Parteitag CDU-Beschluss zu deutscher Sprache verärgert Türkische Gemeinde und SPD
Stuttgart - Am Dienstagmorgen haben viele CDU-Delegierte die Messehalle in Stuttgart noch nicht erreicht. Doch diejenigen, die im Saal sind, zeigen sich erstmals auf dem Bundesparteitag rebellisch: Sie stimmen für die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz.

Parteichefin Merkel: Erst einmal Klarheit verschaffen
Foto: DDPDie Antragskommission unter CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hatte eigentlich anderes im Sinn. Die Bundestagsfraktion der Union sollte sich mit einem Gesamtkonzept befassen, weil auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen Forderungen kommen, neue Staatsziele in der Verfassung zu verankern - so aus dem Sport und der Kultur. Pofalla wollte, dass die Bundestagsabgeordneten sich darüber erst einmal Klarheit verschaffen.
Doch die Delegierten folgen einem Sonderweg. Sie stimmen für zwei Anträge des saarländischen Landesverbandes und des Kreisverbandes Saarbrücken-Land. Dort heißt es: "Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch". Die Formulierung soll in Artikel 22 des Grundgesetzes aufgenommen werden. Dort wird nicht nur die Farbe der Bundesflagge - Schwarz-Rot-Gold - festgehalten. Zuletzt war in der Föderalismuskommission I Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik neu in die Verfassung hineingeschrieben worden.
Auf dem Stuttgarter Parteitag hat CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Morgen für die Empfehlung der Antragskommission geworben und darum gebeten, die Einzelforderung zunächst zurückzustellen und mit einem Gesamtkonzept später zu verbinden. Doch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller, der im kommenden Jahr einen Landtagswahlkampf zu bestehen hat, widerspricht ihm. Die Sprache sei eines der Dinge, die diesen Staat ausmachten. Der CDU-Parteitag solle hier ein klares Signal setzen, so Müller.
Bundestagspräsident Norbert Lammert weist darauf hin, dass die meisten Verfassungen der EU-Staaten ein solches Bekenntnis zur Sprache enthalten. Wenn Deutschland dem folge, sei das eine "schiere Selbstverständlichkeit" und habe nichts mit einem latenten Nationalchauvinismus zu tun. Die Frage sei auch schon im Zusammenhang mit der Föderalismusreform besprochen worden.
Der erfolgreiche Vorstoß aus dem Südwesten der Republik, mit dem sich nun die Unions-Bundestagsfraktion befassen muss, ist intern umstritten. Ein Mitglied des CDU-Bundesvorstands zeigte sich am Dienstag auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE skeptisch. "Jeder anerkennt die Bedeutung der deutschen Sprache, aber wir sollten aufpassen, das Grundgesetz nicht mit schönen Willenserklärungen zu befrachten." Die Verfassung sei "keine Proklamation von Wünschenswertem". Sie solle stattdessen möglichst konkret und nicht zu lang sein, so das Mitglied des CDU-Bundesvorstandes.
SPD und Grüne kritisieren CDU-Antrag
Beim Koalitionspartner trifft der Antrag auf Unverständnis. "Ich halte das für völlig überflüssig", sagte Sebastian Edathy, Chef des Bundestags-Innenausschusses, SPIEGEL ONLINE. "Sollte die CDU damit zum Ausdruck bringen wollen, dass sie dies als notwendig erachtet, teile ich diese Einschätzung nicht", sagte der SPD-Politiker. "Wenn sich die CDU so als ein Stück weit nationaler positionieren will als die politische Konkurrenz, halte ich das für den falschen Schauplatz." Edathy wies zudem darauf hin, dass die CDU mit dem Antrag ihrer generellen Haltung zu entsprechenden Grundgesetzänderungen widerspreche. Die SPD-Vorstöße nach der Verankerung von größeren Rechten für Kinder und Jugendliche wurden bisher mit entsprechenden Argumenten vom Koalitionspartner zurückgewiesen.
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kritisierte den Beschluss des CDU-Parteitags ebenfalls. "Bei den wirklich wichtigen Fragen wie der Finanz- und Wirtschaftskrise eiern sie nur verdruckst herum und finden keine klare Linie", sagte Özdemir der "Frankfurter Rundschau". Auch schlüssige Antworten auf die Bildungsmisere in Deutschland bleibe die Partei schuldig. "Mit fragwürdiger Bekenntnisrhetorik versucht die CDU nun, diese Leerstellen zu übertünchen."
Auch die Türkische Gemeinde ist wenig begeistert von der CDU-Idee. "Es ist schwierig nachzuvollziehen, warum auf einmal die Notwendigkeit gesehen wird, die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen", erklärte der Vorsitzende Kenat Kolat. "Dies alles lässt nichts Gutes erahnen. Erneut bedienen einige Politiker in der CDU vorhandene Ängste und Klischees gegenüber Migrantinnen und Migranten."
Die dem CDU-Bundesvorstand angehörende ehemalige Ausländerbeauftragte von Berlin-Tempelhof-Schöneberg, Emine Demirbüken-Wegner, meinte, dass die Bedeutung der deutschen Sprache auch von Migranten immer mehr anerkannt werde. "Wir sind weiter als viele denken."
Der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, verteidigte dagegen den Beschluss: "Sprache ist doch das höchste Kulturgut. Was spricht dagegen, dieses Kulturgut in der Verfassung festzuschreiben?" Die Franzosen hätten doch überhaupt kein Problem, ihre Kulturgüter ähnlich hochzuhalten.
flo/ler/sev/dpa