Kanzleramtschef Altmaier im Interview "Die AfD steht im Abseits"

Kanzleramtschef Peter Altmaier
Foto: HC PlambeckSchon wieder die AfD! "Das ist jetzt schon Ihre vierte Frage in dieser Sache", beklagt sich Peter Altmaier, als SPIEGEL ONLINE mit ihm zum Interview zusammensitzt. Der Kanzleramtschef ist der Meinung, die rechtspopulistische Partei werde nur aufgewertet, wenn "wir ständig über sie reden".
Doch es lässt sich eben nicht ignorieren - die AfD wird wohl in den Bundestag einziehen. Mehr noch: Sie könnte nach Union und SPD drittstärkste Kraft werden. Auch für den CDU-Politiker ist das Grund zur Sorge. Altmaier glaubt aber nicht, dass die Stärke der AfD Ausdruck einer gespaltenen Gesellschaft ist. "Die Extreme in Deutschland sind schwach, und die Mitte ist stark", sagt der Merkel-Vertraute.
Eine Koalitionspräferenz für den wahrscheinlichen Fall des Wahlsiegs lässt Altmaier nicht erkennen. Er lobt die Leistung der Großen Koalition, sagt aber auch, diese sei "kein Wert an sich": "Zu einer lebendigen Demokratie gehört eine starke Regierung und eine starke Opposition."
Lesen Sie hier das komplette SPIEGEL-ONLINE-Interview mit Peter Altmaier:
SPIEGEL ONLINE: Herr Altmaier, das eigentlich spannende Rennen bei der Bundestagswahl läuft um Platz drei zwischen AfD, Linken, Grünen und FDP. Haben Sie Sorge, dass die Fokussierung auf diesen Vierkampf die Union am Ende Stimmen kostet?
Altmaier: Das ist nicht wirklich spannend. Angesichts der schwierigen internationalen Lage muss von der Bundestagswahl ein Signal der Stärke und Stabilität ausgehen. Das geht nur mit einer starken Union.
SPIEGEL ONLINE: Am Rande des TV-Duells der Kanzlerkandidaten konnte man Sie mit zwei AfD-Vertretern, Vorstand Pazderski und Pressesprecher Lüth, wenige Minuten beim Bier sprechen sehen. Ist Ihnen das schwergefallen?

Peter Altmaier, Jahrgang 1958, ist seit Dezember 2013 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts. Er ist zudem Koordinator der Flüchtlingspolitik. Altmaier gilt als einer der engsten Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er hat federführend das Wahlprogramm der Union erarbeitet.
Altmaier trat Mitte der Siebzigerjahre in die CDU ein, seit 1994 sitzt er im Bundestag. Er gehörte zum liberalen Flügel der Union, setzte sich in der "Pizza Connection" unter anderem für die Annäherung an die Grünen ein. Von 2005 bis 2009 war Altmaier Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, anschließend von 2009 bis 2012 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 2012 wurde er Umweltminister, im Zuge des Regierungswechsels 2013 wechselte er ins Kanzleramt.
Altmaier: Ich wollte mir ein Bier besorgen, die beiden standen dort und haben sich mir vorgestellt. Selbstverständlich haben wir inhaltlich nicht diskutiert. Die AfD trägt zur Problemlösung in Deutschland nichts bei, ihr Programm und die Äußerungen ihrer Spitzenleute sind unsäglich. Deshalb war das Gespräch nach einigen Höflichkeitsfloskeln beendet.
SPIEGEL ONLINE: Die AfD wird allen Umfragen zufolge in den Bundestag einziehen, dann werden sie ihren Vertretern öfter über den Weg laufen. Machen Sie sich Sorgen um die Atmosphäre im Parlament?
Altmaier: Sorgen mache ich mir höchstens, weil es für Deutschland das erste Mal wäre, dass eine rechtspopulistische Partei ins Parlament einzieht. Angesichts der klaren Haltung von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen wird die politische Arbeit im Bundestag aber nicht tangiert sein, weil niemand mit der AfD zusammenarbeiten wird. Für CDU und CSU ist jedenfalls klar: Wir werden weder mit der AfD noch mit der Linkspartei koalieren oder kooperieren.
SPIEGEL ONLINE: Könnte die AfD irgendwann einmal für Sie koalitionsfähig werden?
Altmaier: Nein. Die AfD steht im Abseits, sie kann für niemanden ein Partner sein. Wir werden ihr rassistisches Gedankengut immer wieder entlarven.
SPIEGEL ONLINE: Die CSU glaubt, es sei noch immer möglich, die AfD unter fünf Prozent zu drücken. Teilen Sie diese Einschätzung?

