PDS-Chefin Gabi Zimmer nach 100 Tagen im Amt "Es gibt keinen Machtkampf"
SPIEGEL ONLINE:
Wie bewerten Sie Joschka Fischers gewalttätige Vergangenheit?
Zimmer: Da wird es aus der PDS keine Rücktrittsforderungen geben, die mit mir abgestimmt sind. Allerdings einen Denkanstoß. Mich ärgert, dass wieder einmal sehr unterschiedlich mit Biografien von Menschen umgegangen wird. Ich denke, Fischer hat das Recht, zu sagen: Das ist Teil meiner Biografie, ich war ein Kind dieser Zeit und habe keinen Grund zu sagen, das war ich nicht. Aber das möchte ich auch als Anspruch für alle hier lebenden Menschen, auch für Ostdeutsche haben, die sich als Kinder ihrer Zeit auf Irrwege locken ließen.
SPIEGEL ONLINE: Um Mitläufertum bei der SED oder Stasi zu entschuldigen?
Zimmer: Ich denke, man soll Menschen immer an ihrem konkreten Verhalten messen. Wichtig ist: Habe ich etwas aus eigenem Fehlverhalten oder meinen "Jugendsünden" gelernt? Ich kann aber im Osten keine selbstbewussten Menschen erwarten, denen ich 40 Jahre lang klarmache: Ihr habt falsch gelebt, ihr seid den Falschen hinterhergelaufen und habt Euch erniedrigt. Wie soll ich dann erwarten, dass sie Zivilcourage zeigen, zum Beispiel im Engagement gegen Rechts?
PDS-Rückendeckung für Marianne Birthler
SPIEGEL ONLINE: Thema deutsche Vergangenheit. Wie soll künftig mit den Stasiakten verfahren werden?
Zimmer: Ich will, dass sie offen bleiben, damit sie für Forschungszwecke aber auch für berechtigte Interessen von Menschen, die als Opfer gelten, genutzt werden können. Ich bin aber dagegen, dass diese Akten weiter politisch instrumentalisiert werden, wie das im Osten in den letzten zehn Jahren gelaufen ist.
SPIEGEL ONLINE: Haben Kohl und Schily dann doch Recht?
Zimmer: Nein. Sie hätten nur dann Recht, wenn sie sich von Anfang an auf so eine Position gestellt hätten. Dann hätte ihre Aussage auch für alle anderen gelten müssen, nämlich auch für DDR-Bürger. Wenn so ein Vorstoß erst kommt, wenn die Akten Politiker selbst betreffen, halte ich das nicht mehr für seriös.
SPIEGEL ONLINE: Warum finden Sie eigentlich nicht in politischen Talkshows statt?
Zimmer: Da wird wohl abgewartet, wie die PDS die ersten 100 Tage nach dem Führungswechsel übersteht. Vielleicht wollen einige vermeiden, die PDS in einer Phase aufzuwerten, in der sie sich durch Gezänk selbst erledigen könnte.
Kalter Krieg in der PDS-Bundeszentrale?
SPIEGEL ONLINE: Gerade zwischen PDS-Geschäftsführer Dietmar Bartsch und Ihnen wird von einem Machtkampf berichtet.
Zimmer:Nicht alles, was über uns, vermeldet wird, stimmt. Einen Machtkampf gibt es nicht. Es gibt Diskussionsprozesse, die auch notwendig sind.
SPIEGEL ONLINE: ...die aber so nach außen getragen werden, als gäbe es einen deutlich spürbaren Konflikt.
Zimmer: Das ärgert mich auch. So etwas halte ich für extrem unprofessionell, denn das belastet die Arbeitsatmosphäre.
SPIEGEL ONLINE: Dietmar Bartsch spricht im SPIEGEL sogar von "Kaltem Krieg" in der PDS-Zentrale.
Zimmer: Deshalb habe ich ihn auch kritisiert. Dennoch hat er mich auf seiner Seite.
SPIEGEL ONLINE: Mit welchem Ziel?
Zimmer:Das Profil einer modernen Linkspartei mit einem Sozialismusbild auszuprägen, das die strukturellen Defizite der DDR ausschließt. Denn das muss klar sein: Unsere Alternativen liegen nicht in der Vergangenheit. Und wir brauchen Wähler aus allen Schichten.
SPIEGEL ONLINE:Dazu brauchen Sie weiterhin Integrationskräfte wie Gregor Gysi. Wie überreden Sie ihn, doch an Bord zu bleiben?
