Parteitag in Kiel Die Grünen wollen die besseren Piraten sein

In den Umfragen sahen die Grünen blendend aus - bis die Piraten auftauchten. Auf ihrer Bundesdelegierten-Konferenz in Kiel wollte die Partei mit einem klaren netzpolitischen Konzept punkten. Doch das verabschiedete Papier kann nicht alle Fragen beantworten.
Parteichefs Roth, Özdemir: Netzpolitisch sieht man sich den Piraten voraus

Parteichefs Roth, Özdemir: Netzpolitisch sieht man sich den Piraten voraus

Foto: Angelika Warmuth/ dpa

Gerecht geht es in der Politik nur selten zu. Dass die Grünen sich schon mit Netzpolitik beschäftigten, als die Konkurrenz der etablierten Parteien das noch als Spinnerei abtat? Längst vergessen. Plötzlich wirken die Grünen altbacken - weil nun die Piratenpartei für alles Junge, Schicke, Hippe steht. Vor allem auf dem Gebiet der Netzpolitik.

Der Piraten-Hype schmerzt die Grünen, in Berlin hat es sie zuletzt bei der Abgeordnetenhauswahl einige Prozent gekostet. Und nicht wenige glauben, dass ein zu gutes Abschneiden der Piratenpartei 2013 eine rot-grüne Mehrheit im Bund verhindern könnte.

Nun also der grüne Konter - passenderweise an der Ostsee. Stellt man sich Grüne und Piraten als zwei feindliche Schiffe in einer Seeschlacht vor, wären die Freibeuter von der Kieler Bundesdelegierten-Konferenz sturmreif geschossen worden.

So jedenfalls klingt es in der Parteitagshalle während und nach der Debatte zu dem 17-seitigen netzpolitischen Leitantrag. Parteichef Cem Özdemir jubiliert: "Wir sind die einzigen, die so etwas haben." Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitautor des Antrags, freut sich darüber, "dass bei uns die durch die Digitalisierung notwendigen Diskussionen geführt werden". Und Malte Spitz, der Mann fürs Internet im Bundesvorstand, sagt: "Uns treibt gar niemand, wir treiben die anderen."

Die Piraten, so klingt es in der Debatte immer wieder durch, hätten eigentlich nicht viel mehr zu bieten als ein netzpolitisches Image und ein paar lässige Sprüche. Von den anderen Parteien gar nicht zu reden.

Sauer auf die Union

Besonders sauer ist man bei den Grünen darüber, dass die Union sich plötzlich als netzavantgardistisch geriert. Aus ihrer Sicht wirkt das ungefähr so, als würde Giovanni Trappatoni plötzlich den modernen Fußballlehrer à la Jogi Löw geben. "In der CDU glaubt man, ein twitternder Peter Altmaier bedeutet moderne Netzpolitik", sagt Vorstandsmitglied Spitz. Altmaier ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, schreibt neuerdings netzpolitische Grundsatzpapiere und pflegt enge Kontakte zu Piraten-Politikern, auch über Twitter.

Die Grünen sagen, sie wollten sich ernsthaft mit dem komplexen Feld der Netzpolitik beschäftigen. "Offenheit, Freiheit, Teilhabe - die Chancen des Internets nutzen - den digitalen Wandel grün gestalten!". So ist der Antrag überschrieben, den die rund 850 Delegierten zum Abschluss des Kieler Parteitags am Sonntag verabschiedeten.

Allerdings zeigte sich dabei auch, wie schwer den Grünen manche Antworten fallen. Selbst eine Vertagung der Debatte schien kurzzeitig möglich, weil es noch viele ungeklärte Streitpunkte gab. Im Kern geht es dabei um einen handfesten Interessenkonflikt: Auf der einen Seite stehen Kulturschaffende jeder Art, die durch das Internet den Verlust eines Teils ihrer Vergütung befürchten, vor allem mit Blick auf das Urheberrecht. Ihnen gegenüber stehen die Nutzer, die im Netz künftig mehr Rechte haben und weniger kriminalisiert werden sollen.

Keine Quadratur des Kreises

Beides wollen die Grünen. "Wir möchten das Urheberrecht stärken, aber gleichzeitig die Nutzer", sagt Netzpolitiker Spitz. Wie diese Quadratur des Kreises gelingen soll, darauf bleibt die Partei in Kiel aber Antworten schuldig.

Den Vertretern des Kulturstandpunkts um die Bundestagsabgeordnete Agnes Krumwiede wäre es am liebsten, beim Urheberrecht bliebe schlicht alles beim alten. "Künstler müssen von etwas leben", sagt sie. Die Netzpolitiker dagegen wollten ursprünglich eine Urheber-Schutzfrist von fünf Jahren durchsetzen. "Hart gestritten" habe man bis zuletzt, heißt es. Manchen der Beteiligten war das am Sonntag anzusehen. Der in letzter Minute gefundene Kompromiss ist für beide Seiten akzeptabel, weil er eine Entscheidung offen lässt. Die soll nun im Frühjahr entwickelt werden.

Unstrittig dagegen waren weitere Punkte des Antrags wie das Veto gegen Vorratsdatenspeicherung und heimliche Online-Durchsuchungen sowie Internetsperren. Zudem verlangen die Grünen eine Modernisierung der Informationsrechte. Und sie wollen den Datenschutz im Grundgesetz verankern.

Peter Altmaier übrigens hat genau verfolgt, auf was sich die Grünen in Kiel einigten. Sein Kommentar via Twitter: "Freue mich über B90-Netz-Papier, aber ziemliche Wunschliste ist es schon. Klare Prioritäten fehlen."

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