Parteidissidenten Merz und Clement rechnen mit CDU und SPD ab

Die früheren Spitzenpolitiker Friedrich Merz und Wolfgang Clement sehen die Volksparteien CDU und SPD auf falschem Kurs. Merz warf Kanzlerin Merkel im SPIEGEL-Doppelinterview fehlenden Mut und Entscheidungsschwäche vor. Ex-Sozialdemokrat Clement kritisierte die Hartz-Korrekturen der SPD.
Wolfgang Clement und Friedrich Merz: Scharfe Kritik an CDU und SPD

Wolfgang Clement und Friedrich Merz: Scharfe Kritik an CDU und SPD

Foto: Maurice Weiss / Ostkreuz

Friedrich Merz

Wolfgang Clement

CDU

SPD

Hamburg - und : Sie waren einst führende Köpfe in der deutschen Politik, Merz für die , Clement für die . Aber beide zogen sich enttäuscht zurück, Clement sogar durch einen Parteiaustritt - im Doppelinterview mit dem SPIEGEL rechnen die beiden jetzt mit dem Kurs der beiden Volksparteien ab.

Angela Merkel

Der frühere CDU-Wirtschaftsexperte Merz übte ungewöhnlich scharfe Kritik an Bundeskanzlerin . Die großen Themen lägen auf der Straße, sagte der frühere Unionsfraktionschef: "Es fehlt nicht an historischen Projekten. Es fehlt am Willen. Wo ist der Regierungschef, der sich hinstellt und sagt: Liebe Freunde, wir haben folgende Probleme, erstens, zweitens, drittens, und ich stelle mir die Lösung so vor: erstens, zweitens, drittens."

Merz stellte in Frage, dass Merkel dereinst im historischen Vergleich mit den Bilanzen bisheriger Bundeskanzler mithalten kann. Gemessen an ihrem Gestaltungswillen frage er sich wie viele in der CDU: "Was bleibt von Angela Merkel? Wofür steht sie so klar und ohne jede Einschränkung, dass sie auch bereit wäre, dafür ihr Amt zu riskieren?" Bei Adenauer, Erhard, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder sei das klar gewesen. Alle Kanzler bis auf Kurt Georg Kiesinger hätten "mindestens ein großes zentrales Thema gehabt, mit dem sie identifiziert wurden, ein Projekt, das geblieben ist".

Merkels Vorgänger Gerhard Schröder sei bereit gewesen, "seine Kanzlerschaft für seine Überzeugungen aufs Spiel zu setzen". Das verbinde Schröder mit Helmut Kohl.

"Auch für Kohl gab es Themen wie die deutsche Einheit und die Europapolitik, die nicht nach Umfragen gemacht wurden, sondern nach Überzeugungen." Wo, fragt Merz weiter, "ist heute die deutsche Europapolitik? Wo ist heute eine konzeptionell und langfristig angelegte deutsche Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik?" Merz fordert eine "Fundamentalreform" des Gesundheitswesens. In diesem Bereich ticke "sozialpolitisch die größte Zeitbombe in unserem Land".

Dringende Ratschläge an die CDU

Merz machte sich für eine Reform zugunsten einer Kopfpauschale stark, von der die Union inzwischen abgerückt ist. "Ich kann meiner Partei nur dringend raten, sich dieser Debatte wieder von den Fakten her zu nähern und nicht von den Schlagworten." Seiner Partei warf er vor, unter dem Vorsitz Merkels profillos geworden zu sein. "Es kann nicht der einzige Sinn und Zweck einer politischen Partei sein, in jedem Fall in der Regierung zu sein, egal mit welchem Ergebnis, egal mit welcher Politik und egal mit welchem Koalitionspartner."

Die Wahlenthaltung von fast einem Drittel der Wähler bei der letzten Bundestagswahl habe gezeigt, "dass hier ein großes Defizit gerade bei der Union gesehen wird". Merkel vergraule Stammwähler. Um dies zu erkennen, müsse "man keine Ausbildung als Parteiforscher haben".

Er wünsche sich, dass die CDU "die strukturelle Mehrheitsfähigkeit nicht verliert und dass sie die politische Heimat auch für die Wertkonservativen und für liberale Geister" bleibe, sagte Merz, der 2009 nach Querelen mit Merkel aus der Politik ausschied.

"Es war eine Qual"

Clement warnte die SPD wenige Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor einer Koalition mit den Grünen. Über seine Zeit als Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition an Rhein und Ruhr sagte Clement: "Es war eine Qual. Es gab kein Verkehrsprojekt, kein Infrastrukturprojekt, kein Energieprojekt, über das wir nicht gestritten haben", sagte der frühere Bundeswirtschaftsminister, der im November 2008 nach heftigem Disput mit seinen Genossen aus der SPD austrat. Die Grünen seien für ihn "maßgeblich daran Schuld, dass hierzulande Zukunftsängste, Innovations- und Risikoscheu grassieren".

Clement kritisierte zudem, dass die Sozialdemokratie von der Agenda-Politik zu den Hartz-Gesetzen abgerückt ist. "Keine einzige Korrektur, die jetzt vorgeschlagen wird, ist richtig", sagte er mit Blick auf die jüngsten Beschlüsse der SPD. "Keine einzige dieser Korrekturen führt auch nur zu einem einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz." Während die SPD die Wahl in Nordrhein-Westfalen zu einer Abstimmung gegen die Kopfpauschale im Gesundheitswesen machen will, sprach sich Clement für deren Einführung aus. Die Kosten für Gesundheit müssten von den Arbeitskosten gelöst und der Ausgleich von oben nach unten durch das Steuersystem hergestellt werden, sagte er. "Beides geschieht durch die Gesundheitspauschale. Deshalb ist sie der Bürgerversicherung der SPD vorzuziehen."

Skeptisch äußerte sich Clement auch über den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel - allerdings nicht so deftig wie Merz über Merkel. "Er hat ein ausgesprochen gutes Gefühl für aktuelle Stimmungslagen. Ich bin aber nicht sicher, ob es ihm damit gelingen wird, die SPD aus dem tiefen Tal herauszuführen und auf einen Kurs zu bringen, den ich sozial-liberal nenne." Davon sei die Partei momentan "weit entfernt".

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