Personalpläne nach Wahldebakel Neue SPD-Spitze setzt auf Spagatstrategie

Andrea Nahles, Sigmar Gabriel: Den Linksschwenk müssen Pragmatiker verkaufen
Foto: A3397 Gero Breloer/ dpaBerlin - Die alte Garde tritt ab, künftig lenkt der linke Flügel die Geschicke der Sozialdemokratie. Das ist nach SPD-Personalgewittern wie am Dienstag fast schon eine traditionelle Deutung externer Beobachter. Aber stimmt die Diagnose auch bei den aktuellen Wechselspielen?
Auf den ersten Blick: Ja. Parteichef ? Geht. ? Wurde degradiert. Vorangetrieben wurde der Umbau maßgeblich von der Chef-Linken Andrea Nahles. , der Parteivize werden soll, spricht sich offen für eine Annäherung an die Linkspartei aus. Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, will die nach dem Debakel bei der Bundestagswahl am liebsten komplett umstülpen. Genauso wie sein Vertrauter Björn Böhning, der trotz seines mickrigen 16-Prozent-Ergebnisses in Berlin-Kreuzberg derzeit in jedes Mikrofon beißt.
Wenn das kein Linksrutsch ist.
Betrachtet man allerdings das aktuelle Personaltableau genauer, kann von einem Linksrutsch eigentlich keine Rede sein. Es ist sogar äußerst erstaunlich, dass sich die sonst so penibel gesäßgeografisch handelnde SPD-Linke mit dieser Besetzung einverstanden erklärt. Denn sie selbst wird nicht die Hauptrolle spielen: Die neue Generalsekretärin sollte wissen, dass dieser Job leicht zur Karrieresackgasse werden kann. Und Wowereit und Scholz als Parteivize müssen vor allem die Scherben in ihren Landesverbänden Berlin und Hamburg aufkehren.
Stattdessen wird aller Voraussicht nach an der Parteispitze stehen. Dem wird parteiintern schon mal das Etikett "rechts" verliehen. Dann ist da noch Agenda-Konstrukteur Steinmeier als Oppositionsführer, der angekündigt hat, die Fraktion zum neuen "Kraftzentrum" machen zu wollen. Helfen wird ihm dabei Thomas Oppermann als Parlamentarischer Geschäftsführer, den es sicherlich amüsieren würde, wenn man links und seinen Nachnamen in einem Satz unterbringt.
Annäherung an die Linkspartei nur mit Pragmatikern möglich
Trotzdem könnten sich die Planspiele für die SPD-Linken auszahlen. Denn auf dem Flügel von Andrea Nahles hat sich nicht erst in den jüngsten 48 Stunden eine wichtige Erkenntnis durchgesetzt: nämlich dass eine machttaktisch so wichtige Annäherung an die Linkspartei nur mit Leuten an der Spitze vermittelbar sein wird, die gleichzeitig auch das Bürgertum ansprechen. Natürlich müsse die SPD "mal neue Machtoptionen klären", meint der saarländische Landeschef Heiko Maas, der Nahles noch aus Juso-Zeiten gut kennt.
"Die Linke muss entdämonisiert werden", sagt Maas. Aber: "Wenn man die Tür zur Linken aufstößt, muss man das Tor zur politischen Mitte sperrangelweit offen halten." Dass Gabriel da nicht völlig falsch platziert sein dürfte, zeigte er als Umweltminister mit seinem Konzept einer ökologischen Industriepolitik, das weitgehend gleichmäßig die Interessen von Wirtschaft, Arbeitnehmern und Verbrauchern berücksichtigte.
In der Sozialpolitik, das ist seit Sonntagabend erkennbar, dürfte der Druck in der SPD zunehmen, mindestens symbolhaft Korrekturen nach links vorzunehmen - und zwar unabhängig vom Spitzenpersonal. Etliche namhafte Sozialdemokraten äußerten am Montag in Präsidium und Vorstand ihren Unmut über die "Gerechtigkeitslücke", die mit der Rente mit 67 und den Hartz-Gesetzen entstanden sei.
Tatsächlich waren das die zwei wichtigsten Gründe, weswegen Wähler der SPD am 27. September den Rücken kehrten. Ein Schwenk könnte also sinnvoll sein. Der Vorschlag von Kurt Beck Ende 2007, das Arbeitslosengeld I länger auszuzahlen, brachte der Partei damals einen Schub.
Richtig ist aber auch, dass solche Schritte riskant sind. "Nur weil wir in der Opposition sind, können wir doch nicht das Gegenteil dessen behaupten, was wir elf Jahre lang praktiziert haben. Das nimmt uns doch kein Schwein ab", bemängelt Maas an der aktuellen Debatte. Natürlich sei eine inhaltliche Neuaufstellung notwendig, "und zwar über Symbole hinaus". Allerdings müsse die SPD auch realisieren, dass die Menschen sich nur bedingt für den Gesamtkurs einer Oppositionspartei interessierten. "Wir müssen jetzt vor allem als Korrektiv für Schwarz-Gelb funktionieren", sagt Maas.
Schäfer-Gümbel und Scheer kritisieren Personal-Planspiele
Nicht alle im linken Lager scheinen indes das Kalkül von Nahles, Wowereit und Maas zu teilen. Der hessische Landeschef sagt zum Machtkampf um den Parteivorsitz und die laufende Linksrutsch-Debatte, es könne nicht sein, dass "Teilgruppen der Partei Planspiele an die Medien durchstechen und versuchen, an den gewählten Gremien vorbei Fakten zu schaffen". Die Lage der SPD sei "viel zu ernst für solche Spielchen", womit der 39-Jährige auf den Führungsstil anspielt, den Müntefering und Schröder jahrelang praktizierten.
Er empfehle seiner Partei zunächst eine intensive Debatte über die Gründe der Wahlniederlage - wie sie die hessischen Genossen nach dem Debakel im Januar geführt hätten. Die SPD müsse "wieder die Partei des Aufstiegs, des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit werden". "Dabei werden wir Hessen uns massiv einmischen", kündigt Schäfer-Gümbel an. Schließlich habe sein Landesverband 2008 mit 36,7 Prozent ein starkes Ergebnis geholt - allerdings noch unter der Führung seiner Vorgängerin Andrea Ypsilanti, die dann den Erfolg durch ihren Wortbruch wieder verspielte.
Schäfer-Gümbel sagt, die Hessen seien 2008 von den Berliner Parteifreunden belehrt worden, "mit dem Thema soziale Gerechtigkeit könne man keine Wahlen mehr gewinnen." Da wünsche er sich nach dem Ergebnis vom Sonntag "deutlich mehr Selbstkritik".
Noch drastischer drückt der Parteilinke Hermann Scheer seine Kritik an den Personal-Planspielen aus. "Mit denselben Methoden, die die Partei über Jahre hinweg gelähmt haben und die Rolle und Funktion gewählter Führungsgremien sinnentleert haben, kann die Partei nicht zu neuer Motivation und Kraft finden", schreibt Scheer in einem Brief an Parteichef Müntefering und den Parteivorstand. "Schon wieder wird offenbar versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen, die der Parteivorstand und der Parteitag dann abnicken sollen." Scheer stellt die vermeintliche Einigung auf Sigmar Gabriel in Frage. Die "in Medien lancierten Absprachen" dürften keine "Vorfestlegung oder Verbindlichkeit beanspruchen".