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Piraten im Wahlkampf: Schöner scheitern

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Piraten vor der Bundestagswahl Abgestiegen, abgeschrieben

Für die Piraten wird der Traum vom Bundestag am Sonntag wohl platzen. Dabei servierte ihnen der Wahlkampf beste Bedingungen. Viele Mitglieder denken schon an die Zeit nach der Bundestagswahl. Geht die Partei unter?

Berlin/Hamburg - Die Wahlkampfzentrale der Piraten ist eine Mischung aus Geräteschuppen und Lagerraum. Leere Flaschen verstauben neben Sperrmüllsesseln und vollgekritzelten Flipcharts. Im Chaos finden sich Anflüge von System: Klebefertige Plakate sind nach Stadtteilen sortiert. Ein Witzbold hat "Gesammelte Werke" über die Pappreihen geschrieben.

Im Wahlkampf laden die Piraten fast wöchentlich in ihre Herberge ein, nach Lichtenberg, einem Brennpunktbezirk im Osten Berlins. Auf Pressekonferenzen referieren sie über Datenschutz, Überwachungsdrohnen, Fußballfanrechte, Grundeinkommen oder Urheberrecht. Zuletzt kamen immer weniger Zuhörer.

Offiziell glaubt Parteichef Bernd Schlömer trotzdem an einen Einzug in den Bundestag. Sechs Prozent gab er zu Beginn der Woche als Ziel aus. Dann werde er allen Wahlparty-Gästen Bier spendieren, versprach Schlömer. Das Geld kann er sich wohl sparen. In Umfragen liegen die Piraten durchschnittlich bei 2,5 Prozent, sogar die Euro-feindliche Alternative für Deutschland (AfD) steht besser da.

Eigentlich wollte die Partei dem politischen System ein Update verpassen ("Politik 2.0"), nun sieht es eher nach 2,0 Prozent aus. In Bayern holten sie zwei Prozent der Stimmen, ganz ähnlich wie bei der Landtagswahl in Niedersachsen. Vermutlich werden sie dieses Ergebnis bundesweit nicht erheblich steigern können.

Mal lustig, mal platt

Dabei servierte ihnen der Wahlkampf beste Bedingungen. Im Zuge der US-Spähaffäre diskutierte die deutsche Öffentlichkeit monatelang über Kernthemen der Piraten. Außerdem bricht sich im Wahljahr eine weit verbreitete Parteienverdrossenheit Bahn, es herrscht Ratlosigkeit. Selbst politisch Interessierte sagen: Wen kann ich noch wählen, alle Parteien sind doch gleich? Eine Steilvorlage für Politrebellen.

Die Piraten wollten ihre Chance nutzen. Seit Monaten mühen sich ehrenamtliche Politiker mit knappem Budget durch den Wahlkampf. Die Plakate sind mal gewitzt, mal etwas platt (sehen Sie hier einige Beispiele in der Bilderstrecke). Täglich schicken sie Pressemitteilungen in die Welt, Schlömer kocht im Jugendfernsehen, die politische Geschäftsführerin Katharina Nocun argumentiert tapfer auf der Couch von TV-Blödler Stefan Raab.

Es liegt nicht am Einsatz, dass die Piraten abgeschrieben scheinen. Aber woran liegt es dann?

  • Auch wenn im Moment Shitstorm-Pause herrscht, haben die Piraten durch Dauergezeter an der Spitze und Zank über Nichtigkeiten Vertrauen verspielt. Zu viele Menschen, egal wie unzufrieden sie mit den Etablierten sind, nehmen die Piraten nicht mehr ernst. Die Piraten erreichen nur noch ihre harten Kernwähler - eben nicht mehr als zwei, höchstens drei Prozent.

  • Ihre Themen gehen unter: In Bayern setzten die Piraten vor allem auf die Amigo-Affäre der CSU, das war zu wenig. Ähnliches passiert im Bund. Beim NSA-Skandal wurde kräftig gewettert, demonstriert, protestiert. Doch Antworten, die neue potentielle Wähler aufhorchen lassen könnte, gab es nicht.

  • Es hapert an der Vernetzung: Vor allem in der Provinz sind die Piraten Einzelkämpfer. In den Städten hocken zwar mehr Mitglieder, doch selbst im urbanen Raum können die Piraten kaum noch punkten. Bei der Bayern-Wahl blieb man selbst in München deutlich unter drei Prozent. Auch hier fehlt oft die Basis, fehlen die Köpfe, die außerhalb der Stammwählerschaft punkten.

Droht die Austrittswelle?

So dürfte das Schicksal der Piraten in naher Zukunft lauten: zurück zur Splitterpartei. Aber wie werden sie mit dem Scheitern umgehen? Viele Piraten denken schon an die Zeit nach dem 22. September. Im nächsten Jahr ist Europawahl, die niedrige Dreiprozenthürde könnte der Partei ein paar Mandate verschaffen. Die Landtagsfraktionen werden weiter vor sich hinwerkeln.

Ein Exodus der Mitglieder wird vermutlich ausbleiben. Die, die unbedingt gehen wollten, haben die Partei schon vor Monaten verlassen, auf dem Höhepunkt der Peinlichkeiten. Wahrscheinlich legen einige Vorstandsmitglieder auf dem Parteitag im Winter ihr Amt nieder. Und der ein oder andere frühere Spitzenpirat dürfte bisher heimlich gehegte Übertrittswünsche zu anderen Parteien in die Tat umsetzen.

Doch bevor solche Zukunftspläne geschmiedet werden können, steht erst mal der Wahlsonntag an. Bis dahin wird weitergeworben, so aussichtslos es auch scheint. In der Wahlkampfzentrale tauchte in der vergangenen Woche ein Langhaarträger vom "Hanfmagazin" auf. Eine Pressekonferenz zur Drogen- und Suchtpolitik war gerade zu Ende gegangen. Er habe, "echt sorry jetzt", leider die Uhrzeit verpeilt und die Veranstaltung verpasst, entschuldigte sich der junge Mann. Ob man ihm alles noch einmal erklären könne, bat er.

Bei manch anderer Partei würden derlei Extrawünsche wohl pikiert betrachtet. Bei den Piraten eilt die Pressesprecherin herbei, kramt eine Mappe mit Infos hervor. Dann fängt man eben noch einmal von vorne an, so das Motto. Das gilt wohl auch für die Zeit nach der Bundestagswahl.

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