Piraten und Freie Union U-Boot-Angriff auf junge Parteien
Hamburg - Andreas Popp ringt mit den Worten. "Schwierig", sagt er immer wieder. Der stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei schwankt, wie man mit dem Parteimitglied umgehen soll, das vor einigen Jahren im Internet rechtsradikale Meinungen verbreitet hat. Eine "schwierige" Entscheidung sei das, sagt Popp, eine "Feuertaufe für die Partei".
Denn die Piratenpartei wächst aus ihrer Nische der Internet-Gruppierung heraus, zieht ins Europaparlament und die Massenmedien ein. Doch die Diskussionen um rechtsradikale Mitglieder und um Kinderpornografie hat die Anfangseuphorie der Partei erheblich gedämpft. Sie muss sich die Frage stellen, wie sie mit extremen Ansichten in ihren eigenen Reihen umgeht. Und wie viel Toleranz eine Partei wirklich verträgt, selbst wenn sie mit einem Internet-libertären Programm auftritt.
Eine Frage, mit der auch die Freie Union hadert. Erst zweieinhalb Wochen nach der Gründung der Freien Union fordert deren Vorsitzende Gabriele Pauli den Ausschluss des bayerischen Landesschatzmeisters - wegen ausländerfeindlicher Ansichten. Zur Gründungsversammlung am 21. Juni im Münchner Hofbräukeller konnte kommen, wer wollte; um die Parteiämter konnte sich bewerben, wer wollte. 200 Menschen seien am Stichtag eingetreten. "Da ist es nicht möglich, alle im Hinblick auf die politische Vergangenheit zu durchleuchten", sagt Pauli SPIEGEL ONLINE. Es sei ein normaler Prozess, sich wieder zu trennen, wenn Einzelne nicht zu der Partei passen.
Also nur die üblichen Schmerzen beim Erwachsenwerden? Der Vorstand der Piratenpartei spricht von Kinderkrankheiten und einer "Adoleszenzphase". Doch selbst in dieser Phase wächst der Druck offenbar. Vergangene Woche hat der Bundesvorstand seinem Mitglied Bodo Thiesen das Ultimatum gesetzt, sich "eindeutig und endgültig" von seinen "fragwürdigen Äußerungen zum Holocaust" zu distanzieren. Thiesen hatte vor einigen Jahren in Internet-Foren und E-Mails Holocaustleugner verteidigt und erklärt, Adolf Hitler habe den Krieg nicht gewollt. Auch nach einer Rüge im Juni 2008 durfte er Mitglied bleiben - und saß auf dem Bundesparteitag in Hamburg als stellvertretender Protokollant auf dem Podium.
Sorge um das "Bild in der Öffentlichkeit"
Erst nach dem Parteitag drängte ihn der Vorstand, sich von den Äußerungen zu distanzieren - was er am Donnerstag schließlich tat. Doch so richtig wohl fühlen sich manch andere Parteimitglieder offenbar nicht: In einem offenen Brief bezeichnen sie Thiesens Äußerungen als "parteischädigend". Schließlich gehe es um "moralische Dimensionen" einiger Aussagen und auch um "das Bild in der Öffentlichkeit". Immerhin bereitet sich die Piratenpartei auf die Bundestagswahl vor. Bei der Europawahl holte die schwedische Schwesterpartei 7,1 Prozent der Stimmen, ein Abgeordneter vertritt sie im Europaparlament. Jetzt wird es ernst.
Bei Neugründungen von Parteien könnten "politische Subkulturen überproportional an Bedeutung gewinnen", sagt der Parteienforscher Professor Jürgen W. Falter von der Universität Mainz. Anfangs sei es schwieriger, Extreme aus der Partei herauszuhalten, weil es noch keine klaren Organisationsstrukturen gebe. Wenn sich die Parteien dann erst einmal etabliert hätten und alles in geregelten Bahnen verlaufe, gingen solche Strömungen häufig wieder unter.
