Parteitagung SPD kuschelt wieder mit den Malochern

Sozialdemokraten Steinmeier, Kraft, Gabriel: Neue Harmonie mit den Gewerkschaften
Foto: Bernd Thissen/ dpaAuch kulinarisch frönt die Partei wieder alten Traditionen. Das Buffet im RuhrCongress ist rustikal gehalten, es gibt Erbsensuppe mit Würstchen, dazu Wasser, Saft und Kaffee. Fehlt nur das Pils. Aber es ist ja auch erst elf.
So ziemlich die gesamte SPD-Spitze ist an diesem Montagmittag nach Bochum gekommen. Kein Wunder, es ist ein wichtiger Tag für die Sozialdemokratie. Nach der schlimmen Niederlage bei der Bundestagswahl will die Partei wieder so werden, wie sie mal war. Deswegen hat sie kürzlich erste Korrekturen an den heftigst umstrittenen Arbeitsmarktreformen vorgeschlagen.
Jetzt, ein paar Wochen vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, ist die nächste Baustelle dran: Das Verhältnis zu den Gewerkschaften soll wieder zurechtgerückt werden. Mehr als 500 Betriebsräte sind deshalb in den RuhrCongress gekommen, die SPD-Spitze um , und sitzt in der ersten Reihe. Und hört erstmal zu.
"Die letzten Jahre waren nicht einfach", räumt Guntram Schneider, DGB-Chef von Nordrhein-Westfalen, gleich zu Beginn der Tagung ein. Enttäuscht hätten manche der Sozialdemokratie den Rücken gekehrt. "Aber wir dürfen keinen ungefragt lassen, ob es nicht an der Zeit sei zurückzukehren."
Es sind auffallend freundliche Worte. Bis vor kurzem wäre die Parteispitze hier wohl eher zusammengestaucht worden. SPD, das war für viele Gewerkschafter vor allem Agenda 2010 und Hartz IV. Gut erinnern sich die Sozialdemokraten noch daran, wie die Arbeitnehmervertreter auf Montagsdemonstrationen den Unmut über die Arbeitsmarktreformen in die Bevölkerung trugen. Auch die von den Genossen durchgesetzte Rente mit 67 wurde bei den Malochern zur Reizvokabel. Gerade jene, die hier in Nordrhein-Westfalen jahrelange am Hochofen schufteten, empfanden die Verlängerung der Arbeitszeit als üblen Verrat. Die Quittung: Weite Teile der Kernklientel kehrten der SPD bei den Bundestagswahlen 2009 den Rücken.
Alte, neue Protagonisten
Doch seit neuestem gibt sich die Partei anders. Das Arbeitslosengeld soll künftig länger ausgezahlt, das Vermögen bei Hartz-IV-Empfängern nicht mehr überprüft werden, vor allem aber: Die Genossen wollen den Missbrauch bei der Leiharbeit bekämpfen, Mindestlöhne einführen - ein Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Kurz vor der Landtagswahl am 9. Mai hofft die SPD-Spitze, mit den Korrekturen an der Agenda-Politik alte Milieus zurückzugewinnen.
Welch neuer Stil in der SPD inzwischen herrscht, lässt sich auch in Bochum ablesen. Parteichef Sigmar Gabriel hält zwar die längste Rede, aber die heimlichen Protagonisten sind andere. Rudolf Dressler zum Beispiel, das ehemalige sozialpolitische Aushängeschild der Partei, der sich aus Protest gegen die Politik der Regierungs-SPD zuletzt in der "Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD" engagiert hatte. Dressler sagt zwar kein Wort, wird von den Rednerinnen und Rednern aber immer wieder lobend erwähnt. Auch von Gabriel.
, Chef der SPD-Arbeitnehmer, wird regelrecht gefeiert. Er, der seit Jahren auf den Tag wartete, an dem seine Partei von der Agenda abrückt, darf als einer der ersten aufs Podium. "Ich bin in der Tat schon etwas entspannter als noch vor zwei, drei, vier Jahren", ruft er den Betriebsräten zu. Er gefällt sich in der Rolle des siegreichen Aufrechten. Schreiner ist plötzlich ziemlich wichtig in der Partei. Er darf jetzt reden. Frank-Walter Steinmeier, der Agenda-Architekt, muss zuhören.
Nie sei ihm in den Sinn gekommen, die SPD zu verlassen, bekennt der Saarländer. "Diese Partei verlässt man nicht. Es war nicht immer leicht. Aber wer es leicht will, muss auch nicht unbedingt in die SPD gehen." Dann wettert Schreiner gegen den Niedriglohnsektor, der "inzwischen US-amerikanische Ausmaße" angenommen habe, und greift jene an, die auf dem Rücken von Geringverdienern Politik machten: "Wenn in Deutschland die Toilettenfrauen für eine Woche die Arbeit niederlegen würden, wären wir Seuchennotstandsland." Die Gäste sind begeistert.
Im Wahlkampf rücken Differenzen in den Hintergrund
Keine Frage, es geht wieder was zwischen SPD und Gewerkschaften. Wegen neuer inhaltlicher Gemeinsamkeiten, wegen der Finanzkrise, die beide einander wieder näher brachte, vor allem aber wegen des gemeinsamen Feindbilds. Erstmals seit elf Jahren können sich Sozialdemokraten und Arbeitnehmervertreter in einem klassischen Oppositionswahlkampf gegen schwarz-gelbe Regierungen in Bund und Land verbünden. Und die Ziele sind klar umrissen: Es gilt, die Kopfpauschale zu verhindern, die Steuergeschenke, die Ausweitung prekärer Beschäftigung, es gilt SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft in die Düsseldorfer Staatskanzlei zu wählen.
Dass noch immer einiges zu flicken ist im Verhältnis der einst natürlichen Partner, rückt deshalb erstmal in den Hintergrund. Die Rente mit 67 etwa, mit der viele Betriebsräte größere Probleme haben als mit Hartz IV, spielt in Bochum überraschenderweise keine Rolle. Auch Gabriel schweigt zu dem Symbolthema, zu den jüngst präsentierten innerparteilichen Korrekturen gibt er sich ebenfalls auffallend schmallippig. Stattdessen tut er schlicht so, als sei das Verhältnis zu den Gewerkschaften vollständig repariert. "Eins darf uns nie wieder passieren", ruft er, "wir dürfen uns nie wieder so weit voneinander entfernen, wie das der Fall gewesen ist." Der Rest seines Auftritts ist reiner Wahlkampf. Und alle können jubeln.