Vertraute Merkel, Altmaier (am 15. September beim Wahlkampf in Dillingen)
Foto: WOLFGANG RATTAY/ REUTERSAltmaier: Unionsanhänger sind am wenigsten anfällig für die Parolen der AfD. Je mehr Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft zur Wahl gehen, desto geringer wird deren Ergebnis. Übrigens sollten wir die AfD nicht auch noch dadurch aufwerten, dass wir ständig über sie reden. Das ist jetzt schon Ihre vierte Frage in dieser Sache!
SPIEGEL ONLINE: Entschuldigung, Rechtspopulisten stehen vorm Einzug in den Bundestag, im Osten liegt die AfD teilweise vor der CDU. Und genau dort bricht sich auch der Hass Bahn, wenn etwa die Kanzlerin auftritt. Wollen Sie das ignorieren?
Altmaier: Das sind einige wenige Krawallmacher. Früher waren solche Trillerkonzerte von rechts oder links doch gang und gäbe bei Wahlkampfauftritten. Heute sind das nur noch einige wenige, das ist ein großer Fortschritt in der politischen Kultur. Im Übrigen brüstet sich die AfD selbst damit, dass sie diese Proteste mit Krawalltouristen organisiert und steuert. Und dass sie von der Berichterstattung darüber profitiert.
SPIEGEL ONLINE: Wir haben einen ganz anderen Eindruck. Sie regieren ein gespaltenes Land, eine radikale Minderheit hat sich abgekoppelt. Hier demonstrieren nicht die Jusos gegen Helmut Kohl wie anno dazumal, das heute ist Hass. Warum wollen Sie das nicht sehen?
Altmaier: Unsinn. Die Extreme in Deutschland sind schwach und die Mitte ist stark. Deutschland ist eines der wenigen Länder des Westens, das noch über ein stabiles Parteiensystem verfügt. Wir haben bei der letzten Bundestagswahl gezeigt, dass man als Partei der Mitte über 40 Prozent gewinnen kann. Das Grundvertrauen in die Politik generell und insbesondere das Vertrauen in die CDU ist gewachsen.
SPIEGEL ONLINE: Alles ist gut? Mit Verlaub, Herr Altmaier, da fühlen wir uns an die späten, schönfärberischen Kohl-Jahre erinnert. Ein junger CDU-Abgeordneter kritisierte damals einen "Friede-Freude-Eierkuchen-Parteitag" seiner Partei. Das waren Sie.

Altmaier: Ich habe damals vieles kritisch überprüft und infrage gestellt. Heute tue ich das immer noch. Aber meine politischen Aufgaben sind andere. Junger Wilder zu sein, ist keine Lebensstellung.
SPIEGEL ONLINE: Noch nie waren die Jüngeren und ihre Themen so unwichtig wie bei der kommenden Bundestagswahl - denn jeder dritte Wahlberechtigte ist älter als 60 Jahre. Ist das Wahlrecht ab 16 eine mögliche Antwort?
Altmaier: Das Wahlalter sollte auch künftig an den Eintritt der Volljährigkeit gekoppelt sein. Von diesem Zeitpunkt an kann ein junger Mensch alle Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln. Ich sehe keine maßgebliche Partei, die eine generelle Herabsetzung der Volljährigkeit befürwortet. Deshalb macht die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für mich keinen Sinn. Und übrigens: Wo es bei Kommunalwahlen bereits ein Wahlrecht mit 16 gibt, da ist die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe ernüchternd.
SPIEGEL ONLINE: Herr Altmaier, freuen Sie sich als früher Anhänger des schwarz-grünen Modells schon auf die Jamaika-Koalition nach der Wahl?
Altmaier: Sie bekommen von mir keine Koalitionsaussage. Alle demokratischen Parteien der Mitte - CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP - müssen untereinander koalitionsfähig sein. Im Übrigen ist für uns entscheidend, in welcher Konstellation wir unsere Überzeugungen und Positionen am ehesten umsetzen können.
SPIEGEL ONLINE: Welcher Schaden droht einem demokratischen System, wenn auf Dauer die beiden Volksparteien miteinander koalieren?
Altmaier: Zu einer lebendigen Demokratie gehört eine starke Regierung und eine starke Opposition. Die Große Koalition ist kein Wert an sich. Allerdings lassen sich solche Fragen nie theoretisch, sondern immer nur in der konkreten Situation beantworten. So wäre 2013 eine Koalition mit den Grünen rechnerisch möglich gewesen, aber sie kam nicht zustande, weil sich die Grünen nicht trauten.
SPIEGEL ONLINE: Zum Scheitern gehören ja immer zwei Seiten. Sie fanden damals in der Steuerpolitik nicht zueinander.

Altmaier, SPIEGEL-ONLINE-Redakteure
Foto: HC PlambeckAltmaier: Wir waren damals strikt gegen Steuererhöhungen und sind es auch heute, weil solche Diskussionen schädlich sind für Arbeitsplätze und Wohlstand. Dass wir uns dann für die Große Koalition entschieden haben, war im Rückblick eine gute Wahl mit Blick auf all die Krisen, die es zu bestehen galt: Ukraine, Euro, Griechenland, Flüchtlinge. Die Große Koalition hat eine gute Leistung abgeliefert, wir haben viele Entscheidungen im Konsens getroffen. Dass die SPD sich nun im Wahlkampf von ihren eigenen Erfolgen distanziert und sie schlecht redet, ist ihre Sache. Für schlimmer halte ich, dass die SPD nicht zu einer eindeutigen Abgrenzung von der Linkspartei imstande ist.
SPIEGEL ONLINE: Reibungsloses, effizientes Regieren im Konsens - ist das denn schon ein Wert an sich? Stärkt das nicht die Ränder im Parteienspektrum?
Altmaier: Der Konsens darf und sollte groß sein, wenn es um zentrale Fragen dieses Landes geht, etwa um seine internationale Verantwortung. Bei allen anderen Fragen darf lebhaft gestritten werden.
SPIEGEL ONLINE: Aber das entspricht doch nicht der Realität nach zwölf Jahren Merkel und acht Jahren Großer Koalition. Es gibt das polarisierende Flüchtlingsthema, aber sonst ist da kein politischer Diskurs.
Altmaier: Es gibt genügend spannende Themen: Wir werden Debatten über die beste Bildungspolitik, Debatten über Digitalisierung, Debatten über Klimaschutz haben. Genau das wollen wir.