Parteienrecht Wahlleiter legt Pauli und Provokateure lahm
Berlin - Ein Mann mit Macht nimmt keine Entscheidung zurück. Daran lässt Roderich Egeler, 59, keinen Zweifel. Der Bundeswahlleiter hat seine Bittsteller zur Anhörung geladen - und zerstört ihre Hoffnung binnen Sekunden. "Der Ausschuss kann eine einmal gefällte Entscheidung nicht revidieren", sagt Egeler. Nicht einmal für Gabriele Pauli, die persönlich zum Termin in Raum 1.302 des Deutschen Bundestags angereist ist.

Gabriele Pauli im Wahlausschuss: Eine "unangemessene Entscheidung"
Foto: A3818 Klaus-Dietmar Gabbert/ dpaSeinen Gästen, verliest der Vorsitzende demonstrativ gelassen, stehe es natürlich frei, Einspruch einzulegen. Nach der Bundestagswahl. Dann, wenn alles gelaufen ist.
Es ging an diesem Donnerstag um alles: Für Pauli und ihre quasi über Nacht gegründete Freie Union. Und für die Grauen, die als Seniorenpartei zur Bundestagswahl antreten wollen. Auf der einen Seite steht der Bundeswahlausschuss, ein neunköpfiges Gremium, das über die Zulassung politischer Parteien zur Bundestagswahl entscheidet. Auf der anderen Seite kämpfen mehrere Mini-Parteien um ihr Recht, gewählt zu werden, um Mitbestimmung, um die hauchdünne Chance auf politisches Gewicht.
Während sich die etablierten Parteien dieser Prozedur nicht mehr unterziehen müssen, waren es in diesem Jahr 52 Mini-Vereinigungen, die auf dem Wahlzettel stehen wollten und sich bei Egeler beworben hatten - so viele wie nie zuvor. Über zwei Drittel lehnte der Wahlleiter ab. Mitte Juli verwehrte er 31 Kleinparteien die Zulassung zur Bundestagswahl.
Neben den Grauen und der Pauli-Partei traf es unter anderem die anarchistische "Allgemeine Pogo Partei Deutschlands" (APPD), die "Bürger-Partei Deutschland" (BPD) und die PARTEI ("Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative") - eine Vereinigung der Satirezeitschrift "Titanic". Alle waren sie zur Wahl 2005 noch durchgewunken worden.
"Die wollen uns rausschmeißen!"
Freie Union, Graue und PARTEI legten Beschwerde ein. Doch Egeler bleibt hart. "Die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes sehen keine Änderung vor der Wahl vor", spult er immer und immer wieder ab, "meine Entscheidung steht hier nicht zur Disposition", sagt er an Graue und PARTEI gerichtet - zumindest bei der Pauli-Truppe sollte Egeler sich später doch auf eine Diskussion einlassen.
Die Grauen kämpfen minutenlang im Saal um ihre politische Zukunft. 2008 ging sie aus der von Spendenskandalen geschüttelten Seniorenpartei "Graue Panther" hervor - nun entscheidet Egeler über die Überlebensfähigkeit der Vereinigung. Parteivize Michael Schulz liefert sich ein Wortgefecht mit dem Wahlleiter, er verweist auf die "gute Organisationsstruktur", auf Sitze in Bezirksversammlungen und Stadträten, auf Unterschriften der Anhängerschaft.
Die "Partei-Eigenschaft" sei nicht erkennbar, sagt Egeler kühl, zudem seien nicht alle Unterlagen fristgerecht eingereicht worden. Das war's. Egeler ruft zur Abstimmung, die Beschwerde wird abgelehnt, die Grauen können die Bundestagswahl vergessen.
"Warum laden Sie uns dann überhaupt ein?", schimpft Schulz. Wenn vorher schon alles klar sei, brauche es keine Anhörung. "Richtig Betrug", pampt er ins Tisch-Mikrofon, bevor er den Saal verlässt.
Grauen-Chef Norbert Raeder ringt im Foyer um Atem, sein Gesicht ist rot angelaufen, mehrfach unterbricht er Interviews. "Die wollen uns rausschmeißen" ruft er wütend in die Fernsehkameras, "weil wir den großen Parteien Konkurrenz machen!" Der Ausschuss behandele sie wie "Schwerverbrecher", sagt er und schnauft, "wegen eines angeblich fehlerhaften Formulars". Das Ende, sagt Raeder, dürfe das nicht sein, "wir werden jetzt alle mobilisieren und auf die Straße gehen", droht er.
