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NRW-Piraten: Newcomer im Wahltest

Foto: Caroline Seidel/ dpa

Piraten in NRW Wahlkampf-Frischlinge, zu allem bereit

Die Piraten in Nordrhein-Westfalen wollen vom Erfolg an der Saar profitieren, doch das weitläufige Bundesland stellt die Partei vor immense Herausforderungen: In vielen Regionen werden vor allem neue Mitglieder um Stimmen werben. Das macht den Wahlkampf unberechenbar.

Berlin - Lukas Lamla, 28, schwarze Haartolle, Feuerwehrmann aus Neuss, hat eigentlich einen freien Tag. Zur Wachübergabe um 8 Uhr in der Früh ist er an diesem Dienstag trotzdem gefahren. "Meine Kollegen sollen die Neuigkeit ja nicht aus der Zeitung erfahren", sagt er. News in der Zeitung lesen? Botschaften per Realkontakt überbringen? Das klingt für einen Piraten erstmal überraschend altmodisch. Aber der Rest der Welt, wie Lamlas Feuerwehrtruppe, tickt eben oft gemächlicher als der Piraten-Mikrokosmos.

Lamla kennt die Schwierigkeiten, wenn die Ideale seiner Partei mit dem Rest der Welt in Berührung kommen: "Bislang mussten wir auf der Straße vor allem erklären, dass wir keine Spaßpartei sind." Er ist Wahlkampfkoordinator für die Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen. Außerdem tritt Lamla am 13. Mai als Kandidat an, am vergangenen Wochenende wurde er auf den zweiten Platz der Landesliste gewählt. Auf der Spitzenposition landete der 54-jährige Biophysiker Joachim Paul. Beide haben gute Aussichten, bald im Düsseldorfer Landtag zu sitzen. Nach jüngsten Umfragen könnten die NRW-Piraten zwischen fünf bis sechs Prozent holen.

Den Erfolg absichern

Der Erfolg der Piraten an der Saar soll dem eigenen Wahlkampf nun ordentlich Schwung geben, hoffen die NRW-Piraten. Das Image mit der Spaßpartei sei spätestens seit dem Saarland Geschichte, meint Lamla. Auch die Bundesspitze ist euphorisiert. In Sachen Vollmundigkeit stehen die Polit-Neulinge den etablierten Parteien dieser Tage in nichts nach. Man wolle in alle 16 Landesparlamente einziehen, kündigt Bundeschef Sebastian Nerz an. Auch in Schleswig-Holstein rechne man mit einem Sprung ins Parlament.

NRW-Spitzenkandidat Paul spricht von einer "Kettenreaktion" und einem "Dominoeffekt". War Berlin der Eisbrecher, so war das Saarland der endgültige Durchbruch für einen bundesweiten Wahlerfolg.

Kann Nordrhein-Westfalen wirklich der Baustein sein, der den Durchmarsch der Piraten zementiert? Laut Forsa-Chef Manfred Güllner sind die Wählerstrukturen von Saarland und NRW miteinander vergleichbar. Es sei zu erwarten, dass die Piraten wie an der Saar von allen Parteien ein paar tausend Stimmen saugen und vor allem bei Erstwählern punkten.

Doch verglichen mit dem 18-Millionen-Einwohner-Land NRW sind Berlin und das Saarland harmlose Einsatzgebiete für die Piraten gewesen. Der Wahlkampf wird hier, vor allem außerhalb der Ballungsräume, in den ländlich geprägten Regionen, eine immense Herausforderung. Immerhin halten die NRW-Piraten ihren Umfragewert seit dem vergangenen Oktober stabil. Ob es einen "Saar-Effekt" gibt, wird sich erst in einigen Tagen zeigen, wenn frische Befragungen vorliegen.

Wahlkampf mit absoluten Beginnern

Noch am Abend der Saarwahl verbreiteten sich besorgte Aufrufe über Twitter und Mailinglisten, dass man sich auf dem Saar-Erfolg nun bloß nicht ausruhen dürfe. Ein Selbstläufer wird der Wahlkampf der NRW-Piraten nicht, dafür birgt er zu viele Unberechenbarkeiten. Schon die Landeslistenaufstellung geriet zur zermürbenden Show, die selbst langjährige Piratenmitglieder an den Rand der Verzweiflung brachten. "Wir haben die Flut der Neumitglieder unterschätzt", sagt ein NRW-Pirat.

Binnen zwei Jahren hat sich die Mitgliederzahl der NRW-Piraten auf 3700 verdoppelt, in den vergangenen Wochen schwoll die Flut der Beitrittsanfragen noch einmal an. Die vielen Neuzugänge und die große Fläche des Bundeslandes zerfasern den Wahlkampf. Dabei sind es gerade die Anfänger in den eigenen Reihen, auf die die Piraten beim Ausschwärmen angewiesen sind. "Für die Piraten in Nordrhein-Westfalen wird entscheidend sein, ob sie es schaffen, flächendeckend präsent zu sein", sagt Güllner.

Der Wahlkampf wird also vor allem einer, den unerfahrene Basismitglieder stemmen müssen. Lamla sieht darin kein Problem: "Improvisieren ist unsere Spezialität." Im Idealfall sollen sich auch Profis an die Stammtische von Neulingen setzen, gezielt aus den Ballungsräumen in die ländlichen Regionen fahren, um dort Infostände mit zu betreuen und Handzettel vor dem Supermarkt zu verteilen.

Ob das in der Praxis funktioniert, wird sich zeigen: Die Piraten müssten im Vergleich zu anderen Parteien "das Fünffache an Arbeit leisten", meint der Wahlkampfplaner. Beispielsweise könne man keine Helfer zum Plakatekleben bezahlen und sei auf die Hilfe anderer Landesverbände angewiesen. "Dafür funktioniert unsere Kommunikation wie ein Bienenschwarm", sagt er.

"Das können auch Neulinge"

Ansonsten setzen die Piraten in NRW auf einen Mix aus Turbo-Vernetzung und erstaunlich traditionellen Wahlkampfrezepten. 25.000 Plakate sind bestellt, die Slogans wurden per Internetvoting ausgewählt. Einige Großplakate werden vom Wahlkampf aus dem Saarland wiederverwendet, außerdem sind Radiospots geschaltet, eine SMS-Spendenaktion läuft.

Bis zur Wahl sind noch allerlei Formalien zu erfüllen: Bis zum 10. April müssen die Piraten tausend beglaubigte Unterschriften sammeln - plus je hundert Unterschriften aus jedem der 128 Wahlkreise, um überall einen Direktkandidaten aufstellen zu können.

Fraglich ist, ob die Piraten in ehemaligen Stahlhochburgen mit Piraten-Kernthemen wie Datenschutz und Urheberrecht punkten können. Ein weiteres geplantes Kernthema, die Bildungspolitik, wird von den anderen Parteien schon sehr viel länger besetzt. "Das Wichtigste ist, dass man den Menschen erst einmal zuhört", sagt Lamla, "das können auch Neumitglieder."

Konkreten Inhalten will man sich zuwenden, wenn der erste Schwung der Wahlkampforganisation durch ist: Mitte April soll das endgültige Wahlprogramm festgezurrt werden. Dann sind es noch vier Wochen bis zum Urnengang.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Piraten in NRW hätten 125.000 Wahlkampfplakate bestellt. Tatsächlich sind es nur 25.000, die Partei hat ihre frühere Angabe selbst korrigiert.

mit dpa
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