Piratenparteitag Tausend Meinungen, keine Haltung

Abstimmung in Bochum: Wieder ein bisschen Programm geschafft
Foto: dapdDie gute Nachricht vorab: Die sonst so streitfreudigen Piraten konnten sich einigen, knapp zwanzig Programmanträge haben sie in zwei langen Tagen verabschiedet. Am Samstag gaben sich die Freibeuter ein Wirtschaftsprogramm, am Sonntag dann außen- und umweltpolitische Grundsätze. Auch ein Bekenntnis zu Europa war drin.
Die Piraten, weiß man nun, wollen eine "Wirtschaft, die auf einem humanistischen Menschenbild" basiert, sie treten weltweit für die "Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln ein" und in Deutschland für "preisgünstige und umweltfreundliche Energie". Die Positionierung pries der politische Geschäftsführer Johannes Ponader als "Meilenstein". Nun ja.
Die Piraten haben nach Dauerzoff an der Spitze und dem Absturz in den Umfragen dringend ein Erfolgserlebnis gebraucht. Das haben sie sich auf dem Programmparteitag in Bochum geholt. Sie haben das Programm ergänzt, den Führungsstreit abmoderiert und sich fleißig gezeigt. Rund 2000 Mitglieder debattierten ernsthaft zwei Tage durch, auch am Sonntagnachmittag beschlossen sie noch Grundsätze zu Landwirtschaft, Gesundheit und Jugendschutz.
Die Frage ist, ob das reicht. Die Antwort lautet bestenfalls: jein. Für die wild zusammengewürfelte soziale Bewegung, die enttäuschte Altlinke wie junge Computerfreaks vereint, ist es eine Menge. Für eine Partei, die in den Bundestag will, immer noch zu wenig. Wer gehofft hatte, nach Bochum genau zu wissen, wofür die Piraten stehen, wurde enttäuscht.
Natürlich: Es ging ums Grundsatzprogramm, was sich auch bei anderen Parteien schwammig lesen kann. Doch von den Piraten hätte man auch im Grundsatz etwas mehr neue Ideen erwartet.
Sobald es einmal konkret werden sollte, kam der Schwarm nicht weiter. Auch beim Wirtschaftsprogramm fielen die zwei Module, die handfeste Steuerpolitik und das Verhältnis von Staat und Markt behandelten, durch. So lief es oft, wenn es greifbar werden sollte: Die Debatte zerfaserte, die Rednerlisten wurden länger und länger, immer wieder zerschossen Änderungsanträge das Prozedere. Kernthemen wie Transparenz und Bürgerrechte, wo man konkrete Ideen hätte präsentieren können, wurden in Bochum ohnehin vernachlässigt.
Puh, wieder ein bisschen Programm geschafft
In Bochum wurde malocht, durchaus. Doch was fehlte, war das Feuer, eine inhaltlich tiefe Debatte, ein leidenschaftlicher Streit, mit einem Beschluss, auf den die Piraten stolz sein können. Auf dem letzten Programmparteitag im Dezember 2011 in Offenbach war das der Beschluss des Bedingungslosen Grundeinkommens. Ein Jahr später in Bochum gab es die meisten Emotionen, als über einen Gaga-Antrag über die Erforschung von Zeitreisen abgestimmt wurde. Ansonsten regierte eher Erleichterung als Begeisterung: Puh, wieder ein bisschen Programm geschafft.
Am Sonntagmittag brachte ein Pirat das Dilemma auf den Punkt. Der Mann mit langen schwarzen Haaren stürmte auf die Bühne und rief ins Mikro: "Die Frage ist doch jetzt, wie Programmarbeit in einer basisdemokratischen Partei funktionieren kann, deshalb müssen wir jetzt zustimmen, unabhängig vom Inhalt." Da ging es um die Frage, ob nur Pirat sein darf, wer die Mitgliedsbeiträge gezahlt hat.
Die Partei, die Delegierte (noch) ablehnt, ist in Bochum mit rund 2000 Anwesenden nach Auffassung etwa vom Berliner Abgeordneten Martin Delius an die Grenzen sinnvoller Entscheidungsfindung gestoßen. Delius und andere Berliner wollten deshalb in Bochum für die ständige Mitgliederversammlung werben, eine Art permanenter Online-Parteitag. Für viele andere Piraten ein absolutes No-go. Am Sonntag sollte es zum Showdown kommen, es wäre eine Debatte gewesen, die am Selbstverständnis der Partei in Sachen Beteiligung rührt. Doch das heikle Thema schob die Mehrheit von der Tagesordnung. Wieder eine Positionierung vermieden.
Nach zwei Tagen im Ungefähren gestand auch der Parteivorsitzende Bernd Schlömer ein: "Es gibt nun mal viele Piraten, die Angst haben, Positionen zu vertreten." Es liege jetzt an einzelnen Vertretern, die Debatte zu führen, sich zu positionieren. Das heißt: Nun übernimmt wieder die Parteiführung. Das war bei den Piraten eigentlich nicht so gedacht.