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Peter Hintze: Pastor und CDU-Wahlkämpfer

Foto: Bernd von Jutrczenka/ picture alliance / dpa

Zum Tode von Peter Hintze Ein leidenschaftlicher Streiter

Peter Hintze hat viele Positionen in der Politik bekleidet, zuletzt war er Vizepräsident des Bundestags. Der CDU-Politiker, ein Vertrauter der Kanzlerin, war ein Politiker, der auch für Personen und Themen kämpfte, die umstritten waren.

Zuletzt telefonierten wir im Oktober miteinander. Es ging um die CDU, die Wahlerfolge der AfD in Mecklenburg-Vorpommern. Peter Hintze hatte Mühe zu sprechen, aber er war wie immer leidenschaftlich und messerscharf in seiner Analyse. Am Ende des Gesprächs entschuldigte er sich sogar noch dafür, dass er so undeutlich zu verstehen war.

In der Nacht vom 26. November ist Peter Hintze, 66 Jahre alt, gestorben. Die Krankheit - er hatte Krebs - hatte ihn in den vergangenen Jahren sichtbar gezeichnet.

Video: Peter Hintze ist tot

SPIEGEL ONLINE

Hintze war ein leidenschaftlicher Streiter, einer, der selbst im Dissens mit einem Journalisten freundlich blieb. Vor allem aber gehörte er zu jenem, im politischen Betrieb erstaunlich selten verbreiteten Typus, der das große Schlachtenpanorama der einzelnen Akteure und Parteien mit ein paar Sätzen skizzieren konnte. Seine eigene Partei nahm er aus seinen oft schonungslosen Analysen nicht aus, wenngleich immer klar blieb, dass sie ihm am Herzen lag.

Da schimmerte in solchen Gesprächen immer wieder der frühere Generalsekretär durch, der er unter Helmut Kohl sechs Jahre gewesen war, von 1992 bis 1998. Denn Hintze war, bei aller Freundlichkeit im persönlichen Umgang, auch einer, der zulangen konnte. Die Rote-Socken-Kampagne (mit einem Plakat einer riesigen roten Socke, die an einer Wäscheleine hängt), mit der er als CDU-Generalsekretär 1994 gegen eine Zusammenarbeit von SPD und damaliger PDS (heute Linkspartei) agitierte, bleibt unvergessen.

Die SPD schäumte, denn anders als heute waren damals rot-rote Koalitionen noch gar nicht absehbar, allerdings ließ der sachsen-anhaltische SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner seine rot-grüne Koalition von der PDS tolerieren, was Hintze die Vorlage lieferte.

CDU-General mit der Rote-Socken-Kampagne

Später musste sich Hintze in Hintergrundkreisen mit Journalisten immer mal wieder für seine Kampagne rechtfertigen. Man spürte, dass es ihn nervte, denn so wirksam die Kampagne gewesen war (zumindest redete das politische Deutschland damals monatelang darüber), so wenig wollte er sich darauf reduzieren lassen. Hintze, evangelischer Pfarrer, war nämlich kein Vertreter des konservativen Lagers in der Union. Er war offen für gesellschaftliche Umbrüche und Entwicklungen.

Seine ersten Sporen in der Politik hatte er sich als Bundesbeauftragter für den Zivildienst verdient. 1983 berief ihn Bundesfamilienminister Heiner Geißler (wie Hintze lange Jahre CDU-Generalsekretär) in das neu geschaffene Amt, das er schließlich sieben Jahre ausübte. Es war keine Selbstverständlichkeit, dass sich die CDU dieses Themas annahm, damals herrschte Kalter Krieg, wer den Dienst mit der Waffe verweigerte, hatte nicht unbedingt Sympathien für CDU und CSU. Doch Hintze - in zweiter Ehe verheiratet und Vater eines Sohnes - wusste als Pfarrer um die Gewissenskonflikte junger Männer in der Bundesrepublik, er nahm sie ernst.

Die Zeit unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl führte ihn nicht nur ins Amt des CDU-Generalsekretärs. Anfang der Neunzigerjahre lernte er auch einen Neuling aus der untergegangenen DDR kennen: Angela Merkel. Die junge, damals weitgehend unbekannte Frau aus Mecklenburg-Vorpommern wurde Bundesministerin für Frauen und Jugend - und Hintze ihr parlamentarischer Staatssekretär. Es sollte der Beginn einer politischen Beziehung werden, die auch Krisen der CDU überstand.

Denn als Merkel auf Vorschlag Kohls 1998 schließlich CDU-Generalsekretärin wurde und Hintze in dieser Funktion nach der verlorenen Bundestagswahl ablöste, hätte es zur Entfremdung der beiden kommen können. Doch dazu kam es nicht. Im Gegenteil - Hintze wurde bald einer der engsten Vertrauten in dem kleinen und überschaubaren Zirkel der CDU-Politikerin. Und er blieb bis zuletzt der Kanzlerin loyal verbunden, auch wenn sie in manchen Fragen (etwa der Sterbehilfe) auseinanderlagen. Ein Mann, der im Hintergrund agierte, der über vielfältige Kontakte verfügte und sie einsetzte - vielleicht einer der wirkungsvollsten Unterstützer von Merkels Politik in der CDU und darüber hinaus.

"Ich habe eine starke Liebe zum Leben"

Wie eng die beiden bereits vor der Kanzlerschaft miteinander kommunizierten, durfte ich in der Wahlnacht vom 22. Mai 2005 im Garten der CDU-Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf selbst erleben: Wir standen zusammen und plauderten, Hintze war in Hochform, denn der nordrhein-westfälische CDU-Kandidat Jürgen Rüttgers hatte gerade die Landtagswahl gegen SPD und Grüne gewonnen.

Da erreichte mich per Handy der Anruf eines SPIEGEL-ONLINE-Kollegen aus der SPD-Zentrale in Berlin: Kanzler Gerhard Schröder habe gerade Neuwahlen für den Bundestag angekündigt. Ich erzählte Hintze sofort davon, er unterbrach unser Gespräch, holte sein Handy raus und rief Angela Merkel an. Danach verabschiedete er sich - die Landtagswahl sei ja nun nebensächlich. Die darauffolgende Bundestags-Wahl führte Merkel ins Kanzleramt.

Hintze hat später öfter erzählt, er habe in seinem politischen Leben nur drei Politiker erlebt, "die ähnlich energiegeladen auf das Kanzleramt zusteuerten - Kohl, Schröder und Merkel". Merkel würdigte ihn am Sonntag - mit ihm verliere die CDU "eine ihrer herausragenden Persönlichkeiten".

In der Tat war Hintze ein Politiker, der auch für Personen (und Themen) stritt, die in seiner Partei umstritten waren. Als in CDU und CSU viele Bundespräsident Christian Wulff langsam fallen ließen, war Hintze der Einzige, der den CDU-Freund noch in Talkshows verteidigte. Später sah er am Beispiel Wulff exemplarisch den Fall einer zeitweise aus den Fugen geratenen Republik, die sich am Ende auf jedes angebliche Fehlverhalten des damaligen Bundespräsidenten stürzte. Der Umgang mit Wulff gebe Anlass darüber nachzudenken, "wie künftig ein politischer und medialer Kontrollverlust vermieden werden kann", sagte Hintze damals zu SPIEGEL ONLINE.

Hintze, zuletzt Bundestagsvizepräsident, stand in den vergangenen Jahren immer mal wieder gegen seine eigene Partei. Aber es war Opposition in der Sache, das machte ihn in den eigenen Reihen glaubwürdig und unanfechtbar. Ob es um eine Lockerung des Embryonenschutzes ging - die CDU lehnte die Präimplantationsdiagnostik ab, er war dafür.

Oder ob es um eine liberale Handhabung der Sterbehilfe ging - er kämpfte für seine Positionen, zusammen mit der SPD-Politikerin Carola Reimann und anderen aus SPD, CDU und CSU. Sterbehilfe sei die Möglichkeit für den todkranken Patienten, um Hilfe zu bitten, wenn das Leiden nicht mehr zu ertragen sei, sagte er damals. Der Gesetzentwurf kam 2015 im Bundestag nicht durch. Hintze selbst schloss die Suizidbeihilfe für sich aus, wie er in einem Interview bekannte. Seine Haltung begründete er mit dem schönen, schlichten Satz: "Ich habe eine starke Liebe zum Leben."

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