Parteitag Piraten rüsten sich für Grundsatz-Showdown

Piraten-Parteitag: Schlüsselvotum am Abend
Foto: Armin Weigel/ dpaNeumarkt - Der neue Showdown ist für den Abend angesetzt: Dann wollen die Piraten auf ihrem Parteitag über die verbindliche Mitbestimmung per Internet entscheiden - ein Streitpunkt, der das Grundverständnis der Netzpartei berührt.
Die Piraten sind in der Frage gespalten. Viele trommeln dafür, in Neumarkt eine Richtungsentscheidung für die sogenannte Ständige Mitgliederversammlung (SMV) zu treffen. Der Begriff bezeichnet die Möglichkeit permanenter Online-Parteitage, um verbindliche programmatische Entscheidungen via Internet-Voting treffen zu können. Am Abend will die Partei einen zweiten Anlauf unternehmen, darüber abzustimmen.
Jetzt plädiert der stellvertretende Bundesvorsitzende Sebastian Nerz dafür, die Entscheidung zu verschieben. "Wir stehen nicht unter Zeitdruck, das noch vor der Bundestagswahl zu beschließen", sagte Nerz SPIEGEL ONLINE.
Nerz lehnt auch die Kompromissanträge ab, die für viele Piraten als Ausweg aus der Spaltung gelten: "Entweder man hält demokratische Prinzipien hoch, oder man findet schnelle Abstimmungen wichtiger. Es kann da keinen Kompromiss geben." Nerz ist seit langem Gegner der verbindlichen Online-Entscheidungen. Seiner Meinung nach erfüllt weder Liquid Feedback noch eine andere Software "die Anforderungen an die Grundsätze der geheimen, nachvollziehbaren, verständlichen Wahl".
Vor dem Parteitag hatte die prominente Piratin Marina Weisband getwittert: "Auch für mich wird die SMV im Bund der größte Entscheidungsfaktor sein, wie intensiv ich mich zukünftig engagiere." Dazu sagt Nerz, inhaltliches Lobbying sei natürlich in Ordnung. "Manches sind allerdings persönliche Erpressungsversuche, die bestenfalls lächerlich sind ", so Nerz.
"Wir müssen langsam mal klarkommen!"
Der harte Kern der Befürworter von Online-Parteitagen hatte am Vorabend eine erste Schlappe erlitten: Bis tief in die Nacht diskutierten die rund 1200 Mitglieder in den Jurahallen in der Oberpfalz. Der Berliner Fraktionschef Christopher Lauer, vehementer Fan der SMV, redete sich regelrecht in Rage: "Wir müssen langsam mal klarkommen!", rief er in die Halle. "Wir sind die Partei, die seit 2009 durch die Gegend tourt und sagt: mehr Bürgerbeteiligung, mehr Bürgerbeteiligung. Und wenn's ernst wird, dann sagen wir - nee sorry, geht nicht. Wie glaubwürdig ist das bitte?" Sein saarländischer Amtskollege Michael Hilberer, sonst besonnen, platzte am Mikrofon der Kragen: "Jedes beschissene Delegiertensystem der anderen Parteien ist basisdemokratischer als wir!", rief er den Piraten zu.
Andere Piraten wüteten gegen die "Polemik" der SMV-Fans. "Seit Jahren sehen wir, dass unsere Beteiligung via Internet nicht funktioniert", sagte ein Mitglied. "Wir sind noch nicht reif für diesen Schritt." Auch fürchteten viele Piraten Manipulierbarkeit und Klarnamenzwang von solchen Abstimmungen. Am Ende behielten die Gegner die Oberhand - zwei Anträge aus Berlin, die die Einführung solcher Online-Parteitage ab sofort fordern, wurden abgelehnt. Am Abend soll es mit der Debatte nun weitergehen. Zur Wahl stehen mehrere Kompromissanträge, die Gegner und Fans einen sollen.
Glaubenskampf um Markenkern
Für manchen Beobachter mag die Frage, mit welchen Tools die Partei ihre Entscheidungen trifft, nebensächlich sein - für die Piraten könnte sie zur Existenzfrage werden. "Wenn wir heute Abend nicht die richtige Entscheidung treffen, dann setzen wir unseren Markenkern aufs Spiel", warnte der Berliner Piraten-Abgeordnete Martin Delius. "Ich erwarte von meiner Partei, dass wir vorleben, was wir von anderen fordern", sagte er SPIEGEL ONLINE und rief die Partei dazu auf, sich ein grundsätzliches Bekenntnis zur SMV abzuringen.
Der Streit über die SMV ist einer der wichtigsten, aber nicht das einzige Thema, das an diesem Wochenende im Fokus steht: Zur Stunde erweitert die Partei ihr Wahlprogramm, das bislang nur wenige Seiten dick ist. Im Halbstundentakt winkten die Piraten überraschend diszipliniert einen Antrag nach dem anderen durch. Wie erwartet zieht die Partei mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in den Wahlkampf. Außerdem beschlossen die Piraten weitere Eckpunkte wie einen gesetzlichen Mindestlohn, die doppelte Staatsbürgerschaft und bundesweite Volksentscheide. Meinungsäußerungen in "digitalen Netzwerken" sollen im Grundgesetz geschützt werden.
Auch macht sich die Partei für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr sowie den legalen Besitz von 30 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum stark. Nach vielen Querelen waren die Piraten in Umfragen zuletzt auf zwei Prozent abgestürzt. In Neumarkt wurde die Datenschützerin Katharina Nocun zur neuen Politischen Geschäftsführerin gewählt.
Mit Material von dpa