Parteitag in Dresden SPD setzt auf Gruppentherapie
"Mit der Basta-Politik muss Schluss sein", donnert in den Saal. Der Bundestagsabgeordnete vom linken Parteiflügel war einer der maßgeblichen Köpfe hinter dem gescheiterten Koalitionsexperiment von Andrea Ypsilanti in Hessen. Nun steht er beim Dresdner Parteitag vorne am Rednerpult und schimpft. Über die Agenda 2010, über die angeblich autoritäre Parteiführung unter Franz Müntefering. Und über den unentwegten Kampf der Parteiflügel in der SPD. "Wir brauchen eine Redemokratisierung der Partei", fordert Scheer. Die 525 Delegierten im Saal applaudieren zustimmend.
So wie Scheer nutzen viele Genossen diesen ersten Tag des SPD-Parteitags dazu, sich einmal so richtig alle Sorgen und den angestauten Frust von der Seele zu reden. Es ist eine geschickte Regie der neuen Parteiführung: Weil die Genossen stundenlang debattieren dürfen und jeder in dieser großen Aussprache alles sagen kann, verläuft der Parteitag in ruhigen Bahnen. Zwar hagelt es Kritik an der bisherigen Führung. Doch das große Scherbengericht bleibt aus. Der Parteitag fühlt sich eher an wie eine Gruppentherapie mit einem Ziel: Wenn sich alle miteinander ausgesprochen haben, kann man wieder gemeinsam nach vorne blicken.
So geht es den ganzen Tag. Jeder Delegierte hat fünf Minuten Redezeit, die Genossen nutzen die Zeit weidlich.
"Niemals Mehrheit für Hartz IV und Rente mit 67"
Viel Kritik kommt aus dem traditionell linken Landesverband Bayern. Der Delegierte Sebastian Roloff schimpft darüber, wie ein kleiner Kreis wenige Tage nach dem Wahldebakel zum Fraktionschef auserkoren habe. Roloff forderte eine neue Diskussionskultur. Der Delegierte Harald Unfried sagt, in der Wahrnehmung der SPD-Regierungsarbeit gebe es zwei Realitäten. "Die erste wird hier auf dem Parteitag vertreten, danach war eigentlich alles richtig. Die andere herrscht im Lande, und in dieser Realität gab es niemals Mehrheiten für Rente mit 67, für Hartz IV, für den Afghanistan-Einsatz und den Ausbau der Leiharbeit." Wenn die SPD diese Realität nicht akzeptiere, werde sie "nie aus dem Tal der Tränen herauskommen".
Beim Auftakt des Parteitags waren die Bayern mit einem Antrag gescheitert, die Tagesordnung zu ändern. Ihr Wunsch: Den Vorstand erst nach der Debatte über den Leitantrag zu wählen. Schließlich sei die eine Programmpartei. Für den Parteivorstand hielt Ralf Stegner die Gegenrede. Der Landeschef aus Schleswig-Holstein sagte: "Lasst uns über die Sache und nicht über die Form streiten." Die Debatte solle dafür ohne Zeitlimit geführt werden.
Schreiner und Drohsel fordern Vermögensteuer
Laut dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Peter Conradi haben sich die Mitglieder in den vergangenen Jahren von der Spitze zu viel gefallen lassen. Von den Gremien sei einfach nur abgenickt worden, was die Führung beschlossen hätte. Damit müsse Schluss sein. Mehrere Redner setzten sich für ein schärferes linkes Profil ein. Der Parteilinke und die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel forderten die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Auch während der SPD-Regierungszeit seien die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden, sagte der Hamburger Niels Annen.
Versöhnlich äußert sich dagegen Herbert Schmalstieg, langjähriger Oberbürgermeister von Hannover. "Wir haben in der Regierung viele Erfolge gehabt. Das darf man nicht wegreden", sagt er. Ein Fehler sei jedoch gewesen, dass die SPD in vielen klassischen Themenfeldern nicht mehr ausreichend erkennbar gewesen sei - in der Friedenspolitik zum Beispiel.
Scharfe Kritik aus Hessen
Auch aus Hessen, dem Landesverband, der im Januar die Niederlagenserie des Superwahljahres einleitete, kam Kritik: Die ehemalige hessische Abgeordnete Ulli Nissen schimpfte darüber, wie Münteferings Vorgänger Kurt Beck aus dem Amt gedrängt wurde. "Ich kriege heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie mit Kurt umgegangen wurde", sagt sie. So dürfe kein Parteifreund behandelt werden.
Gernot Grumbach, Vorsitzender des Bezirks Hessen-Süd, sagte, es sei kein Demokratieproblem, unter dem die SPD leide. Ein Seitenhieb gegen Müntefering, der mit Verweis auf Willy Brandt gefordert hatte: "Mehr Demokratie wagen Teil zwei ist fällig." André Kavai, ebenfalls aus Hessen-Süd, sagte, zum Teil hätten ausgerechnet jene mit den schlechtesten Wahlergebnisse die "größte Schnauze" gehabt.