Parteiinterne Kritik Merkel bringt die eigenen Leute gegen sich auf

Jetzt wird es ernst: An diesem Montag will die Regierung die Energiewende beschließen, sogar ein überparteilicher Konsens ist möglich. Doch Angela Merkels Kuschelkurs mit der Opposition missfällt so manchem in Union und FDP. Die interne Kritik an der Kanzlerin wird lauter.
Kanzlerin Merkel (am Samstag beim Kirchentag in Dresden): Rumoren in der Koalition

Kanzlerin Merkel (am Samstag beim Kirchentag in Dresden): Rumoren in der Koalition

Foto: Arno Burgi/ dpa

Berlin - Der Schlachtenlärm ist noch nicht ganz verklungen. "Krachend gescheitert" sei die Kanzlerin mit ihrer Politik, poltert Renate Künast. Jürgen Trittin, ihr Kollege an der Spitze der Grünen-Fraktion, findet fast die gleichen Worte. Angela Merkels Kampf gegen den Atomausstieg ende mit einer "krachenden Niederlage".

Es sind Rückzugsgefechte einer Partei, die ihr Alleinstellungsmerkmal als führende politische Kraft der Anti-Atom-Bewegung zu verlieren droht.

Denn wenn die Bundesregierung an diesem Montag das Gesetzespaket zur Energiewende beschließt, dann wird es schwer für die Grünen, den Ausstieg am Ende der parlamentarischen Beratungen nicht mitzutragen - vor allem, nachdem Merkel auf Druck der Ministerpräsidenten nun auch einem Stufenplan für die Abschaltung der restlichen Atomkraftwerke von 2015 an zugestimmt hat. Und so sendet, bei allen Sticheleien gegen die Kanzlerin, nach der SPD auch die Öko-Partei vorsichtig zustimmende Signale. "Es geht in die richtige Richtung", sagt Künast, der Ausstieg befinde sich "auf einem guten Weg".

Angela Merkel hat also gute Chancen, tatsächlich zu einem großen politischen Ausstiegskonsens zu kommen, nicht nur mit den Sozialdemokraten, sondern auch mit den Grünen. Damit wäre nicht nur die perfekte Inszenierung als "Kanzlerin aller Deutschen" gelungen, ein Titel, den sich Merkel schon am Abend des schwarz-gelben Wahlsiegs im September 2009 gegeben hatte.

Ganz nebenbei hätte sich die CDU-Chefin auch neue Machtoptionen für die nächste Wahl in zwei Jahren eröffnet: Mit dem Atomausstieg wäre das größte politische Streitthema, das zwischen Union und Grünen steht, abgeräumt. Schwarz-grüne Bündnisse auch auf Bundesebene wären keine "Hirngespinste" mehr, wie Merkel sie derzeit noch zu nennen pflegt. Nicht die schlechtesten Aussichten, macht doch das Dauersiechtum der FDP eine schwarz-gelbe Neuauflage extrem unwahrscheinlich.

"Ziel: Angriff auf die Grünen"

Was für Merkel ein strategischer Glücksfall wäre, ist für manchen in ihrer Partei ein Graus. Immer lauter wird in der CDU das Genörgel über den Kuschelkurs mit der Opposition. Und es sind nicht mehr allein Hinterbänkler oder Landesverbände, die ihrem Unmut Luft machen. Philipp Mißfelder gehört als Präsidiumsmitglied zum engsten Führungszirkel der Christdemokraten, er ist Chef des CDU-Nachwuchses Junge Union, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Lange hat Mißfelder, früher nie um ein klares Wort verlegen, seine Unzufriedenheit unterdrückt. Nun übt er beißende Kritik an der Parteispitze.

"Wir verschrecken immer mehr Wähler, die nicht verstehen können, warum wir uns in einen Überbietungswettbewerb mit den Grünen begeben, den wir nicht gewinnen können", sagt Mißfelder in der "Welt". Er verweist auf die Wahldebakel in Hamburg und Bremen. "Die CDU sollte endlich einsehen: Unsere Wähler reagieren extrem verunsichert auf Bündnisse mit den Grünen", analysiert Mißfelder und fordert eine deutliche Kurskorrektur: "Wir brauchen einen Strategiewechsel mit dem Ziel: Angriff auf die Grünen."

