten Vertreter der französischen Politik beteiligen sich an der Schweigeminute: Hier Frankreichs Präsident Hollande, Premier Valls und andere Regierungsmitglieder in der Universität Sorbonne in Paris
Die Franzosen bekommen etliche Solidaritätsbekundungen von internationalen Partnern und aus aller Welt. Auf einer Konferenz zum 70-jährigen Bestehen der Unesco in Paris wird der Opfer in Stille gedacht.
Anteilnahme auch aus Antalya, wo sich der spanische Premier Rajoy, die deutsche Kanzlerin Merkel, EU-Ratspräsident Tusk, Frankreichs Außenminister Fabius, EU-Kommissionspräsident Juncker, der britische Premier Cameron und der italienische Amtskollege Renzi zur Schweigeminute aufreihen.
In Madrid versammeln sich die Mitarbeiter der Stadtverwaltung vor dem Rathaus.
In Berlin, am Brandenburger Tor, vor der französischen Botschaft zeigen Hunderte ihre Solidarität mit Frankreich und den Opfern.
Auch an der Station Liverpool Street in London steht das Alltagsleben für einen Moment still.
Gleichzeitig geht die Fahndung nach den mutmaßlichen Tätern und Hintermännern weiter. Belgische Polizisten haben im Stadtteil Molenbeek in Brüssel zahlreiche Häuser durchsucht - mehrere der Attentäter von Paris sollen hier zuletzt gelebt haben.
Über die Attentäter und mögliche Hintermänner gibt es immer mehr Informationen. Dieses Bild zeigt den belgischen Terroristen Abdelhamid Abaaoud: Er soll Berichten zufolge Drahtzieher der Anschläge von Paris sein. Abaaoud reiste schon Anfang 2013 nach Syrien und stieg in den Reihen des "Islamischen Staates" (IS) auf. Derzeit soll er sich wieder in Syrien aufhalten.
Der 26-jährige Franzose Salah Abdeslam ist derzeit auf der Flucht, nach ihm wird per internationalem Haftbefehl gesucht. Es ist noch nicht erwiesen, ob Salah Abdeslam einer der Attentäter von Paris war. Er hatte aber unter anderem den VW Polo gemietet, mit dem die Todesschützen zur Konzerthalle Bataclan fuhren.
Zum Pariser Stadtbild gehören derzeit bewaffnete Soldaten, wie hier vor dem Wahrzeichen der Stadt, dem Eiffelturm.
Auch vor dem Triumphbogen ist massive Präsenz von Sicherheitskräften zu beobachten.
Sicherheitskräfte vor dem Louvre: Präsident Hollande hatte nach dem Terror den Ausnahmezustand ausgerufen.
Ein Herz und das Wort "Courage" ("Mut") stehen neben einem Einschussloch auf dem Fenster des Restaurants Casa Nostra in Paris - auch hier haben die Terroristen das Feuer eröffnet.
Im Konzertsaal Bataclan ermordeten die Terroristen die meisten Menschen. Warum ausgerechnet diese Konzerthalle zum Ziel der Angreifer wurde, ist noch nicht ganz geklärt. In dem IS-Bekennerschreiben heißt es zur Begründung, das Konzert sei eine "perverse Feier". Es gibt aber auch Hinweise auf einen antisemitischen Hintergrund.
Die Stadt steht unter Schock: In einigen Cafés in Paris bleiben an diesem Montag alle Stühle leer.
Über die Attentäter und mögliche Hintermänner gibt es immer mehr Informationen. Dieses Bild zeigt den belgischen Terroristen Abdelhamid Abaaoud: Er soll Berichten zufolge Drahtzieher der Anschläge von Paris sein. Abaaoud reiste schon Anfang 2013 nach Syrien und stieg in den Reihen des "Islamischen Staates" (IS) auf. Derzeit soll er sich wieder in Syrien aufhalten.
Foto: Islamistisches Propaganda-MagazinDer 26-jährige Franzose Salah Abdeslam ist derzeit auf der Flucht, nach ihm wird per internationalem Haftbefehl gesucht. Es ist noch nicht erwiesen, ob Salah Abdeslam einer der Attentäter von Paris war. Er hatte aber unter anderem den VW Polo gemietet, mit dem die Todesschützen zur Konzerthalle Bataclan fuhren.
Foto: Police Nationale/ REUTERSMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden