Mega-Projekt Energiewende Was auf den neuen Umweltminister zukommt

Die Wirtschaft mault, die Länder machen Druck, wichtige Projekte stocken: Als neuer Umweltminister soll Peter Altmaier die Energiewende vorm Scheitern bewahren. Schon einen Tag nach seiner Amtseinführung muss er mit den Ministerpräsidenten verhandeln. Der CDU-Mann ist nicht zu beneiden.
Ex-Umweltminister Röttgen, Nachfolger Altmaier (beide CDU): Die Energiewende stockt

Ex-Umweltminister Röttgen, Nachfolger Altmaier (beide CDU): Die Energiewende stockt

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Berlin - Nein, die pure Freude strahlt Peter Altmaier nicht aus an diesem Morgen. Geschäftsmäßig nimmt er vom Bundespräsidenten seine Ernennungsurkunde in Empfang. Kein Lächeln, kein Scherz. Der sonst so leutselige Christdemokrat wirkt fast ein bisschen befangen. Gelassen gibt sich im Schloss Bellevue eigentlich nur einer: sein Vorgänger, Norbert Röttgen.

Vielleicht ist es die Größe der Aufgabe, die Altmaier in seinen ersten Amtsminuten zu so viel Demut veranlasst. Der Saarländer ahnt wohl, was auf ihn zukommt. Als Umweltminister wird er fast ausschließlich mit den Folgen des geplanten Atomausstiegs beschäftigt sein, und man darf sagen, dass es schönere Aufgaben gibt im politischen Berlin.

Interessenkonflikte und Kompetenzgerangel, die Sorge vor steigenden Strompreisen und die Furcht vor dem Widerstand auf den Straßen haben die Umsetzung der Energiewende massiv entschleunigt, wichtige Projekte sind ins Stocken geraten. Altmaier wird sich etwas ausdenken müssen, um das wichtigste innenpolitische Projekt der Kanzlerin neu anzuschieben und dafür zu sorgen, dass es nicht vollends floppt. Es ist eine wichtige Aufgabe, gerade auch mit Blick auf die Bundestagswahl.

Schon am Mittwoch dürfte Altmaier sehen, wie verfahren die Situation ist. Im Kanzleramt wird er gemeinsam mit Angela Merkel die Ministerpräsidenten aus den 16 Bundesländern zum Umweltgipfel empfangen, und es ist zu erwarten, dass die beiden mit einem bunten Strauß an Meinungen und Wünschen konfrontiert werden. Denn wie der Atomausstieg zu bewerkstelligen ist - dazu gibt es je nach Bundesland und politischer Richtung die unterschiedlichsten Lesarten.

Stimmengewitter zum Dienstantritt

Man muss sich nur mal das Stimmengewitter von diesem Dienstag vergegenwärtigen. Von allen Seiten muss sich Altmaier Forderungen anhören. Wirtschaftsverbände verlangen einen Neustart, Kabinettskollegen und Länderchefs melden Ansprüche an: FDP-Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler pocht auf die Kürzungen in der Solarbranche, Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will beim Ausbau der Stromtrassen betroffene Bürger entschädigen. Niedersachsens CDU-Ministerpräsident David McAllister möchte, dass der neue Umweltminister mehr Engagement beim Anschluss der Offshore-Windparks in der Nordsee an das Stromnetz zeigt und endlich die Endlagerfrage löst. Und natürlich gibt es zu Altmaiers Amtsantritt Appelle der mächtigen Bürgerinitiativen aus Gorleben.

Glücklicherweise ist Peter Altmaier mit einem Temperament gesegnet, das ihn auch zum Zen-Meister befähigen dürfte. Dass er die Nerven verliert angesichts der Mammutaufgaben in seinem neuen Haus, scheint ausgeschlossen. Aber ob er politisch erfolgreich sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Vor allem drei Konfliktfelder dürften ihm Ärger machen.

Baustelle Netze: Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht zwar lange nicht so rasch voran wie geplant - aber immer noch deutlich schneller als der Netzausbau. Tausende neue Kilometer an Leitungen sind nötig, in den vergangenen Jahren wurden nur einige hundert fertiggestellt. Gleichzeitig müssen dringend die Kapazitäten zur Stromspeicherung ausgebaut werden. Ein Bundesnetzplan zur besseren Koordinierung der Aktivitäten soll demnächst vorliegen.

Baustelle Kraftwerk-Ausbau: Einen großen Teil der erneuerbaren Energien liefern Sonne und Wind - aber das reicht in Deutschland nicht aus. Spätestens wenn die Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet werden, braucht man neue Kraftwerke, beispielsweise mit Gas. Doch für deren Bau fehlen bisher die Anreize.

Baustelle Solarstrom: Opposition und ostdeutsche Länder haben im Bundesrat die Kürzungspläne der Bundesregierung gestoppt - im Vermittlungsausschuss wird Altmaier nun einen Kompromiss aushandeln müssen. Der dürfte allerdings steigende Preise für die Verbraucher mit sich bringen. Alles andere als ein Gewinnerthema im bevorstehenden Bundestagswahlkampf.

SPD legt Forderungskatalog vor

Die SPD wittert bereits die Chance zum Angriff. Für das Treffen im Kanzleramt haben sich die Sozialdemokraten mit einer langen Liste an Forderungen munitioniert. Auf 15 Seiten haben die SPD-regierten Bundesländer ihre energiepolitischen Positionen zusammengefasst und aufgeschrieben, wo ihrer Meinung nach Handlungsbedarf besteht.

Wohl nicht zuletzt mit Blick auf 2013 wollen die Sozialdemokraten die Entwicklung der Strompreise in den Fokus rücken. "Steigende Strompreise bedeuten für Unternehmen eine Belastung und erhöhen den Druck, Einsparungen zu Lasten der Arbeitnehmer vorzunehmen", warnen die Verfasser in dem Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Zudem fordern die Genossen, den Energie- und Klimafonds finanziell besser auszustatten. Mehr Anstrengung wünschen sich die SPD-Länder schließlich auch in Sachen Energieeffizienz. Die Bundesregierung vermittele derzeit "nicht den Eindruck", als würde sie diesem Feld die nötige Aufmerksamkeit schenken, heißt es. Es sind Giftpfeile in Richtung Neuling Altmaier.

Es wird alles nicht leicht werden. Weder am Mittwoch noch in den kommenden Monaten. Selbst der Bundespräsident nutzt die morgendlichen Feierlichkeiten, um an die historische Bedeutung der Energiewende zu erinnern und die Umsetzung anzumahnen. "Viel politische Energie wird hier vonnöten sein", sagt Joachim Gauck in Richtung des Saarländers.

Altmaier nickt kurz. Und fährt anschließend rasch ins Ministerium.

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