Debakel für Gabriele Pauli
Die Satirepartei des früheren "Titanic"-Chefs und jetzigen SPIEGEL-ONLINE-SPAM-Machers Martin Sonneborn probiert es mit martialischen Appellen ("Sie legen die Axt an Artikel 1 des Grundgesetzes, die Menschenwürde") und Frechheiten - Sonneborn selbst bezeichnet das Gremium laut als "überalterte und arrogante Veranstaltung", scheut selbst den Nazi-Vergleich nicht. Die Satirepartei hat sich zentral im Saal postiert, in Sichtachse des Feindes. Der Auftritt mag überzogen, unsachlich und politisch unkorrekt sein. In der Sache liegt die Gruppe aber auf einer Linie mit den "Ernsthaften", den Grauen, der Pauli-Partei.
Denn Splitterparteien in Deutschland sind die Hände gebunden, wenn sie sich gegen eine Ablehnung des Wahlleiters wehren wollen. Zwar darf eine Vereinigung nach dem Bundeswahlgesetz Einspruch beim Bundestag einlegen, und in einem nächsten Schritt mit einer Wahlprüfungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Möglich ist dies allerdings erst nach der Wahl. Eine endgültige Entscheidung fällt oft erst nach Jahren und hängt davon ab, ob sich ein möglicher Verstoß überhaupt auf die Sitzverteilung hätte auswirken können.
Während die Grauen um Fassung ringen, die Satiriker im Saal Protestshirts verteilen ("Where is my vote, Wahlleiter?"), setzt Gabriele Pauli auf professionelle Souveränität. Fast zwei Stunden lang sitzt sie regungslos im Saal. Sie kam zu spät, nachdem sie minutenlang im Foyer von Reportern umringt wurde. Die Kameraleute stürzten sich auf sie, die Polit-Rebellin, die Partei-Nomadin, Ex-Landrätin, Ex-Christsoziale, Ex-Freie-Wählerin - und nun soll auch dieser Anlauf endgültig gescheitert sein?
Genau das ist der Fall. Der Bundeswahlausschuss weist die bayerische Landesliste der Freien Union endgültig zurück. Damit kann Pauli in keinem Bundesland flächendeckend mit einer Landesliste antreten - das Debakel ist perfekt.
Fast eine Stunde lang hatte ihr juristischer Berater Klaus Aschauer gekämpft, einen Paragrafen nach dem anderen hervorgeholt. "Wir waren pünktlich", beharrte er, "wir haben bis zur letzten Minute gekämpft, um alle Unterschriften zusammenzubekommen." Auch unter den Ausschussmitgliedern herrscht Uneinigkeit, wie streng man mit dem Lapsus einer fehlenden Unterschrift umgehen sollte.
Sogar Paulis Stellvertretende Silvia Röder schaltet sich ein, obwohl sie im Saal kein Rederecht hat. Egeler fährt ihr über den Mund: "Es mangelt uns nicht an Kenntnis des Sachverhalts." Pauli zieht Röder zurück, "ist okay", flüstert sie. Später, vor den Türen des Saals, wird sie lächeln und verkünden, dass sie "weitermachen" und gegen das "Fehlurteil" notfalls mit "anderen juristischen Mitteln" vorgehen werde. Ob sie eine Verfassungsklage erwägt, lässt sie offen. Nur eines sei klar: "Es muss jetzt alles ganz schnell gehen - wie immer bei mir."
Der Appell von Paulis Vertreter scheint Wirkung gezeigt zu haben, denn die Abstimmung über die Pauli-Zulassung fällt denkbar knapp aus. Vier Mitglieder des Wahlausschusses wollen die Freie Union zulassen - vier stimmen dagegen. Ein Patt.
In diesem Fall gilt das Votum des Vorsitzenden. Roderich Egeler hebt die Hand, er weist den Antrag von Gabriele Pauli und ihrer Partei zurück. Der Bundeswahlleiter hat entschieden.