Die Abteilung Attacke aber haben sie im Konrad-Adenauer-Haus längst wieder eingedampft. "Dagegen-Partei" hatte man die Grünen getauft, um sie als ewige Fortschrittsverweigerer zu brandmarken. Nun aber hätte die CDU-Führung nichts dagegen, die Grünen beim Atomkonsens mit im Boot zu haben.

Es ist dieser Zickzackkurs im Umgang mit den Grünen, der auch Christean Wagner missfällt. In einer elfseitigen Streitschrift, die derzeit in der Union kursiert, wirft der CDU-Fraktionschef im hessischen Landtag Merkel vor, das Profil der Partei bis zur Unkenntlichkeit verwässert zu haben. Die CDU "verliert, was ihren Kernwählern am wichtigsten ist, nämlich die Grundsatztreue", heißt es nach SPIEGEL-Informationen in dem Papier. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" macht Wagner seine Kritik am Wochenende auch öffentlich, fordert eine klare strategische Ausrichtung der CDU - "in Abgrenzung von SPD, Grünen und Linkspartei".

Unterstützung bekommt Wagner von der brandenburgischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Saskia Ludwig und von Mike Mohring. Ludwig, Mohring und Wagner hatten schon wenige Monate nach der Bundestagswahl gemeinsam die Profillosigkeit ihrer Partei angeprangert. Heute aber sei die Lage der Union "noch besorgniserregender", findet Wagner. Es habe Entwicklungen gegeben, die das Grundvertrauen der Parteianhänger erschüttert hätten. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Enthaltung bei der Abstimmung über den Libyen-Einsatz zählen für den Hessen dazu, genauso die Debatte über die Euro-Rettung - und die Atomwende.

FDP-Vize wittert Planwirtschaft

An der gibt es kurz vor dem Kabinettsbeschluss auch inhaltlich wieder scharfe Kritik aus der Koalition. Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz spricht mit Blick auf den raschen Atomausstieg von einer der "verhängnisvollsten Fehlentscheidungen, die es in der bundesdeutschen Politik seit 1949 gegeben hat". Die relativ sichere und kostengünstige Kernkraft werde "ohne Not zugunsten eines nicht durchkalkulierten energiepolitischen Abenteuers preisgegeben", bemängelt Vaatz im "Focus". Der neue FDP-Bundesvize Holger Zastrow nennt den Ausstiegsbeschluss übereilt und einen "Fall von Planwirtschaft." Wie in DDR-Zeiten würden Zielmarken gesteckt, "die nur politisch motiviert und fachlich nicht begründet sind".

Planwirtschaft in einer schwarz-gelben Bundesregierung? Man spürt, wie sehr vor allem die Liberalen unter Angela Merkels Konsensstreben beim Atomausstieg leiden. Man müsse pfleglicher mit der FDP umgehen, mahnt nun CDU-Mann Mißfelder: "Die Liberalen arbeiten gerade an einem Neustart. Wir sollten sie als CDU darin stärker als bisher unterstützten und müssen der FDP auch in der Bundesregierung mehr Punkte zur Profilierung lassen."

Die Kanzlerin wird den Ratschlag wohl ignorieren. Die Sorgen in den eigenen Reihen, dass der Abschied von der FDP und die Annäherung an die Grünen begonnen haben, hält sie für völlig konstruiert. Allerdings tut sie auch nichts dagegen, sie zu entkräften. Im Gegenteil, gleich mehrfach ließ sie die FDP in den Verhandlungen über die Ausgestaltung der Energiewende abblitzen, wohl auch, um der Opposition die Zustimmung zu erleichtern.

So waren die Liberalen sowohl gegen ein festes Ausstiegsdatum als auch gegen eine gestaffelte Abschaltung der letzten Meiler. Den Stufenplan aber setzte Merkel am vergangenen Freitag durch - als Zugeständnis an die Ministerpräsidenten von Union, SPD und Grünen. Kurz darauf im Koalitionsausschuss unternahm FDP-Chef Philipp Rösler einen letzten Versuch, die Abschaltkaskade zu verhindern - doch er bekam die ganze Härte der Kanzlerin zu spüren. Daran werde nichts geändert, beschieden Merkel und der CSU-Vorsitzende kühl.

Als Rösler dann plötzlich vorschlug, noch einmal einen Referatsleiter aus seinem Haus vortragen zu lassen, reagierte die Spitzenrunde fassungslos. "Hier tragen nur Minister vor, nicht Beamte", zitiert die "Bild am Sonntag" die Kanzlerin. Die Unionsleute in der Runde sollen sich amüsiert haben.

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