Selbst die Grünen mussten sich in ihrer Anfangsphase von schillernden Parteienwanderern befreien. 1980 wählten die Delegierten August Haußleiter zum Bundesvorsitzenden, einen Mann mit "vielen Schlangenlinien" im politischen Leben, wie die "Süddeutsche Zeitung" damals schrieb. Er gründete die CSU mit, schlängelte sich dann zu rechtskonservativen Organisationen wie etwa die "Deutsche Gemeinschaft", deren selbstgewählter Gegner "Klerikale, Liberale und Marxisten" waren. Wie der SPIEGEL berichtete, lobte Haußleiter überschwänglich die SS-Männer als besonders gute Europäer. Mal wurde ihm vorgeworfen, er sei ein "Linksradikaler", mal wurde er als "rechtsstehend" attackiert. Er musste noch im Jahr seiner Wahl von seinem Amt zurücktreten.
Kinder mit Ku-Klux-Klan-Masken
Zudem terrorisierten die "Stadtindianer" in den Anfangsjahren regelmäßig die Parteitage der Grünen, die mitunter fast abgebrochen werden mussten. Unter "schrillen Schreien" forderten die Mitglieder dieser Kommunen die freie sexuelle Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen. Die "Frankfurter Rundschau" berichtete im April 1985 von kleinen, mit Ku-Klux-Klan-Masken getarnten Kindern, die Delegierte mit Händen und Füßen traktierten und ins Mikrofon kreischten.
Auch wenn dies Einzelfälle waren und nicht die Meinung des Großteils der Delegierten widerspiegelten: Bei den Grünen mussten sich verschiedenste Gruppen - von Naturbewegten, Feministen bis zu Pazifisten - zusammenraufen. Aber, sagt Parteienforscher Falter SPIEGEL ONLINE, "sie hatten zumindest ein vereinigendes Band, den Umweltschutz. Das machte es einfacher." Für die Freie Union sei das schwieriger: Ihr Band heiße Gabriele Pauli.
Doch Pauli selbst hat immer wieder mit Parteikollegen zu kämpfen. Noch während sie Spitzenkandidatin der Freien Wähler bei der Europawahl war, schloss der Bundesverband im April 2009 die Landesverbände Bremen und Brandenburg aus - ehemalige Aktivisten der rechtspopulistischen Schill-Partei hatten versucht, die Freien Wähler zu unterwandern. Wenige Monate später muss sie sich erneut distanzieren: von dem bayerischen Landesschatzmeister Bodo Sobik. Dieser war bei der Münchner Stadtratswahl im vergangenen Jahr auf dem fünften Listenplatz der NPD-Tarnliste "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" angetreten. "Politisch extreme und ausländerfeindliche Gedanken" dulde sie nicht in der Partei, sagt Pauli SPIEGEL ONLINE. Sie will ein Ausschlussverfahren gegen Sobik anstrengen.
Im Heckwasser der Piraten
Die Frage bleibt, wie viele solcher Vorfälle die neugegründeten Parteien vertragen. Besonders für die Piratenpartei, die sich für ein kostenloses Herunterladen von Daten im Internet engagiert und gegen staatliche Überwachung bei der Telekommunikation kämpft, könnte das noch schmerzhaft werden. Sie könnte sich häufiger mit unliebsamen Parteisympathisanten konfrontiert sehen, die im Heckwasser der Piraten illegale Inhalte im Web verbreiten möchten.
So hatte ein Pädophiler im Internet dazu aufgerufen, die Piratenpartei zu wählen. Angeheizt wurde die Debatte um Kinderpornografie allemal, als der Sozialdemokrat Jörg Tauss zu den Piraten überlief, gegen den wegen Besitzes kinderpornografischen Materials ermittelt wird. Vom Auditorium des Bundesparteitags wurde Tauss dennoch ausgiebig gefeiert - schließlich kämpfe man besonders für die Unschuldsvermutung.
Vielleicht könnte der Piratenpartei aber wie der Freien Union bald eine Trennung von einem Mitglied bevorstehen. Als eine "Entscheidung mit Grundsatzcharakter" bezeichnete Parteivize Popp die Entscheidung über Parteimitglied Thiesen. Schließlich sei man klar gegen faschistisches Gedankengut. Der Bundesvorstand berät am 16. Juli über den Fall.