Zimmer: Gregor Gysi lässt sich von niemandem zu etwas überreden, was er nicht selber will, und vor dem Sommer fällt seine Entscheidung nicht. Wir können uns aber nicht leisten, auf Gysi und auch Bisky zu verzichten.
"Ich liebe Deutschland..."
SPIEGEL ONLINE: Ihre Forderung, laut über den Begriff Nation nachzudenken, hat heftigen Streit in Ihrer Partei verursacht. Sollte Ihr Satz "Ich liebe Deutschland" die Genossen so stark provozieren?
Zimmer: Nein, obwohl ich wusste, dass ich ein Grenzthema der Linken aufgreife. Ich wollte das Tabuthema aber aufbrechen...
SPIEGEL ONLINE: ...und das sah nach außen wie Ihre erste Bauchlandung aus.
Zimmer: Für mich war es eher eine Punktlandung. Wenn ich Menschen für Veränderungen in diesem Land gewinnen will, kann ich ihnen nicht signalisieren: Ich fühle mich hier nicht zu Hause, dieses Land ist für mich etwas Abstraktes. Was ist denn Schlechtes an Bert Brechts Aufruf in der Kinderhymne: "Dass ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land." Nationalismus ist das nicht, sondern beinhaltet für mich eine sehr europäische Perspektive.
SPIEGEL ONLINE:Aber selbst Ihr Fraktionsvorsitzender Roland Claus zeigte sich über ihren Tabubruch verärgert und erklärte: Diese Debatte haben andere besetzt.
Zimmer: Das werde ich mit ihm persönlich klären.
"Ich könnte es ja mit Herrn Gerhardt halten"
SPIEGEL ONLINE: Kann es nicht sein, dass es einfach zu viele konkurrierende Köpfe in Ihrer Partei gibt, die gerne Parteichef geworden wären und ihnen deshalb das Klima vergiften?
Zimmer: Jetzt könnte ich es ja mit Herrn Gerhardt halten. Eine Partei, in der nicht mehrere Menschen es für spannend halten, sich an die Spitze zu stellen, wäre sehr langweilig. Und für Debatten mache ich mich schließlich stark.
SPIEGEL ONLINE: Was das gemeinsame Deutschland betrifft, so warnt Bundestagspräsident Thierse vor der Gefahr, der Osten kippt. Sie haben ihm sofort zugestimmt, aber sehen Sie das wirklich auch so drastisch?
Zimmer: Er trifft einfach den Punkt. Ich habe schon lange darauf hingewiesen, dass der mangelnde Zuwachs im Osten eine immer größere Schere im Verhältnis zum Westen bedeutet. Und ich sehe ein gravierendes weiteres Problem: die Abwanderung der jungen aus dem Osten und die Überalterung, die bleibt. Das wurde bislang unter den Teppich gekehrt, wächst aber zu einem Problem mit verheerenden Folgen.
SPIEGEL ONLINE: Reizt es Sie, das Thema mit Wolfgang Thierse zu vertiefen?
Zimmer: Das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen, und das wäre keineswegs verkehrt. Wir haben nämlich noch eine Gemeinsamkeit: Wir stammen aus der gleichen Region, aus Südthüringen.
"Ich will keine Brücken, über die man im Gleichschritt geht"
SPIEGEL ONLINE: Gerhard Schröder baut derweil eine Freundschaft aus, wie man sie eher ostdeutschen Politikern zugetraut hätte - mit Russlands Präsident Putin. Ist Ihnen der eigentlich geheuer?
Zimmer: Ich bin gerade auf Grund seiner Rolle im Tschetschenienkrieg nicht unbedingt davon überzeugt, dass mit ihm wirklich der demokratische Weg in Russland beschritten wird.
SPIEGEL ONLINE:Wie bauen Sie denn den Kommunisten in den eigenen Reihen Brücken Richtung Moderne und Demokratie?
Zimmer: Ich will keine Brücken bauen, über die man im Gleichschritt geht. Aber ich will, dass man sich bewegt, denn das Verharren in Positionen bringt nicht weiter. Im Vorstand haben wir beschlossen, diese alten Grabenkämpfe nicht mehr zuzulassen, und ich kann nur sagen: Sogar Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform hat mein Angebot angenommen, und wir haben mit ihr im Vorstand jetzt eine konstruktive Streiterin und keine Nackenschläge mehr.
Das Gespräch führte Holger Kulick