Umstrittener Staatssekretär »Es ist der eine Fehler zu viel« – Habeck begründet Graichen-Rückzug mit neuen Ungereimtheiten

Patrick Graichen hat mit der Billigung eines Projekts gegen Compliance-Regeln verstoßen. Damit hat sich der Staatssekretär laut Wirtschaftsminister Habeck zu angreifbar gemacht – und wird nun in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Bundeswirtschaftsminister Habeck bei der Pressekonferenz

Bundeswirtschaftsminister Habeck bei der Pressekonferenz

Foto: TOBIAS SCHWARZ / AFP

Robert Habeck entlässt seinen umstrittenen Energie-Staatssekretär Patrick Graichen. Grund für diese Entscheidung ist nach der Darstellung des Wirtschaftsministers ein weiterer Verstoß gegen Compliance-Regeln. Graichen muss demnach aufgrund neuer interner Prüfungen seinen Posten räumen. »Es ist der eine Fehler zu viel«, sagte Habeck bei einem kurzfristig anberaumten Pressestatement am Vormittag. Eine Nachfolge Graichens steht noch nicht fest.

Schwester beim BUND, Trauzeuge bei der Dena?

Konkret geht es um einen Vorgang aus dem vergangenen Jahr: Graichen soll am 30. November 2022 laut Habeck drei Projektskizzen für die nationale Klimaschutzinitiative gebilligt haben. Ein Projekt kam vom Berliner Landesverband des BUND. Dort ist Graichens Schwester Vorstandsmitglied. Damit habe sie keine Vertretungsbefugnis, sagte Habeck. Aber sie war bis Mai 2022 Landesvorsitzende.

Mit Graichens Unterschrift wurde das Projekt als förderwürdig eingestuft, eine finale Entscheidung wäre nur noch Formsache gewesen – der BUND hätte 600.000 bekommen. Geld sei noch keines geflossen, sagte Habeck.

»Diese Vorlage hätte Patrick Graichen nicht vorgelegt werden dürfen und hätte von ihm nicht abgezeichnet werden dürfen«, sagte Habeck.

Nachdem schon in den vergangenen Wochen Kritik an Graichens Gebaren laut geworden war und der Staatssekretär Fehler eingeräumt hatte, sagte Habeck nun: »Die Fehler stehen nicht für sich allein und sind in der Gesamtschau zu sehen.« Er müsse sicherstellen, so Habeck, dass die Compliance-Brandmauer im Ministerium nicht beschädigt werde, und das sei nun geschehen.

»In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können.« Vor diesem Hintergrund seien er und Graichen gestern Abend übereingekommen, die Zusammenarbeit nicht fortzusetzen. Er werde Bundespräsident Steinmeier bitten, Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

»Das ist eine weitreichende, schwere Entscheidung – weitreichend für mein Haus, schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen. Es geht aber darum, das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses als Institution zu schützen. Es geht darum, die politische Handlungsfähigkeit zu wahren«, sagte Habeck.

Graichen steht im Zentrum einer Affäre um private Verflechtungen im Wirtschaftsministerium. Er hatte seinen Trauzeugen Michael Schäfer zunächst auf den Chefposten der dem Ministerium unterstellten Deutschen Energie-Agentur (Dena) gelotst, ohne die Verbindung transparent zu machen. Als daran Kritik laut wurde, sprachen Habeck und Graichen von einem Fehler. Die Postenvergabe wird neu aufgerollt.

Vor einer Woche stellte sich Habeck noch hinter Graichen

Nach einer gemeinsamen Befragung in den Ausschüssen für Energie sowie Wirtschaft und Klimaschutz am vergangenen Mittwoch hatte Habeck noch an Graichen festgehalten. »Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss«, hatte der Minister nach der rund zweieinhalbstündigen Sitzung noch erklärt. Es laufe nun allerdings eine beamtenrechtliche Prüfung, denn gegen Vorgaben des Wirtschaftsministeriums sei »erkennbar verstoßen worden«.

Oppositionsvertreter hatten sich nach der Sitzung unbeeindruckt gezeigt  und weitere offene Fragen gesehen. Auch Graichens Rücktritt wurde mehrfach gefordert. Die Union brachte auch einen Untersuchungsausschuss ins Spiel.

Kritik gibt es auch an weiteren persönlichen Verflechtungen im Wirtschaftsministerium. Graichens Schwester, verheiratet mit dessen Staatssekretärskollegen Michael Kellner, arbeitet wie auch ihr Bruder beim Öko-Institut – einer Forschungseinrichtung, die Aufträge vom Bund bekommt. Das Ministerium betont, Kellner und Graichen seien nicht an Ausschreibungen beteiligt gewesen, auf die sich das Öko-Institut hätte bewerben können.

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fin/ulz
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