Parteistreit Ost-Linke protestieren gegen Bartschs Entmachtung
Hamburg - "Politischer Jahresauftakt", so hat die Linke ihr Treffen am Montag in Berlin genannt, und die Parteiführung wollte mit diesem Termin auch einen Schlusspunkt setzen - der wochenlange Streit über ihren Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sollte beendet werden.
Doch nach der öffentlichen Abrechnung von Fraktionschef Gregor Gysi mit dem 51-jährigen Bartsch deutet sich nun massiver Protest bei Linken aus dem Osten an.
Thüringens Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow übte scharfe Kritik an der Form der Auseinandersetzung: "Wenn Gysis Kritik an Bartsch berechtigt war - und das setze ich zunächst voraus - hätte sie wegen der möglichen personellen Konsequenzen hinter verschlossenen Türen geäußert und auch gemeinsam gelöst werden müssen", sagte Ramelow SPIEGEL ONLINE. So sei aber öffentlich der Eindruck erweckt worden, "als ob der Stab über eine Person gebrochen wurde. Das ist so nicht akzeptabel. Wenn dieser Eindruck bestehen bleibt, hätten wir damit die Büchse der Pandora geöffnet".
Die stellvertretende Parteivorsitzende Halina Wawzyniak forderte noch am Montagabend per E-Mail eine rasche Sitzung des geschäftsführenden Parteivorstandes. "Das ist das zuständige Gremium", sagte die Berlinerin SPIEGEL ONLINE. Stattdessen würde in Führungszirkeln debattiert, "von denen kaum jemand weiß, wer da eigentlich Mitglied ist", sagte die Bundestagsabgeordnete.
"Konstruierter Vorwurf"
Wawzyniak nahm zudem Bartsch in Schutz: Gysis Vorwurf der Illoyalität sei "konstruiert". Bartsch hatte die Recherchen des SPIEGEL für einen Bericht vom 16. November 2009 bestätigt, wonach Lafontaines Rückzug vom Posten des Fraktionschefs schon lange geplant war.. Dies sei aber schon früher bekannt gewesen, sagte Wawzyniak. Zur Begründung verwies sie auf ein Interview von Bartsch in der Parteizeitung "Neues Deutschland" vom 27. Oktober 2009, worin Bartsch sich ähnlich über die Pläne Lafontaines äußerte. Das Interview habe "damals zu keinen Vorwürfen der 'Illoyalität' geführt", berichtete am Dienstag das "Neue Deutschland", für das Bartsch von Mai 2004 bis Dezember 2005 als Geschäftsführer arbeitete - Lafontaine hatte seine Parteifreunde im Oktober 2009 überrascht, als er auf einer Fraktionsklausur in Rheinsberg seinen Rückzug vom Fraktionsvorsitz ankündigte.
Kritisch äußerte sich auch Birke Bull, stellvertretender Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt. Gysis öffentliche Distanzierung von Bartsch sei der "Versuch, schrittweise einen K.o.-Schlag durchzusetzen", sagte Bull SPIEGEL ONLINE. Dies sei nicht zuletzt wegen der bevorstehenden Programmdebatte ein "hochproblematisches Signal". "Weite Teile der Partei, die Bartsch und seinen Ansatz von realer Politik unterstützen, werden offensichtlich nicht ernst genommen. Ich bedauere das außerordentlich", sagte Bull.
Unmittelbar vor dem Berliner Parteitreffen am Montag hatte Bull in einer gemeinsamen Erklärung der stellvertretenden Landesvorsitzenden aus Sachsen und Sachsen-Anhalt erklärt, dass Lafontaine und Bartsch für die Partei unverzichtbar seien.
"Ich will alles Mögliche dafür tun, dass er wieder antritt"
Sachsen-Anhalts Linke-Fraktionschef Wulf Gallert äußerte sich besorgt über die Debattenkultur in seiner Partei. Zwischen den Genossen aus Ost und West gebe es derzeit ein "gegenseitiges Misstrauen", sagte Gallert SPIEGEL ONLINE. Gallert betonte die wichtige Rolle von Bartsch: "Dietmar Bartsch ist ein hervorragender Geschäftsführer, an dieser Einschätzung hat sich durch die Ereignisse am Montag nichts geändert. Bartsch war von zentraler Bedeutung für die Wahlerfolge in Ostdeutschland."
Steffen Bockhahn, Linken-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, signalisierte sogar Unterstützung für eine neuerliche Kandidatur von Bartsch auf dem Bundesparteitag im Mai. "Ich will alles Mögliche dafür tun, dass er wieder antritt", sagte Bockhahn. Der gebürtige Stralsunder Bartsch ist wie Bockhahn Mitglied des Linke-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern.
In den vergangenen Tagen hatten ostdeutsche Linke wiederholt ihre Solidarität mit Bartsch erklärt. Von westdeutschen Genossen war dem 51-Jährigen dagegen zuletzt der Rücktritt nahegelegt worden. Sie hatten Bartsch illoyales Verhalten gegenüber Lafontaine attestiert. So hatten sie ihm vorgeworfen, eine Nachfolgedebatte in der Partei nach der Krebserkrankung von Lafontaine ausgelöst zu haben. Im Umfeld Lafontaines hatte es geheißen, das Verhältnis zwischen dem Saarländer und Bartsch sei irreparabel beschädigt.
Bislang gilt als offen, ob Lafontaine im Mai erneut für das Amt des Parteichefs kandidieren wird. Auch Bartsch hat sich noch nicht über seine Ambitionen geäußert. Es gilt aber als ausgeschlossen, dass er gegen den Willen von Gysi und anderen Spitzengenossen erneut für das Amt des Bundesgeschäftsführers zur Verfügung steht.
Bartsch wies jetzt die Kritik Gysis zurück. "Ich lasse mir von niemandem Illoyalität vorwerfen. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man dem Bundesgeschäftsführer einer Partei vorhalten kann", sagte Bartsch der Nachrichtenagentur dpa. Er arbeite seit 1991 "loyal für die Partei", betonte Bartsch. Zu möglichen persönlichen Konsequenzen wollte er sich nicht äußern.